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Leistungsfreiheit des Kasko-Versicherers bei Vorschäden

1. Auch bei einer Kasko-Versicherung muss ein neu eingetretener Schaden in Abgrenzung zu einem aufgedeckten Vorschaden sicher bestimmt werden können und die Beweislast trifft den Versicherungsnehmer.

2. Ist dem VN ein Vorschaden aus der Vorbesitzzeit beim Erwerb des Fahrzeuges nicht bekannt, muss er zumindest versuchen, entsprechende Auskunft über den Vorbesitzer des Pkw einzuholen.

3. Bagatellisiert der Geschädigte gegenüber den ihm vom Versicherer eingeschalteten Sachverständigen einen Vorschaden, wird der Versicherer wegen einer arglistigen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit leistungsfrei.

OLG Koblenz, Urt. v. 28.7.202112 U 353/21

I. Sachverhalt

Kaskoleistung bei Vorschaden aus Vorbesitzzeit

Der Versicherungsnehmer hat gegenüber seiner Kasko-Versicherung einen Leistungsanspruch nach einem Unfallereignis verfolgt. Dabei hat sich herausgestellt, dass sein Pkw in der Vergangenheit einen massiven Vorschaden mit Reparaturkosten von 48.416,00 EUR erlitten hat. Einzelheiten zur Beseitigung dieses Vorschadens, der sich in der Vorbesitzzeit ereignet hat, konnte der Versicherungsnehmer allerdings nicht vortragen und hat, obwohl ihm der Vorschaden zumindest in groben Zügen bekannt gewesen ist, gegenüber dem von der Versicherung eingeschalteten Sachverständigen lediglich auf einen Teilbereich des Fahrzeuges hingewiesen, der vorgeschädigt gewesen sein soll und den Rest des umfangreichen Vorschadens nicht benannt. Die beklagte Versicherung verweigerte einen Eintritt in die Regulierung.

II. Entscheidung

Keine Nachforschung und unzureichender Vortrag

Das OLG Koblenz hat eine Leistungsfreiheit der beklagten Kasko-Versicherung sowohl unter dem Gesichtspunkt unzureichender Angaben zur Vorschadenproblematik als auch einer arglistigen Obliegenheitsverletzung bejaht. Auch im Bereich der Kasko-Versicherung muss der Eintritt eines neuen unfallbedingten Schadens nachgewiesen werden und dafür würde es an einem ausreichenden Tatsachenvortrag fehlen. Der Kläger selbst hat eingeräumt, dass er zu den Maßnahmen der Reparatur des Vorschadens im Einzelnen nicht vortragen könnte, sich jedoch nicht darum bemühte, vom Vorbesitzer hierzu weitere Auskünfte zu erhalten. Dies könnte jedoch von ihm entsprechend erwartet werden, bevor ein Eintritt in die Beweisaufnahme geboten wäre.

Vorschaden gezielt verharmlost

Letztendlich könnte dies auch dahinstehen, da die beklagte Versicherung wegen einer arglistigen Obliegenheitsverletzung leistungsfrei geworden wäre. Denn der Kläger habe gegenüber dem von der Versicherung beauftragten Sachverständigen lediglich einen Teilbereich des Fahrzeuges hinten rechts als vorgeschädigt bezeichnet, obwohl der Vorschaden deutlich massiv und umfassender gewesen ist. Vor diesem Hintergrund teilt das OLG die Einschätzung des Landgerichtes, dass das Verschweigen des viel erheblicheren Umfangs des Vorschadens arglistig erfolgt wäre und die Beklagte ohne weitere Nachfragen dazu zu bewegen, in die Regulierung einzutreten und insoweit würde der Kläger arglistig gehandelt haben.

III. Bedeutung für die Praxis

Anforderungen an den Vortrag

Auch dieser Fall ist wie Entscheidung des OLG Celle (OLG Celle, Urt. v. 3.11.2021 – 14 U 86/21, VRR 8/2022, 13), dadurch gekennzeichnet, dass es um einen überlagernden Vorschaden aus der Vorbesitzzeit geht, bei dem es grundsätzlich dem Geschädigten verwehrt werden kann, dass ein Eintritt in die Beweisaufnahme zur Aufklärung des Umfangs des Vorschadens und seiner Reparatur erfolgte (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2019 – VI ZR 377/18; VRR 12/2019, 2 [Ls.]). Allerdings zeigen beide OLG-Entscheidungen, dass es durchaus unterschiedliche Auffassungen im Hinblick auf die Anforderungen gibt, wie detailliert ein Geschädigter in diesem Zusammenhang vortragen muss bzw. welche Aufklärungsbemühungen er vorzunehmen hat, um einen Minimalsachverhalt für den Eintritt in die Beweisaufnahme darzulegen. Anders als im Fall des OLG Celle hat augenscheinlich hier der Geschädigte es nicht für nötig erachtet, eine weitere Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und sich beispielsweise mit einem Zwischenverkäufer oder dem Vorbesitzer wegen der möglichen Reparatur des Fahrzeuges oder einer Untersuchung des Fahrzeuges auf Vorschäden in Verbindung zu setzen. Im Rahmen seiner recht strengen Auffassung nimmt diese Umstände OLG Koblenz zum Anlass, keinen weiteren Eintritt in die Beweisaufnahme vorzunehmen – anders als beim Fall des OLG Celle wäre dem Geschädigten in dieser Konstellation ohne weitere Untersuchung des Fahrzeuges beim Erwerb auch schwerlich möglich, den Nachweis einer vollständigen und fachgerechten Reparatur des Vorschadens zu erbringen.

Arglistige Täuschung gegenüber Versicherer

Vielmehr drängt sich hier auch ein anderes Bild auf: Augenscheinlich war dem Versicherungsnehmer grundsätzlich dieser Vorschaden bekannt. Dessen ungeachtet hat er den Vorschaden gegenüber dem eingeschalteten Sachverständigen als Erklärungsempfänger der Versicherung nicht im gebotenen Umfang aufgedeckt und dann liegt es in der Tat nahe, dass bei einer bewussten Bagatellisierung die Versicherung über den Umfang des Vorschadens getäuscht und so vorschnell zu einer Regulierung bewegt werden soll. Es liegt ein klassischer Fall einer arglistigen Täuschung vor, der ungeachtet der weiteren Hürden der Vorschadenproblematik im Bereich einer Kaskoversicherung zur Leistungsfreiheit führt.

RA und FA für VerkehrsR und VersR Dr. Michael Nugel, Essen

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