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Kein abgrenzbarer neuer Schaden bei verschwiegenen Altschäden

1. Es kann der Eintritt eines neuen unfallbedingten Schadens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nach § 287 ZPO nicht festgestellt werden, wenn die Geschädigte das Vorliegen unreparierter Altschäden verneint, ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger aber feststellt, dass gut zwei Drittel der geltend gemachten Reparaturkosten auf unreparierten Altschäden beruhen. Ein weiterer konkreter Vortrag zur Entstehung dieser Altschäden und ihrer Abgrenzung von einem angeblich neu eingetretenen Schaden ist nicht erfolgt.

2. Dies gilt insbesondere, wenn nach dem eingeholten Gutachten feststeht, dass es zuvor zu einem Unfallereignis/Sturzereignis gekommen sein muss und unklar bleibt, in welchem Umfang damals ein umgestürztes Motorrad beschädigt worden ist und warum die nunmehr geltend gemachten Schäden nicht auf einem oder mehreren älteren Ereignissen beruhen sollen.

3. Wenn ein unreparierter Altschaden verschwiegen wird, steht der Geschädigten auch kein Anspruch auf Ersatz der Sachverständigenkosten und bei einem fehlenden erstattungsfähigen Fahrzeugschaden sind auch Folgekosten wie Rechtsanwaltskosten sowie eine Unkostenpauschale nicht zu erstatten.

LG Bochum, Urt. v. 22.6.2021I 8 O 227/19
OLG Hamm, Beschl. v. 20.5.2022I 26 U 1332/21

I. Sachverhalt

Das Motorrad der Klägerin wurde bei einem Rangiermanöver des auf der Beklagtenseite versicherten Kleinwagens angestoßen und ist umgefallen. Zur Beseitigung der dadurch entstandenen Schäden verlangt die Klägerseite Reparaturkosten in Höhe von gerundet 7.500,00 EUR. Die Beklagtenseite ließ das Motorrad durch einen Sachverständigen besichtigen, welcher zu dem Ergebnis gekommen ist, dass bei dem Motorrad in erheblichem Umfang unfallunabhängige Altschäden bestanden haben und die Beklagtenseite lehnt vor diesem Hintergrund eine Schadensregulierung insgesamt ab.

Mehr als 50 % der Schäden sind unreparierte Altschäden

In dem laufenden Gerichtsverfahren behauptete die Klägerin weiterhin, dass alle Schäden auf dem hiesigen Unfallereignis beruhen würden. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige gelangte allerdings zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der verfolgten Schäden mit Reparaturkosten in Höhe von gut 5.100,00 EUR nicht auf dem Unfallereignis beruhen würden. Wenn überhaupt, ließe sich lediglich ein kompatibler Schaden in einer Größenordnung von 2.400,00 EUR ausmachen. Insbesondere wäre davon auszugehen, dass für Schäden im Bereich der Vorderradgabel auf einem anderen Anstoß/Unfallereignis beruhen würden und auch weitere Schäden im Bereich des Abgaskrümmers, des Stoßfängers und des Steuerungsgerätes nicht mit dem hiesigen Unfallereignis in Einklang gebracht werden können. Auch weitere Bauteile am Motorrad würden in einem nach innen gezogenen Bereich liegen, der bei dem hiesigen Ereignis nicht beschädigt worden sein könnte.

2. Instanz: Begrenzung auf kompatiblen Schaden

Auch nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens bestand die Klägerin weiterhin darauf, dass alle Schäden auf dem Unfallereignis beruhen sollten. Der Sachverständige hielt an seinem Sachverständigengutachten allerdings auch im Rahmen einer Erörterung in der mündlichen Verhandlung fest und die Klage wurde daraufhin abgewiesen. Die Klägerin verfolgte dann in der II. Instanz den angeblich unfallbedingt entstandenen Schaden lediglich in Höhe der vom Sachverständigen festgestellten möglicherweise kompatiblen Schäden mit 2.400,00 EUR.

