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VRR-Kompakt 2022-07

Teilreparatur: Vermischung von konkreter und fiktiver Abrechnung

Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Teilreparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist, da eine Kombination zwischen fiktiver und konkreter Schadensabrechnung insoweit nicht zulässig ist.

BGH, Urt. v. 5.4.2022 – VI ZR 7/21

Unklare Verkehrslage: Überholen bei einer größeren Kolonne von Fahrzeugen

Wer ordnungsgemäß zum Überholen einer Kolonne angesetzt hat, hat gegenüber ausscherenden Fahrzeugen aus der Kolonne Vorrang, auch wenn im weiteren Verlauf die Absicht, links abzubiegen, erkennbar wird. Das Überholen einer großen Kolonne von 9 bis 10 Fahrzeugen, ohne dass eine unklare Verkehrslage vorliegt, ist grundsätzlich erlaubt und führt nicht zu einem Mitverschulden. Gegebenenfalls kommt jedoch eine erhöhte Betriebsgefahr zum Ansatz. Verletzt der aus einer Kolonne Abbiegende seine Pflichten aus § 9 Abs. 1 StVO und kommt es deshalb zu einem Zusammenstoß mit einem die Kolonne ordnungsgemäß Überholenden, trifft den Abbiegenden die überwiegende Haftung.

OLG Celle, Urt. v. 8.6.2022 – 14 U 118/21

Linksabbieger: Behinderung des Gegenverkehrs

Behindert oder gefährdet ein linksabbiegender Fahrer an einer Kreuzung den ihn entgegenkommenden, rechtsabbiegenden Fahrzeugführer, so liegt eine Vorfahrtverletzung gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO vor und kein Spurwechsel im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO, selbst wenn die Straße, in die abgebogen werden soll, zweispurig ist, da durch den bevorrechtigten Rechtsabbieger lediglich ein Überfahren von Leitlinien bei der Ausübung des Vorfahrtrechtes erfolgt.

AG Brandenburg, Urt. v. 27.5.2022 – 31 C 290/20

Berufung: Ordnungsgemäße Signatur

Es ist nicht Aufgabe der Annahmestelle eines Berufungsgerichts, eine eingehende Berufungsschrift daraufhin zu überprüfen, ob sie eine ordnungsgemäße (einfache) Signatur enthält. Ein Rechtsanwalt hat selbst zu überprüfen, ob ein Schriftsatz im Sinne des § 130a Abs. 1 an seinem Ende die für eine einfache Signatur erforderlichen Angaben enthält. Er darf diese Aufgabe nicht an seine Angestellten übertragen. Für eine ordnungsgemäße einfache Signatur genügt die Angabe „Rechtsanwalt“ nicht; vielmehr muss sie auch den Namen des Rechtsanwalts enthalten.

OLG Hamm, Beschl. v. 28.4.2022 – 30 U 32/22

Verbotenes Rennen: Einzelkraftfahrzeugrennen

Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auszugehen ist, ist entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt. Eine Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit ist ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist. Darüber hinaus richtet sich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeugs. Die Tatbestandsmerkmale des grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens sind in gleicher Weise zu verstehen wie im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB. Bei der „Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ muss sich die Zielsetzung des Täters darauf richten, unter den konkreten situativen Gegebenheiten eine so hoch wie nur mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wobei eine weitergehende Motivation des Täters nicht ausgeschlossen ist.

KG, Beschl. v. 29.4.2022 – (3) 161 Ss 51/22

Trunkenheitsfahrt: E-Scooter

Der für Führer von Kraftfahrzeugen anerkannte so genannte Beweisgrenzwert, ab dem die alkoholbedingte Fahrunsicherheit unwiderleglich („absolut“) besteht, gilt auch für Fahrer von Elektrokleinstfahrzeugen, namentlich für Nutzer von E-Scootern. Bei einem Regelfall kann die sonst erforderliche Gesamtabwägung der für oder gegen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sprechenden Umstände unterbleiben, und die tatrichterliche Prüfung kann sich darauf beschränken, ob ausnahmsweise besondere Umstände vorliegen, die der Katalogtat die Indizwirkung nehmen könnten. Auch gegen einen alkoholbedingt fahrunsicheren Fahrer eines E-Scooters können die Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet werden.

KG, Beschl. v. 31.5.2022 – 3 Ss 13/22

Verfassungsbeschwerde: Gerichtliche Auslagenentscheidung

Eine gerichtliche Auslagenentscheidung verstößt gegen das Willkürverbot, wenn mit ihr ohne Begründung von dem Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen wird und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten und für sie ohne Weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt. (Leitsatz des Gerichts)

VerfGH Berlin, Beschl. v. 27.4.2022 – VerfGH 130/20

Revisionsbegründung: Elektronische Übersendung

Eine Revisionsbegründungsschrift muss nicht handschriftlich unterzeichnet sein, wenn sie gemäß § 32d Satz 2 StPO elektronisch übersandt wird und die Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erfolgt. Vielmehr genügt in diesem Fall, dass der Schriftsatz mit einer maschinenschriftlichen Wiedergabe des bürgerlichen Namens des die Revisionsbegründung verantwortenden Verteidigers oder Rechtsanwalts abgeschlossen wird.

