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Haftungsfragen bei Unfällen mit einem Gespann

Die Beurteilung von Ersatzansprüchen bei einer Kollision mit einem Kraftfahrzeug, welches einen Anhänger gezogen hat, kann eine Vielzahl an Besonderheiten aufweisen. Insoweit beschäftigen immer noch Altfälle die Gerichte, während der Gesetzgeber die Haftung eines solchen Gespannes, bestehend aus Zugfahrzeug und Anhänger, mit zwei Vorschriften im StVG und einer damit einhergehenden Vorschrift zur Doppelversicherung im VVG mit Wirkung zum 17.7.2020 bereits neu gefasst hat. Die damit verbundenen wichtigsten Grundsätze und Auswirkungen auf die Praxis werden in diesem Beitrag dargestellt.

I.

Die neue Gesetzeslage im Überblick

Die Neufassung der Vorschriften lässt sich insbesondere nur dann verstehen, wenn die Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 2010 zu dem Eingreifen der Doppelversicherung bei derartigen Verkehrsunfällen beachtet wird. Die Auswirkungen der dieser Vorschriften betreffen sowohl das Innen- als auch das Außenverhältnis aus der Gespannhaftung.

1. In der Vergangenheit

Ausgangspunkt für die Gespannhaftung ist die zum 1.8.2020 in Kraft getretene Gesetzesänderung, nach welcher Anhänger in § 7 StVG damals Kraftfahrzeugen gleichgestellt worden sind, um die Ansprüche des Unfallgeschädigten besser durchsetzen zu können. Seitdem haften die Halter sowohl der Zugmaschine als auch des Anhängers ohne Verschuldensnachweis allein aus der Betriebsgefahr im Außenverhältnis als Gesamtschuldner. In der Literatur und Rechtsprechung wurde für den Regress im Innenverhältnis in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 4 StVG davon ausgegangen, dass im Regelfall der Halter der Zugmaschine die alleinige Haftung zu übernehmen hat, wenn der Schaden durch das Zugfahrzeug selbst oder dessen Führer im Wesentlichen verursacht worden ist.

In seiner Grundsatzentscheidung vom 27.10.2010 (IV ZR 279/08, BGHZ 187, 211 = VRR 2011, 22) hatte der BGH jedoch eine andere Auffassung vertreten und mit seiner kontrovers erörterten Grundsatzentscheidung darauf abgestellt, dass Zugfahrzeug und Anhänger, wenn sie von ein und demselben Fahrzeugführer gefahren werden, als Betriebseinheit zu betrachten sind und eine klassische Doppelversicherung vorliegen würde. Dies führte dazu, dass im Innenverhältnis die Haftung nach den damaligen Grundsätzen über die Doppelversicherung nach § 78 VVG beide Halter zu gleichen Anteilen in Höhe von 50 % haften.

Hieraus resultierten erhebliche Auswirkungen für die Praxis, da konsequent die Prämien für die Haftpflichtversicherung von Anhängerhaltern angestiegen sind und dies wiederum zu erheblichen Kosten für Transportunternehmen und Anhängervermieter, aber auch klassische Wohnwagenhalter geführt hat, während zusätzlich auch noch besondere Schwierigkeiten bei der Regulierung von Verkehrsunfällen im Ausland zu verzeichnen waren, die bis heute die Gerichte beschäftigen – so hat z.B. das OLG Schleswig noch entschieden, dass selbst bei einer im Ausland geregelten subsidiären Haftung für Anhänger im Ergebnis ein hälftiger Regress bei einem LKW-Gespann-Unfall unter den beiden beteiligten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherern durchzuführen ist (OLG Schleswig, Urt. v. 14.5.2020 – 7 U 181/19). Auch das OLG Karlsruhe gelangt bei einem ausreichenden Bezug zu deutschem Recht zu einer jeweils hälftigen Haftung im Innenverhältnis für den Regress (OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.8.2021 – 12 U 155/21). Dies führte nunmehr zu einer entsprechenden Neuregelung durch den Gesetzgeber.

2. Neue Vorschriften im Überblick

Der Gesetzgeber hatte nunmehr zwei neue Vorschriften in das StVG eingeführt, die sich in § 19 StVG und § 19a StVG anfinden. Zugleich wurden in § 78 Abs. 3 VVG der Ausgleich zwischen zwei Haftpflichtversicherern als Doppelversicherer bei einem Gespannunfall neu geregelt und konsequent der neuen Regelung im StVG angepasst. Mit dieser Neuregelung soll im Wesentlichen der Regress im Innenverhältnis unter Gesamtschuldnern an die ursprünglich bestehende Rechtslage angepasst und die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2010 korrigiert werden (vgl. BT-Drucks 19/17964, S. 9).