II. Entscheidung

Entscheidend: Klägerin hat im Prozess erkennbare Altschäden verschwiegen

Sowohl das LG Bochum als auch das OLG Hamm als Berufungsgericht haben einen erstattungsfähigen Fahrzeugschaden allerdings zu Lasten der Klägerin verneint. Zwar können grundsätzlich im Rahmen der vorzunehmenden Schadensschätzung nach § 287 ZPO auch eine Abgrenzung zwischen Alt- und Neuschäden erfolgen. Dies würde allerdings voraussetzen, dass die Klägerin von Anfang an eine entsprechende Trennung zwischen Altschäden und Neuschäden vorgenommen und sich insoweit als redlich erwiesen hätte. Hier wäre der Sachverhalt allerdings dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin selbst nach dem eingeholten Sachverständigengutachten in der I. Instanz noch unzutreffend daran festgehalten hätte, dass alle Schäden auf dem Unfallereignis beruhen würden. Letztendlich hätte sie in der II. Instanz – so auch das OLG Hamm – dann eingeräumt, dass dem nicht so wäre und lediglich ein überschaubarer Anteil von gut einem Drittel der Reparaturkosten allein als unfallbedingt eingestuft werden müsste.

Der kompatible Schaden kann bei jedem Sturzereignis entstanden sein

Insbesondere wäre aber zu Lasten der Klägerin zu beachten, dass die Streifschäden im seitlichen Bereich des Motorrades ebenso gut bei einem anderen Sturzereignis hätten eintreten können. Dies gilt auch für die möglicherweise kompatiblen Schäden und jeglicher Sachvortrag der Klägerseite dazu, wie und auf welche Art und Weise denn die Altschäden entstanden sein sollen und warum auch die weiteren Schäden nicht auf einem älteren Unfall beruhen würden, fehlt jedoch vollständig. Auch würde nach den eingeholten Sachverständigengutachten feststehen, dass es zu einem weiteren Unfallereignis im Bereich der Frontgabel gekommen sein müsste – auch dazu würde jeder Sachvortrag der Klägerseite fehlen und dann konnte gerade nicht festgestellt werden, in welchem Umfang das Fahrzeug in der Vergangenheit schon bei einem früheren Unfall beschädigt worden wäre. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die möglicherweise kompatiblen Schäden schon vor dem hiesigen Unfallereignis nicht auch vorhanden gewesen sind, würde dies zu Lasten der Klägerseite gehen.

III. Bedeutung für die Praxis

Das LG Bochum und das OLG Hamm als Berufungsgericht hatten sich mit einer Konstellation zu befassen, die in der Praxis durchaus häufiger vorkommt. Nicht selten ist auch ein Geschädigter versucht, unreparierte Altschäden bei einem neu eingetretenen Schaden, der ein erhebliches Ärgernis darstellt, zu seinen Gunsten „mit reparieren oder abrechnen zu lassen“. Dies, obwohl er dazu verpflichtet ist, unreparierte Altschäden von Anfang an zu offenbaren und die gebotene Trennung zwischen Alt- und Neuschäden vorzunehmen (vgl. dazu auch KG VRR 10/2015, 2 [Ls.]). Wenn sodann durch ein Gerichtsgutachten festgestellt wird, dass nicht alle Schäden auf dem Unfallereignis beruhen, darf es im Regelfall dann nicht mehr so sein, dass der Geschädigte jetzt nur noch einen Mindestschaden geltend macht und vorher gefahrlos probieren konnte, der Versichertengemeinschaft des Unfallgegners unreparierte Altschäden mit „bei der Abrechnung unterzujubeln“ (anschaulich: OLG Celle VRR 6/2017, 9). Vor einer solchen Vorgehensweise kann mithin nur gewarnt werden und verbleibende Zweifel bei der Abgrenzung zwischen Alt- und Neuschäden gehen dann zu Lasten des Geschädigten, dessen Redlichkeit durch unzutreffende Angaben zur Vorschadenproblematik erschüttert ist.

RA und FA für VerkehrsR und VersR Dr. Michael Nugel, Essen

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