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Bestimmung des Wertes des Erlangten im selbstständigen Einziehungsverfahren

1. Entscheidet das Tatgericht im selbstständigen Einziehungsverfahren nach § 29a Abs. 5 OWiG durch Urteil, so kann die Staatsanwaltschaft hiergegen Rechtsbeschwerde entsprechend § 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG einlegen, sofern das Urteil den im Einziehungsbescheid festgesetzten Einziehungsbetrag um wenigstens 600 EUR unterschreitet (Anschl. an BGH, NStZ-RR 2020, 322 und OLG Karlsruhe Beschl. v. 28.12.2020 – 2 Rb 21 Ss 699/20, juris).

2. Zur Bestimmung des erlangten Vorteils i.S.v. § 29a Abs. 1 OWiG sind alle Vermögenswerte heranzuziehen, die einem Tatbeteiligten aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs rein gegenständlich zugeflossen sind, ohne dass es auf eine „unmittelbare“ Kausalbeziehung zwischen Tat und Bereicherung oder den Schutzzweck der Verbotsnorm ankommt (Anschl. u.a. an OLG München NZWiSt 2019, 275).

3. Nach § 29a Abs. 3 Satz 1 OWiG sind Gegenleistungen oder sonstige Aufwendungen des Täters abzuziehen, sofern sie in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Tat und dem daraus Erlangten erbracht worden sind. Dabei hat nach § 29a Abs. 3 Satz 2 OWiG das außer Betracht zu bleiben, was willentlich und bewusst „für“ die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt wird. Jedoch sind Aufwendungen, die zwar für ein verbotenes Geschäft angefallen sind, bei denen der Tatbeteiligte das Verbotene des Geschäfts aber lediglich fahrlässig verkannt hat, abzugsfähig (Anschl. u.a. an OLG Zweibrücken NStZ 2020, 427 und OLG Karlsruhe NZV 2019, 539).

(Leitsätze des Gerichts)

BayObLG, Beschl. v. 13.12.2021201 ObOWi 1453/21

I. Sachverhalt

Einziehungsbeteiligte erzielt Vergütung durch unzulässigen Fahrereinsatz

Gegen die Einziehungsbeteiligte wurde im Bescheid die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 94.900 EUR gem. § 29a Abs. 5 OWiG angeordnet. Die Einziehungsbeteiligte ließ insgesamt 162 Fahrten im Güterverkehr durch einen bei ihr angestellten Fahrer mit drei verschiedenen Sattelzugmaschinen mit Anhänger im beladenen Zustand vornehmen, obwohl der Fahrer nicht über den Nachweis der Qualifikation nach dem Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetz (BKrFQG) verfügte, sodass der Fahrer Ordnungswidrigkeiten nach §§ 2, 9 BKrFQG a.F. begangen hat. Abzüge nach § 29a Abs. 3 OWiG seien nach Aktenlage nicht bekannt und auch nicht vorzunehmen. Das Verfahren gegen den Fahrer L hat die Verwaltungsbehörde gem. § 47 Abs. 1 OWiG eingestellt, ein Bußgeldverfahren gegen die Einziehungsbeteiligte nicht in die Wege geleitet. Die Rechtsbeschwerde war zulässig (s. Leitsatz 1) und in der Sache erfolgreich.

II. Entscheidung

1. Prüfungsschritt: Das Erlangte

Soweit das AG darauf abstellt, dass die Einziehungsbeteiligte „spiegelbildlich“ durch die mit Geldbuße bedrohte Handlung etwas erlangt haben muss und hierbei zugrunde legt, welche Aufwendungen die Einziehungsbeteiligte durch Einstellung eines Fahrers ohne die erforderliche Berufsfahrerqualifikation erspart hat, orientiere es sich ersichtlich an der zu § 29a OWiG a.F. ergangenen Rechtsprechung. Nach der zum 1.7.2017 im Rahmen der Reform zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung erfolgten Neufassung des § 29a OWiG sei das erlangte Etwas, dessen Wert der Einziehung unterliegen kann, nunmehr in zwei Schritten zu ermitteln. Auf der ersten Prüfungsstufe zur Bestimmung des erlangten Vorteils nach § 29a Abs. 1 OWiG (in den Fällen der Dritteinziehung ggf. i.V.m. § 29a Abs. 2 OWiG) komme es nicht mehr darauf an, dass der erlangte Vorteil unmittelbar aus der Tat entstanden ist, die Abschöpfung also spiegelbildlich dem Vermögensvorteil entspricht. Dieser unmittelbare Zusammenhang sei aus dem früheren Tatbestandsmerkmal „aus“ in § 29a Abs. 1 OWiG a.F. hergeleitet worden, mit der Änderung dieses Tatbestandsmerkmals in „durch“ aber genüge nach neuer Rechtslage ein rein tatsächlicher Kausalzusammenhang zwischen der Erwerbstat und dem Vermögenszufluss, so dass der Begriff „etwas“ die Gesamtheit des materiell tatsächlich Erlangten erfasse, also die Gesamtheit der messbaren wirtschaftlichen Vorteile, die dem Täter (oder im Falle der Dritteinziehung einem tatunbeteiligten Dritten) durch die Tat zugeflossen sind (OLG München NZWiSt 2019, 275). Mithin würden als erlangt alle Vermögenswerte gelten, die einem Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs rein gegenständlich zugeflossen sind, ohne dass es auf eine „unmittelbare“ Kausalbeziehung zwischen Tat und Bereicherung ankommt. Eine weitere Einschränkung, wie etwa eine Betrachtung nach dem Schutzzweck der Verbotsnorm, dürfe nach neuer Rechtslage nicht (mehr) vorgenommen werden.

