Beitrag

Strategiewechsel des Fahrzeugherstellers im Rahmen des „Dieselskandals“

1. Jedenfalls dadurch, dass die Audi AG am 25.1.2018 ihre Vertragshändler und Servicepartner nicht nur von den Rückrufanordnungen des Kraftfahrtbundesamts (KBA) für die Audi Modelle mit V6- und V8-TDI-Motoren unterrichtet, sondern hierbei zugleich eine ausdrücklich so bezeichnete sowie anhand eines Musterschreibens („Beipackzettel“) erläuterte „Hinweispflicht“ gegenüber den Kunden statuiert hatte, hat das Unternehmen einen radikalen Strategiewechsel vollzogen und auch nach außen erkennbar sein Verhalten so grundlegend geändert, dass ab diesem Zeitpunkt der auf das Gesamtverhalten bezogene Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht mehr gerechtfertigt ist.

2. Ob und in welchem Umfang ein späterer Käufer entsprechend den Anweisungen der Audi AG tatsächlich aufgeklärt wurde, ist unerheblich. Es kommt weder auf seine Kenntnisse vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen noch auf seine Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen an. Nachdem die Audi AG ihren grundlegenden Strategiewechsel vollzogen hatte, wurde einem späteren Erwerber unabhängig von seinem Wissensstand und seinem subjektiven Vorstellungsbild nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Bamberg, Urt. v. 22.12.20213 U 299/21

I. Sachverhalt

Gebrauchtwagenkauf in 2018

Der Kläger erwarb am 25.4.2018 von einem Vertragshändler bzw. Servicepartner der beklagten Audi AG ein Gebrauchtfahrzeug der Marke Audi, Typ A7 Sportback S-Line zum Kaufpreis von 48.000,00 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 3,0 Liter-V6-Turbodieselmotor ausgestattet. Das KBA rief zahlreiche Fahrzeuge des vorgenannten Typs – darunter auch das Fahrzeug des Klägers – zurück, weil deren Überprüfung eine unzulässige Abschalteinrichtung ergeben habe. Darüber informierte das Kraftfahrbundesamt die Öffentlichkeit mit einer Pressemitteilung vom 23.1.2018. Die Beklagte entwickelte daraufhin in Absprache mit dem Kraftfahrbundesamt ein Software-Update, das die Beanstandungen beheben sollte. Das Kraftfahrtbundesamt gab die Software am 26.11.2018 frei. Der Kläger ließ das Software-Update am 8.7.2020 aufspielen.

Der Kläger begehrt von der Beklagten aufgrund einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung u.a. die Rückzahlung des um die Gebrauchsvorteile gekürzten Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges.

Rückzahlungsforderung

Die Beklagte verwies auf eine am 21.7.2017 veröffentliche Pressemitteilung sowie eine ab dem 25.1.2018 über die internetbasierte Informationsplattform „AudiPartnerPortal (APP)“ erfolgte Information an ihre Vertragshändler und Servicepartner über die Beanstandungen am streitgegenständlichen Fahrzeug. Schließlich habe sie eine Internetseite eingerichtet, auf der eine mögliche Betroffenheit des Fahrzeugs anhand der Eingabe der FIN überprüft werden konnte. Durch diesen Strategiewechsel läge insgesamt kein sittenwidriges Verhalten mehr vor.

Das Landgericht gab der Klage im Wesentlichen statt, wogegen sich die Beklagte mit ihrer Berufung richtet.

II. Entscheidung

Die Berufung hatte Erfolg und führte zur Klageabweisung insgesamt.

Kein §§ 826, 31 BGB

Aus Sicht des OLG scheide der Anspruch wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach §§ 826, 31 BGB (oder § 831 BGB) von vornherein aus, weil die Beklagte ihr Verhalten bereits vor dem Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowohl im Sinne eines grundlegenden Strategiewechsels als auch nach außen erkennbar geändert habe mit der Folge, dass der im Raum stehende Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten jedenfalls gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt sei.

Sittenwidrigkeit bei zeitlichem Auseinanderfallen von Verhalten und Schaden

Bei der Bewertung eines schädigenden Verhalts als sittenwidrig sei im hier vorliegenden Fall, in welchem die erste potentiell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen, das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens bei dem konkret Geschädigten zugrunde zu legen. Denn im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB werde das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens bei dem konkret Geschädigten begründet; der haftungsbegründende Tatbestand setze die Zufügung eines Schadens zwingend voraus. Deshalb könne im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig dargestellt habe, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkret Geschädigten diesem gegenüber als nicht sittenwidrig zu werten sein. Hiervon sei insbesondere dann auszugehen, wenn wesentliche Elemente, die das bisherige Verhalten des Schädigers gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als besonders verwerflich erscheinen ließen, durch die Änderung seines Verhaltens derart relativiert werde, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf sein Gesamtverhalten gegenüber dem später betroffenen Geschädigten und im Hinblick auf den Schaden, der diesem entstanden war, nicht gerechtfertigt sei.