§ 19 StVG regelt nunmehr umfassend die Haftung im Außenverhältnis als Gesamtschuldner gegenüber einem durch ein Gespann geschädigten Dritten als auch das Innenverhältnis zwischen dem Halter des Zugfahrzeuges und dem Anhänger im Fall eines entsprechenden Verkehrsunfalls. Der Halter eines Anhängers haftet weiterhin verschuldensunabhängig zusammen mit dem Halter der Zugmaschine als Gesamtschuldner und es bleibt im Außenverhältnis bei der bekannten Haftungsabwägung nach den Grundsätzen des § 17 StVG im Verhältnis zwischen dem Gespann als Haftungseinheit einerseits und einem weiteren am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeug. § 19a StVG regelt dabei die Ersatzpflicht des Führers von Anhänger und Gespann in Anlehnung an die Haftung eines Fahrzeugführers mit einem entsprechenden Verweis auf die bekannte Vorschrift des § 18 StVG.

§ 19 Abs. 4 StVG enthält nun eine differenzierte Regelung zur Haftung im Innenverhältnis, die im Regelfall zu einer alleinigen Haftung des Halters des Zugfahrzeuges führt und diese Grundsätze gelten auch entsprechend der Anwendung bei Verkehrsunfällen mit einem anderen Gespann, einem Tier oder einer Eisenbahn. Und § 78 Abs. 3 VVG regelt nun den Ausgleich im Innenverhältnis bei einer Doppelversicherung zwischen den zur Zahlung verpflichteten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungen jeweils von der Zugmaschine und dem Anhänger, der sich an dieser Haftung im Innenverhältnis orientiert.

3. Zeitlicher Anwendungsbereich

Nach § 65 Abs. 6 StVG ist das neue Recht für Verkehrsunfälle, die sich ab dem 17.7.2020 ereignet haben, anzuwenden. Für den Gesamtschuldnerausgleich im Rahmen einer Doppelversicherung unter den beteiligten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungen nach der neuen Vorschrift des § 78 Abs. 3 VVG fehlt es zwar an einer Übergangsregelung. Dies dürfte jedoch auf einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers beruhen und es wird nach dem gesetzgeberischen Willen davon auszugehen sein, dass der Ausgleich zwischen den Versicherern nach dem gleichen Recht und Grundsätzen abgewickelt werden soll wie zwischen den Haltern als mitversicherten Personen. Dies hat zur Folge, dass Altunfälle auch weiterhin nach dem alten Recht unter Berücksichtigung der Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 2010 abzuwickeln sind, während auch für den Regress unter Versicherern für einen Unfall, der ab dem 17.7.2020 eingetreten ist, das neue Recht gilt (vgl. auch Greger MDR 2021, 1 ff.).

II.

Auswirkungen auf die Ansprüche des Geschädigten

Hieraus ergibt sich folgendes Bild bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegenüber einem Gespann:

1. Haftung als Gesamtschuldner

Gesamtschuldner

Der bisher haften der Halter von Zugfahrzeug und Anhänger dem Verletzten aus der Betriebsgefahr des gesamten Gespannes als Gesamtschuldner gemäß § 19 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 StVG. Auch der Führer des Gespannes haftet aus dieser gesamtschuldnerischen Haftung nach § 19a Abs. 1 i.V.m. § 18 Abs. 1 StVG, es sei denn, er kann sich von dem vermuteten Verschulden exkulpieren. Wird ein Geschädigter verletzt, der sich keine Betriebsgefahr zurechnen lassen muss – wie beispielsweise ein Fußgänger oder Radfahrer – bestehen diese Grundsätze so lange, wie nicht durch die Halter des Gespanns die Grundsätze des Eingreifens höherer Gewalt nachgewiesen werden können.

Kollidiert das Gespann dagegen mit einem anderen Kfz, bleibt es bei den Haftungsgrundsätzen gegenüber der Beteiligung mehrerer Fahrzeuge. Das Gespann ist als entsprechende Haftungseinheit zu berücksichtigen und es steht dem Führer bzw. Halter frei, den Unabwendbarkeitsbeweis nach § 19 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 3 StVG zu führen. Ebenso wie der Halter der Zugmaschine haftet der Halter des Anhängers dem Geschädigten in voller Höhe, es sei denn, diesem kann eine Mithaftung unter dem Gesichtspunkt der erhöhten Betriebsgefahr oder gar einem eigenen Verschulden (Fußgänger oder Radfahrer nur bei einem nachgewiesenen Mitverschulden) nachgewiesen werden.

Auch in diesem Fall haften die Halter und Führer der beteiligten Fahrzeuge jeweils dem Dritten gegenüber gesamtschuldnerisch, wobei das Gespann auch weiterhin eine Haftungseinheit bildet und der Geschädigte seinen Anspruch sowohl gegenüber dem Halter der Zugmaschine als auch dem Halter des Anhängers und natürlich gegenüber dem Fahrzeugführer aus einem vermuteten Verschulden geltend machen kann.

