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Entziehung der Fahrerlaubnis

Zur Bindungswirkung an die Feststellungen eines Strafbefehls zur Eignungsbeurteilung im Entziehungsverfahren.

Leitsatz des Verfassers

BayVGH, Beschl. v. 28.1.2022 – 11 CS 21.2171

I. Sachverhalt

Gestritten wird um die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A und B (mit Unterklassen).

Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 20.2.2019 verhängte das AG Schwandorf gegen den Antragsteller wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung eine Geldstrafe sowie ein Fahrverbot von vier Monaten. Unter Bezugnahme auf den Sachverhalt des Strafbefehls forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben v. v. 11.5.2020 auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Nachdem innerhalb der bis zum 2.4.2021 verlängerten Frist kein Gutachten vorgelegt wurde, entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 27.4.2021 die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung unmittelbaren Zwangs auf, den Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids abzugeben. Ferner ordnete sie die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.

Hiergegen hat der Antragsteller fristgerecht Klage erhoben und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt, den das VG abgelehnt hat. Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt. Die hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Der BayVGH führt aus, dass dann, wenn sich der von Fahrerlaubnisinhaber weigere, sich untersuchen zu lassen, oder er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringe, diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen dürfe (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Hier beschränke sich das Beschwerdevorbringen des Antragstellers im Wesentlichen auf die Frage, ob der Strafbefehl des AG Schwandorf vom 20.2.2019 dem Schluss aus der Nichtvorlage des angeforderten Gutachtens auf die fehlende Eignung des Antragstellers entgegenstehe. Das habe das VG zu Recht verneint.

Wolle die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen sei, so könne sie gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung u.a. der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Dabei gelte die in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angeordnete Bindungswirkung nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren unter Einschluss der vorbereitenden Maßnahmen, sodass in derartigen Fällen die Behörde schon die Beibringung eines Gutachtens nicht anordnen dürfe. Mit dieser Vorschrift solle die sowohl dem Strafrichter (vgl. § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet werde. Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine innere Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als Maßregel der Besserung und Sicherung keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr sei. Allerdings sei die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruhe und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen habe. Die Bindungswirkung lasse sich nur rechtfertigen, wenn die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen könne, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt habe. Andere Erkenntnisquellen kommen aus Gründen der Rechtsklarheit nicht in Betracht. Deshalb entfalle die Bindungswirkung, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthalte oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat (vgl. zum Ganzen BVerwGE 80, 43; BayVGH DAR 2021, 647).

Diese Grundsätze gelten, so der BayVGH, auch, wenn das Strafgericht einen Strafbefehl erlasse (§ 3 Abs. 4 Satz 2 StVG). Um den Eintritt einer Bindung überprüfen zu können, verpflichte § 267 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 409 Abs. 1 Satz 3 StPO den Strafrichter zu einer besonderen Begründung, wenn er im Strafbefehl von der Entziehung der Fahrerlaubnis absehe, obwohl dies – wie hier (§ 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB) – nach der Art der Straftat in Betracht gekommen wäre (vgl. auch BVerwG, a.a.O.; Maur in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 409 Rn 10). Demnach habe hier die Bindungswirkung nach § 3 Abs. 4 StVG der Anordnung, ein Gutachten beizubringen, nicht entgegengestanden. Der Strafbefehl des AG Schwandorf vom 20.1.2019 enthalte keine Ausführungen zur Fahreignung des Antragstellers und einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB, sondern verhalte sich allein zur Frage eines Fahrverbots (§ 44 StGB). Ihm lasse sich damit bereits nicht entnehmen, ob das Strafgericht eine eigenständige Eignungsbeurteilung in dem von § 3 Abs. 4 StVG vorausgesetzten Sinn überhaupt vorgenommen habe. Die vom Antragsteller daraus gezogene Schlussfolgerung, das Strafgericht habe die Fahreignung stillschweigend bejaht, finde nach den vorgenannten Grundsätzen keine Stütze im Gesetz (vgl. dazu auch BayVGH BayVBl 2009, 111; u.a. OVG Münster DAR 2004, 721; OVG Bautzen DAR 2017, 650; OVG Hamburg VRS 89, 151; OVG Lüneburg NJW 1971, 956; Koehl in MüKo StVR, 1. Aufl. 2016, § 3 StVG Rn 81; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 3 StVG Rn 59).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung entspricht, wie die vom BayVGH zitierte Rechtsprechung zeigt, der h.M. in dieser Frage.

Der BayVGH verneint im Übrigen auch, was zutreffend ist, einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem; Art. 103 Abs. 3 GG) durch die Entziehung der Fahrerlaubnis. Den hatte der Antragsteller unter Hinweis darauf geltend gemacht, dass gegen ihn wegen der Tat bereits ein Fahrverbot verhängt worden sei. Der BayVGH verweist zu Recht darauf, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen der Nichteignung des Betroffenen eine präventive Maßnahme der Gefahrenabwehr ist und nicht der Sanktionierung eines Verhaltens dient (vgl. dazu auch BVerfGE 20, 365; VGH Baden-Württemberg zfs 2006,; BayVGH, Beschl. v. 3.11.2021 – 11 CS 21.1000).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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