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Schadenschätzung bei einem Vorschaden aus der Vorbesitzzeit

1. Soweit der Eigentümer des beschädigten Unfallfahrzeuges behauptet, von einem Vorschaden keine Kenntnis und das beschädigte Kfz im unbeschädigten Zustand erworben zu haben, kann es ihm nicht verwehrt werden, zur Behauptung der fachgerechten Reparatur des Vorschadens einen Zeugenbeweis anzutreten.

2. Der Beweis für eine vollständige und fachgerechte Beseitigung des Vorschadens durch eine Zeugenaussage ist geführt, wenn nach einer Zerlegung des Fahrzeuges und einer eingehenden Untersuchung durch einen fachkundigen Zeugen keinerlei Hinweise auf einen nicht fachgerecht behobenen Vorschaden gefunden werden.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Celle, Urt. v. 3.11.202114 U 86/21

I. Sachverhalt

Vorschaden aus Vorbesitzzeit

Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen seines bei einem Verkehrsunfall beschädigten Fahrzeuges und die gegnerische Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung hat eingewandt, dass im Heckbereich des Fahrzeuges schon ein massiver Vorschaden bestanden hat, bei dem unklar geblieben wäre, ob und in welchem Umfang er repariert worden wäre. Der Kläger verteidigte sich mit dem Argument, von dem Vorschaden habe er keine Kenntnis, da sich dieser in der Vorbesitzzeit ereignet habe und bei einem Erwerb des Fahrzeuges wäre der Vorschaden nicht mehr vorhanden gewesen.

II. Entscheidung

Eintritt in die Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung

Während das LG noch einen Eintritt in die Beweisaufnahme zu Lasten des Klägers verwehrt hatte, hat dies das OLG Celle anders gesehen und den von der Klägerin benannten Zeugen vernommen. Denn die Klägerin habe behauptet, das Fahrzeug in einem bereits reparierten Zustand erworben und keine Kenntnis von einem Vorschaden gehabt zu haben, der sich in der Vorbesitzzeit ereignet hätte. In diesem Fall könne es ihr nicht verwehrt werden, in die Beweisaufnahme durch Vernehmung des von ihr benannten Zeugen einzutreten.

Fachkundiger Zeuge und genaue Untersuchung

Der Zeuge war aus Sicht des Senats als Kfz-Mechaniker sachkundig genug, um zu dem behaupteten fachgerechten Umfang eines möglicherweise reparierten Vorschadens Angaben tätigen zu können. Der Zeuge bestätigte, dass bei dem Erwerb und vor dem Weiterverkauf des Fahrzeuges dieses beim Autohaus auf Schäden umfassend untersucht, zugleich die Fahrzeughistorie recherchiert und sodann das Fahrzeug bei der eigenen Prüfung auf eine Hebebühne gesetzt worden wäre. Im Rahmen der Untersuchung wären keinerlei Beschädigungen an dem Fahrzeug festgestellt worden. Im Übrigen wäre das Fahrzeug der Klägerseite auch nach dem hiesigen Unfallereignis durch einen Sachverständigen im Autohaus untersucht worden, der das Fahrzeug dafür sogar zerlegt hätte. Auch dabei war kein unsachgerecht reparierter Vorschaden erkennbar gewesen und ansonsten hätten sich insbesondere Hinweise auf Lackunterschiede oder abbrechenden Spachtelauftrag ergeben.

Diesen Zeugenaussagen ist der Senat gefolgt und ging von der vollständigen und fachgerechten Reparatur eines überlagernden Vorschadens aus. Der Klägerin wurde ein vollständiger Schadensersatz zugesprochen.

III. Bedeutung für die Praxis

Schadensschätzung möglich bei genauer Untersuchung vor Erwerb

Das OLG Celle setzt in diesem Einzelfall die Vorgaben des BGH aus seiner Grundsatzentscheidung vom 15.10.2019 (VI ZR 377/18, VRR 12/2019, 2 [Ls.]) um und ist konsequent in die Beweisaufnahme eingetreten. Denn wenn der Geschädigte beim Erwerb des Fahrzeuges keine Kenntnis von einem Vorschaden aus der Vorbesitzzeit gehabt hat, kann es ihm nicht verwehrt werden, in die Beweisaufnahme durch die Vernehmung von ihm benannter Zeugen einzutreten. Der vorliegende Fall ist dabei durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass das Fahrzeug augenscheinlich durch einen zwischengeschalteten Händler vor dem Weiterverkauf umfassend auf Vorschäden untersucht worden ist Auch ist der vom Geschädigten beauftragte Sachverständige selbst sehr gründlich bei der Überprüfung wegen möglicher Vorschäden vorgegangen und dabei soll das Fahrzeug sogar zerlegt worden sein. Wenn sich bei einer derartigen gründlichen Untersuchung sich in der Tat keine Hinweise auf die unfachgerechte Beseitigung eines Vorschadens oder verbleibende Spuren eines unreparierten Altschadens finden lassen, kann zugunsten des Geschädigten auch davon ausgegangen werden, dass der Vorschaden vollständig und fachgerecht beseitigt worden sein wird. Dieser Fall ist auch dadurch gekennzeichnet, dass die Geschädigte sich mit dem verkaufenden Autohaus augenscheinlich in Verbindung gesetzt und den Sachverhalt – soweit es ihm möglich gewesen ist – auch aufgeklärt hat. In diesem Einzelfall ist es nur folgerichtig und überzeugend, im Rahmen der Schadensschätzung § 287 ZPO auch in eine Beweisaufnahme einzutreten.

RA und FA für VerkehrsR und VersR Dr. Michael Nugel, Essen

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