1. Auch bei straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ist grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt gerechtfertigt.
2. Eine Angelegenheit mit dem Vorwurf eines Rotlichtverstoßes ist durchschnittlich.
3. Zur Bemessung der Terminsgebühr, wenn streitig ist, wie lange die Hauptverhandlung gedauert hat.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Freistellungsklage
Der Kläger hat mit seiner beklagten Rechtsschutzversicherung um Freistellung von anwaltlichen Kosten in Zusammenhang mit einem gegen den Kläger geführten straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren gestritten. Die Rechtsschutzversicherung nicht die vom Kläger jeweils geltend gemachten Gebühren gezahlt, sondern den Kläger nur von unter den Mittelgebühren liegenden Gebühren frei gestellt. Das AG hat die Rechtsschutzversicherung zur Zahlung des Restes verurteilt.
II. Entscheidung
Auch im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grds. Mittelgebühr
Das AG ist von der Mittelgebühr als jeweils anzusetzende Gebühr ausgegangen. Nach zutreffender Ansicht sei bei straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt gerechtfertigt (vgl. u.a. AG München, Urt. v. 2.12.2019 – 213 C 16136/19; AG Landstuhl RVGreport 2020, 295 = VRR 8/2020, 31; AG Trier AGS 2021, 66 = VRR 1/2021, 26. Insbesondere werde die Mittelgebühr in der Regel als gerechtfertigt angesehen, wenn ein Fahrverbot in Frage stehe oder Eintragungen in das Verkehrszentralregister (vgl. AG Frankenthal AGS 2005, 293 f., AG Viechtach AGS 2007, 83 f., AG Pinneberg AGS 2005, 552 f.; AG Trier, a.a.O.; AG Hamburg-Harburg AGS 2021, 302 = VRR 11/2021, 29). Dies sei hier der Fall. Im Bußgeldbescheid sei gegen den Betroffenen ein Bußgeld in Höhe von 90,00 EUR festgesetzt worden. Diese Festsetzung ziehe die Eintragung von einem Punkt im Fahreignungsregister nach sich.
Umstände des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG
Die gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände seien – so das AG – sämtlich durchschnittlicher Art. Mithin sei die die Bedeutung der Angelegenheit üblich gewesen, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien durchschnittlich gewesen und auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers hätten keine andere Bewertung gefordert. Vorliegend sei lediglich ein Bußgeld von 90,00 EUR (samt Eintragung eines Punktes) Gegenstand des Bußgeldbescheides gewesen. Diese drohende Rechtsfolge entspreche jedoch durchaus dem Durchschnitt bei Verkehrsordnungswidrigkeiten.
Bedeutung der Angelegenheit
Die Bedeutung der Angelegenheit bestimme sich nach der tatsächlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen und persönlichen Bedeutung für den Auftraggeber. Maßstab sei sein persönliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse am Ausgang der Angelegenheit im Hinblick auf den von ihm erhofften Erfolg. Deshalb seien insbesondere Auswirkungen auf die berufliche oder persönliche Stellung des Auftraggebers, die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit für ihn über den Einzelfall hinaus oder eine sonstige vom Auftraggeber zum Ausdruck gebrachte Bedeutung in der Bewertung zu berücksichtigen. Hierbei hat das AG neben dem wirtschaftlichen Interesse des Auftraggebers auch dessen ideelles Interesse als besonders maßgeblich angesehen. Der Vorwurf des Begehens einer Ordnungswidrigkeit müsse – sofern der Betroffene meint, die Ordnungswidrigkeit nicht begangen zu haben – angreifbar sein. Der Rechtsanwalt, welcher insoweit eingehend mit dem Kläger beraten habe, kenne die Umstände der Mandatsbearbeitung, die nicht sämtlich aktenkundig sein müssen, besser als ein Außenstehender, weshalb das Gericht die Angaben des Prozessbevollmächtigten, dass die Angelegenheit für den Kläger von Interesse gewesen sei, zugrunde lege.
Darüber hinaus sei dem Kläger mit dem Bußgeldbescheid eine Buße von 90,00 EUR auferlegt worden, welche die Eintragung eines Punktes im Register zur Folge gehabt habe. Auch wenn der Kläger in diesem Falle bereits Voreintragungen in Höhe von einem Punkt im FAER gehabt habe, gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Entzug der Fahrerlaubnis drohte und die Entscheidung noch weiter reichende Konsequenzen privater und beruflicher Natur für den Kläger gehabt hätte. Daher sei die Bedeutung der Angelegenheit zumindest auch durchschnittlich.
Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
Auch Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit beurteilt das AG als durchschnittlich. Bei der dem Verfahren zugrunde liegenden Materie eines Rotlichtverstoßes habe es sich um eine durchschnittliche, keinen hervorgehobenen rechtlichen Anforderungen entsprechende Angelegenheit gehandelt, wie sie in einem derartigen Tätigkeitsgebiet aufgrund der Häufigkeit und Alltäglichkeit gehäuft vorkommt. Auch sei die Auseinandersetzung mit diesem Verstoß, welcher auf eingehenden und auch für den Laien verständlichen tatsächlichen Sachverhalten beruht, keiner gesonderten höherwertigen technischen Beurteilung zugänglich, so wie z.B. anderweitig die Durchdringung sachverständiger Messgutachten.
Auch der Umfang der Tätigkeit sei durchschnittlich gewesen. Es sei nach Erlass des Bußgeldbescheids lediglich die standardisierte Einlegung des Einspruchs erfolgt. Eine rechtlich fundierte Einlassung habe es schriftlich weder im Bußgeldverfahren noch im gerichtlichen Verfahren gegeben. Die Anforderung der Akte und die Einholung einer Auskunft aus dem Fahreignungsregister seien Standard in jeglichen Bußgeldverfahren. Dies gelte ebenso für die Besprechung des Verfahrens mit der Mandantschaft und daraus erfolgende fernmündliche Anfragen und Gespräche.
Das AG ist aufgrund vom Kläger eingereichter Fotos davon ausgegangen, dass eine Ortsbesichtigung durch den Prozessbevollmächtigten mit dem Kläger stattgefunden habe, bei welcher Fotos angefertigt wurden. Die Dauer des Ortstermins sei zwar von der Rechtsschutzversicherung zwar bestritten worden. Die Feststellung der Dauer sei jedoch nicht entscheidungserheblich. Denn auch die Durchführung eines Ortstermins in diesem Verfahren ändere nichts an dem als durchschnittlich zu bewertenden Umfang der Tätigkeit. Überdies sei die Durchführung eines Ortstermins, soweit der Kläger selbst auch Lichtbilder gefertigt habe, für den Prozessbevollmächtigten nicht erforderlich. Denn die Entscheidung werde letztlich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung und der dieser lediglich zugrunde liegenden Fotos und den sich daraus ergebenden Winkeln und Lichtverhältnissen gebildet. Insoweit wäre es ausreichend und angemessen gewesen, wenn auch die anwaltliche Tätigkeit sich auf die von dem Kläger bereits gefertigten Fotos erstreckt hätte.
Dauer der Hauptverhandlung
Auch Dauer und Umfang der Hauptverhandlung sowie die rechtliche Schwierigkeit insoweit waren nach Ansicht des AG durchschnittlich. Die genaue Dauer des Hauptverhandlungstermins sei zwischen den Parteien weiter streitig. Die Vernehmung der zwei Polizeibeamten als Zeugen entspreche dem grundsätzlichen Ablauf einer Hauptverhandlung in einem derartigen Verfahren. Nachfragen und Vorhalte – auch unter Zuhilfenahme von Fotos und Skizzen – seien übliche Verhandlungsmethodik und weder nach dem Umfang noch der rechtlichen Komplexität an höheren Maßstäben zu messen.
Einkommens- und Vermögensverhältnisse
Insoweit verweist das AG darauf, dass selbst bei Zugrundelegung des von der Rechtsschutzversicherung behaupteten unterdurchschnittlichen Einkommens dies nicht rechtfertige, im Sinne des § 14 RVG von der Mittelgebühr abzuweichen. Denn bei der drohenden Geldbuße von 90,00 EUR und einem Punkt, welcher nicht mit unmittelbaren führerscheinrechtliche Konsequenzen verbunden sei, stelle die Sache auch an ein unter dem Durchschnitt liegendes Einkommen keine besonderen Anforderungen wirtschaftlicher, beruflicher oder privater Natur.
Überschreiten der Mittelgebühr
Teilweise hatte der Kläger über der Mittelgebühr liegende Gebühren geltend gemacht. Das hat das AG im Hinblick auf die insoweit zuzubilligende Toleranzgrenze von 20 % nicht beanstandet. Der Rechtsanwalt des Klägers habe sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt.
III. Bedeutung für die Praxis
Eine weitere Entscheidung, die zutreffend auch in (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr als Grundlage für die anwaltliche Gebührenbemessung ansieht. Das ist zutreffend (vgl. dazu eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. m.w.N. und aus neuerer Zeit noch AG Biberach RVGreport 2019, 242, AG Viechtach RVGreport 2019, 57 = DAR 2019, 58). Insoweit kann man m.E. inzwischen von der sog. h.M. ausgehen (a.A. aber immer noch z.B. LG Kassel JurBüro 2019, 527; LG Kaiserslautern RVGreport 2015, 214 = DAR 2014, 493 = AGS 2015, 390; AG Charlottenburg, Urt. v. 17.1.2020 – 220 C 85/19, RVGreport 2020, 257).