Gesamtbetrachtung erforderlich

Hieran gemessen lasse sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des Verhaltens der Beklagten keine nach außen erkennbare Verhaltensänderung vor Eintritt des Schadens beim Kläger feststellen, die dazu führe, dass das Inverkehrbringen des Fahrzeugs jedenfalls dem Kläger gegenüber nicht mehr als sittenwidrig zu werten sei.

Abzustellen sei hierbei jedoch nicht auf die Pressemitteilung vom 21.7.2017, welche zwar eine Information der Öffentlichkeit über ein – durchaus umfangreiches – „Nachrüstprogramm“ für insgesamt bis zu 850.000 Fahrzeuge der Beklagten enthalte. Allerdings fehle jeder Hinweis auf Beanstandungen des KBA oder gar einen (drohenden) Rückruf durch dieses, den Einsatz (vermeintlich) unzulässiger Abschalteinrichtungen oder auch nur den Dieselskandal im Allgemeinen.

Auch eine Pressemitteilung des KBA vom 23.1.2018 sei ebenso wie die nachfolgende überregionale Medienberichterstattung nicht geeignet, einen Strategiewechsel oder eine Verhaltensänderung der Beklagten zu belegen, weil es sich nicht um Handlungen der Beklagten selbst und damit nicht um Handlungen des (etwaigen) Schädigers handele. Soweit die Beklagte Fahrzeugkäufern auf einer Internetseite die Möglichkeit bot, mittels Eingabe der FIN die Betroffenheit des von ihnen erworbenen Fahrzeugs zu überprüfen, fehle jeder Vortrag dazu, seit wann diese Möglichkeit bestanden und ob sie insbesondere auch dem Kläger bereits zur Verfügung gestanden habe.

Zäsur durch Anweisung an Vertragshändler

Eine Zäsur durch eine grundlegende Verhaltensänderung der Beklagten sei aber spätestens darin zu erkennen, dass sie ab dem 25.1.2018 ihre Vertragshändler und Vertriebspartner angewiesen.habe, sämtliche (potenziellen) Fahrzeugkäufer über den Rückruf des Fahrzeugs durch das KBA und die Erforderlichkeit eines Software-Updates vor dem Fahrzeugkauf mündlich und schriftlich aufzuklären.

So sei den Vertragshändlern und Servicepartnern mitgeteilt worden, dass vom KBA „für Audi Modelle mit V6- und V8-TDI-Motoren Rückrufe angeordnet“ worden seien, wobei die betroffenen Modelle im Handel sicher identifiziert werden könnten. Sodann sei den Vertragshändlern und Servicepartnern die folgende Anweisung erteilt worden: „Wenn ein betroffenes Fahrzeug ohne durchgeführtes Update verkauft wird, besteht eine Hinweispflicht an den Kunden. Es muss sichergestellt werden, dass diese Hinweispflicht bei Verkäufen aus dem Gebrauchtwagenbestand umgesetzt wird. … Für die Hinweispflicht benutzen Sie bitte das folgende Musterschreiben: […]“

In dem Musterschreiben („Beipackzettel“) heißt es unter anderem: „wir freuen uns, dass Sie Interesse am Kauf dieses Fahrzeugs, Fahrgestellnummer … der Marke Audi haben. Wie Sie sicherlich der Presse bereits entnommen haben, bietet Audi für Kunden ein Nachrüstprogramm für EU5/EU6 Dieselfahrzeuge an. … Für diese 850.000 Fahrzeuge werden in Absprache mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) Software Updates durchgeführt, die zum Teil angeordnet, zum Teil freiwillig vorgenommen werden. Das vorliegende Fahrzeug gehört zu dieser Gruppe. Audi arbeitet mit Hochdruck daran, die neue Software zu entwickeln, ausführlich zu testen und dann von den Behörden freigeben zu lassen. …“

Durch diese Maßnahme, die schon im Vorfeld des Vertragsschlusses angesiedelt gewesen sei, werde nach Auffassung des OLG deutlich, dass die Beklagte fortan nicht mehr die Arglosigkeit von Fahrzeugkäufern habe ausnutzen wollen. Sie habe die Vertragshändler und die Servicepartner auf den erfolgten Rückruf durch das KBA hingewiesen und diese angewiesen, die Kunden mittels eines Musterschreibens aufzuklären. Auf dieser Grundlage könne das Verhalten der Beklagten bei der gebotenen Gesamtbetrachtung insbesondere nicht mehr einer arglistigen Täuschung gleichgesetzt werden.