2. Regress im Innenverhältnis

Im Innenverhältnis kann grundsätzlich der Halter des Anhängers verlangen, dass der Halter der Zugmaschine den Schaden alleine trägt und gegebenenfalls sogar ein gesamtschuldnerisch begründeter Freistellungsanspruch mit einer Zahlung an den Geschädigten besteht. Dies ändert sich nur dann, wenn der Anhänger mit einer deutlich höheren Betriebsgefahr zur Unfallverursachung beiträgt und entsprechend dem Anteil dieses Verursachungsbeitrages hat dann der Halter des Anhängers auch im Innenverhältnis einen Verantwortungsanteil gemäß § 19 Abs. 4 S. 2 und 3 StVG zu tragen. Dabei stellt § 19 Abs. 4 S. 4 wiederum klar, dass alleine das Ziehen eines Anhängers im Regelfall keine höhere Gefahr für das Zugfahrzeug begründet.

Diese Grundsätze gelten auch bei einem Regress der hinter den Haltern stehenden Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer unter Berücksichtigung der insoweit begründeten Doppelversicherung. Die neu geschaffene Vorschrift des § 78 Abs. 3 VVG sieht vor, dass auch zwischen Versicherern der Ausgleich im Innenverhältnis entsprechend der Regelung des § 19 Abs. 4 StVG und den damit verbundenen Verursachungsbeträgen erfolgt. Auch insoweit bleibt es bei der alleinigen Haftung des Kraftfahrzeughaftpflichtversicherers der Zugmaschine im Innenverhältnis – es sei denn, diese kann einen höheren Verursachungsanteil des Anhängers für den Schadenseintritt nachweisen.

Ein die Betriebsgefahr des Anhängers erhöhender Umstand muss sich dann aber auch unfallursächlich ausgewirkt haben. Zu denken wäre beispielsweise an ein Versagen gesondert vorgesehener Bremstechnik oder weiterer Hilfsprogramme bei einem Anhänger, die erst zum Verkehrsunfall führen oder den Unfalleintritt beschleunigen. Auch dürfte der Verlust von Ladung oder einer weiteren Einrichtung des Anhängers selbst (zum Beispiel eines Unterfahrschutzes) dazu führen, dass zumindest der überwiegende Verursachungsbeitrag beim Anhänger zu sehen ist. Letztendlich bleibt hier abzuwarten, welche Fallgruppen die Rechtsprechung hierzu mit welchen Haftungskriterien entwickeln wird.

3. Beschädigung des Anhängers durch einen Dritten

Für diese Konstellation ist zu beachten, dass auch in diesem Verhältnis das Gespann eine entsprechende Haftungseinheit bildet und sich daher der Eigentümer, wenn er zugleich Halter des Anhängers ist, sich die Betriebsgefahr eines gesamten Gespannes entgegenhalten lassen muss. Dies gilt beispielsweise auch für die erhöhte Betriebsgefahr, die aus den eingeschränkten Sichtverhältnissen oder der eingeschränkten Manövrierbarkeit bei einem großen Gespann resultiert, wenn sodann bei einem Rangiermanöver das LKW-Gespann mit einem Fahrzeug kollidiert, dessen Fahrzeugführer ebenfalls nicht die gebotene Sorgfalt im Verkehr eingehalten hat.

Gegenüber dem Halter der Zugmaschine kommt dagegen ein Schadensersatzanspruch nicht unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung aus der Betriebsgefahr, sondern nur bei einem entsprechenden Verschulden in Betracht. Denn § 19 Abs. 4 S. 5 StVO hebt insoweit hervor, dass für einen solchen Regressanspruch die allgemeinen Vorschriften und damit das Delikts- und Vertragsrecht einschlägig sind – beides setzt entweder eine schuldhaft erlaubte oder eine schuldhaft verletzte Vertragspflicht voraus, dadurch besteht auch die verschuldensabhängige Haftung für einen Verrichtungsgehilfen, wie beispielsweise einen Arbeitnehmer als Fahrzeugführer der Zugmaschine. Diese Grundsätze sind davon zu unterscheiden, dass im Innenverhältnis unter Gesamtschuldnern der Halter der Zugmaschine grundsätzlich für den entstandenen Fremdschaden aufzukommen hat – soweit es aber um einen möglichen Schaden im Bereich des Anhängers geht, greift diese gesetzgeberische Wertung gerade nicht ein, sondern zu Lasten des Halters und auch des Fahrzeugführers der Zugmaschine muss vielmehr ein Verschulden nach den allgemeinen Vorschriften festgestellt werden.

Dr. Michael Nugel, RA und FA für VerkehrsR sowie FA für VersR, Essen

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