BGH, Beschl. v. 3.5.2022 – 3 StR 89/22

Elektronisches Dokument: Signatur

§ 32a Abs. 3 StPO enthält für ein Dokument, das schriftlich abzufassen, zu unterschreiben oder zu unterzeichnen ist, zwei mögliche Wege der Übermittlung im elektronischen Rechtsverkehr bereit: Ein Weg ist die Übermittlung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person. Der andere Weg ist die (einfache) Signatur der verantwortenden Person bei gleichzeitiger Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg. Für die einfache Signatur reicht die Namenswiedergabe des Verfassers am Ende des Textes.

OLG Hamm, Beschl. v. 27.5.2022 – 5 RVs 53/22

Strafbefehlsrücknahme: Versand per beA

Mit Eingang der per beA versandten Einspruchsrücknahme auf dem Server des Gerichts tritt Rechtskraft des Strafbefehls und damit ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis ein, durch das sich das gerichtliche Verfahren von selbst erledigt hat. Darauf, dass dem eine Hauptverhandlung durchführenden Richter die Rücknahme des Einspruchs unbekannt geblieben ist, kommt es insoweit nicht.

OLG Celle, Beschl. v. 22.4.2022 – 1 Ss 5/22

Doppelzustellung: Fristbeginn

Die Zustellung einer Entscheidung an einen Verteidiger ist auch dann wirksam, wenn zwar keine schriftliche Vollmacht zu den Akten gelangt ist, er aber das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat, auf das die Bestätigung des Verteidigers aufgedruckt war, dass er „zur Empfangnahme legitimiert“ ist. Zwar ist im Falle einer sog. Doppelzustellung sowohl an den Betroffenen als auch an den Verteidiger eines in Abwesenheit verkündeten Urteils für den Beginn der Frist zur Anbringung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 341 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG nach § 37 Abs. 2 StPO grundsätzlich die zuletzt bewirkte Zustellung maßgeblich. Dies gilt aber dann nicht, wenn die zweite Zustellung erst zu einem Zeitpunkt ausgeführt wird, als die durch die erste Zustellung in Lauf gesetzte Frist bereits abgelaufen war, weil durch die Zustellung an einen weiteren Empfangsberechtigten nicht eine neue Frist eröffnet wird.

BayObLG, Beschl. v. 6.4.2022 – 202 ObOWi 366/22

Beiziehung von Messunterlagen: Verfahrensrüge

Wird als Behinderung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt beanstandet, dass Messunterlagen nicht beigezogen worden sind, bedarf es des ins Einzelne gehenden Vortrags dazu, welche Unterlagen bereits vorlagen und welche Unterlagen noch vermisst wurden.

OLG Köln, Beschl. v. 29.4.2022 – 1 RBs 97/22

Strafbefehl: Erlass in der Hauptverhandlung

Die Voraussetzungen von § 408a StPO liegen auch dann vor, wenn das Gericht dem ursprünglichen Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft nicht entsprochen, sondern gem. § 408 Abs. 3 S. 2 StPO Termin zur Hauptverhandlung bestimmt hat.

AG Landstuhl, Beschl. v. 24.5.2022 – 2 Cs 4231 Js 9469/21

Elektronisches Dokument: Glaubhaftmachung technischer Unmöglichkeit

Zur Glaubhaftmachung gemäß § 55d S. 4 Hs. 1 VwGO, dass die Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments auf technischen Gründen im Sinn von § 55d S. 3 VwGO beruhte, gehört die belastbare Angabe, dass die formgerechte (elektronische) Übermittlung aus technischen Gründen nur vorübergehend nicht möglich war. Eine solche Unmöglichkeit ist nicht glaubhaft gemacht, wenn die Angaben auch den Schluss zulassen, dass der Verwender generell versäumt hat, sich rechtzeitig und mit der gebotenen Sorgfalt um die Herstellung der erforderlichen technischen Voraussetzungen zu bemühen.

OVG Münster, Beschl. v. 31.3.2022 – 19 A 448/22.A

Elektronisches Dokument: Glaubhaftmachung technischer Unmöglichkeit

Die Erklärung, dass „wir bei der Übermittlung als ‚elektronisches Dokument‘ Probleme haben“ und elektronische Dokumente „aktuell nur empfangen“ werden könnten, was versichert werde, genügt nicht zur Glaubhaftmachung der technisch bedingten vorübergehenden Unmöglichkeit i.S.d. § 55d Sätze 3 und 4 VwGO.

OVG Münster, Beschl. v. 9.5. 2022 – 16 B 69/22

Fahreignung: Dauerbehandlung mit Arzneimittel

Nach der Anlage 4 FeV ist die Fahreignung jedenfalls dann zu verneinen, wenn im Rahmen einer Dauerbehandlung Arzneimittel eingenommen werden, die als Wirkstoff Amphetamin enthalten und drogentypische Ausfallerscheinungen beim Fahrerlaubnisinhaber festgestellt werden.

VG Koblenz, Beschl. v. 19.5.2022 – 4 L 455/22.KO

Berufungsrücknahme: Auslagenerstattung

Vor Kenntnis der Begründung eines von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels sind keine sachgerechten Vorbereitungen zur weiteren Verteidigung möglich oder erforderlich. Nimmt der Angeklagte dennoch zu diesem Zeitpunkt schon anwaltliche Hilfe in Anspruch, sind die dadurch entstehenden Auslagen nicht als notwendig im Sinne von § 473 Abs. 2 StPO anzuerkennen.

LG Wuppertal, Beschl. v. 16.5.2022 – 23 Qs 63/22

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