Nach Auffassung des OLG könne von der Beklagten auch nicht verlangt werden und sei es auch nicht erforderlich, dass die Beklagte die Abschalteinrichtung (öffentlich) als illegal brandmarkt. Durch den Hinweis, dass die Maßnahmen „zum Teil angeordnet“ gewesen seien und dass es erforderlich sei, eine Software zu entwickeln, die vom KBA geprüft und freigegeben werden müsse, habe die Beklagte zugleich die enge Einbindung der zuständigen Behörden offengelegt.

Die seitens der Beklagten erfolgte deutliche und unmissverständliche Anweisung, die zunächst intern weitergegebenen Informationen auch potentiellen Fahrzeugkäufern zur Verfügung zu stellen, stelle aus Sicht des OLG und entgegen der vom Kläger geäußerten Auffassung eine Maßnahme mit gezielter Außenwirkung dar, wobei sich die Beklagte darauf verlassen durfte, dass ihre Vertragshändler dieser Anweisung nachkommen würden. Weitere Maßnahmen zur Sicherung der Aufklärung potenzieller Käufer habe sie nicht ergreifen müssen.

Musterschreiben inhaltlich ausreichend, um für Transparenz zu sorgen

Und auch wenn das Musterschreiben in Teilen beschönigende Tendenzen aufweise, habe die Beklagte dadurch im Ergebnis für eine ausreichende Transparenz gegenüber den Käufern gesorgt. Ein aus moralischer Sicht tadelloses Verhalten der Beklagten im Sinne einer optimalen Verbraucheraufklärung, ein ausdrückliches „Eingeständnis“ hinsichtlich des im Raum stehenden Manipulationsverdachts, einer näheren Erläuterung der möglichen Auswirkungen des Produktmangels auf die Zulassungsfrage oder eine Aufklärung, die tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung sicher verhindert, seien zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich gewesen.

Vielmehr genüge ein Aufklärungsniveau, das jeden potentiellen Kunden in die Lage versetzte, die Situation bei Dieselfahrzeugen der – in den Hinweisen der Beklagten ausdrücklich angesprochenen – Produktpalette als suspekt zu erkennen und den alarmierenden Hinweisen selbstständig weiter nachzugehen.

Auf tatsächliche Aufklärung des Käufers kommt es nicht an

Auf eine tatsächliche Aufklärung des Klägers komme es aus Sicht des OLG nicht an, sondern vielmehr ausschließlich auf den Willen der Beklagten, die Arglosigkeit der Käufer auszunutzen. Ob der Kläger (noch) arglos war, sei demgegenüber unerheblich; denn es komme insoweit weder auf seine Kenntnisse vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen noch auf seine Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen an. Käufern, die sich – wie der Kläger – erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihren Strategiewechsel vollzogen gehabt habe, sei unabhängig von ihrem Wissensstand und ihrem subjektiven Vorstellungsbild der eingetretene Schaden jedenfalls nicht (mehr) sittenwidrig zugefügt worden.

III. Bedeutung für die Praxis

Fraglich

Reichen die von Audi ergriffenen Maßnahmen schon wirklich aus, um den Vorwurf der Sittenwidrigkeit entfallen zu lassen? Hierüber wird man sicherlich trefflich streiten können. Denn immerhin hat Audi im Vorfeld erhebliche Anstrengungen unternommen, um Verbraucher zu täuschen. Dann aber müssen auch erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass der Verbraucher bei einem geplanten Strategiewechsel unterrichtet und aufgeklärt wird. Wenn sich Audi dann eines Händlers bedient, um die Aufklärung durchzuführen, muss es im Ergebnis bei einer Letztverantwortung von Audi bleiben, sollte die entsprechende Aufklärung durch den Händler nicht erfolgen.

Verjährt

So liegt der Fall hier, weshalb der Kläger bei Rechtskraft der Entscheidung leer ausgehen wird. Denn vertragliche Ansprüche gegen den Händler waren zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Betroffenheit des Fahrzeuges bereits verjährt, sodass ein Vorgehen gegen den Händler bereits zu diesem Zeitpunkt ausschied.

Markus Schroeder, RA und FA für VerkehrsR, Velbert

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