2. Prüfungsschritt: Abzugsfähige Aufwendungen

Nach § 29a Abs. 3 OWiG bestimme sich in einem zweiten Prüfungsschritt, ob und ggf. in welchem Umfang Aufwendungen des Täters (oder im Falle der Dritteinziehung des Drittbegünstigten) in Abzug zu bringen sind. Nach § 29a Abs. 3 Satz 1 OWiG seien nunmehr bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten Gegenleistungen oder sonstige Aufwendungen des Täters oder des Dritten abzuziehen, sofern diese in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Tat und dem daraus Erlangten erbracht worden sind, mithin solche, die den einziehungsbegründenden Gegenstandserwerb ermöglicht haben, nicht aber solche, die auch ohne einziehungsbegründenden Gegenstandserwerb entstanden wären. Nach § 29a Abs. 3 Satz 2 OWiG bleibe jedoch außer Betracht, was willentlich und bewusst für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt wird (OLG Zweibrücken NStZ 2020, 427). Diese Aufwendungen sollten nach dem Willen des Gesetzgebers weder dem Täter noch einem Drittbegünstigten im Rahmen der Vermögensabschöpfung mindernd zugutekommen. Folglich müsse die Handlung oder das Geschäft, das unmittelbar zur Vermögensmehrung führt, selbst verboten sein. Nach dem Willen des Gesetzgebers enthalte das Tatbestandsmerkmal „für“ dabei eine subjektive Komponente, sodass nur solche Aufwendungen dem Abzugsverbot unterliegen, die willentlich und bewusst für das verbotene Geschäft eingesetzt wurden (BGH NJW 2021, 3669). Hieraus folge, dass auch solche Aufwendungen bei der Bestimmung des Erlangten abzuziehen sind, die zwar für ein verbotenes Geschäft angefallen sind, bei denen der Täter das Verbotene des Geschäfts jedoch lediglich fahrlässig verkannt hat (OLG Karlsruhe VRR 8/2019, 17 = NZV 2019, 539 [Fromm]).

Im konkreten Fall

Gemessen hieran erweise sich die Bestimmung des Erlangten durch das AG schon deshalb als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil es verkannt hat, dass auf der ersten Prüfungsstufe zur Bestimmung des von der Einziehungsbeteiligten Erlangten die für die durchgeführten Transporte insgesamt erhaltene volle Gegenleistung abzüglich der Mehrwertsteuer zugrunde zu legen gewesen wäre (OLG Karlsruhe a.a.O.). Insoweit fehle es an tragfähigen Feststellungen, in welcher Höhe die Einziehungsbeteiligte jeweils Einnahmen aus den verfahrensgegenständlichen 162 Fahrten ihres Fahrers erzielt hat. Dasselbe gelte für die im zweiten Prüfungsschritt zu klärende Frage, ob und ggf. in welcher Höhe von der Einziehungsbeteiligten für diese Fahrten erbrachte Aufwendungen – wie etwa Lohnkosten für den Fahrer, Kraftstoffkosten, Aufwendungen für Maut – in Abzug zu bringen sind oder ob diese einem Abzugsverbot unterlagen, sofern gem. § 29a Abs. 3 Satz 2 OWiG das, was willentlich oder bewusst für die Begehung der Tat aufgewendet wurde, nicht berücksichtigt werden dürfte. Dies erfordere tragfähige Feststellungen zu der zum Abzugsverbot (§ 29a Abs. 3 Satz 2 OWiG) durch das Tatbestandsmerkmal „für“ vorausgesetzten subjektiven Komponente. Die Frage der Verantwortlichkeit der Einziehungsbeteiligten sowie ihres Fahrers habe das AG daher nicht offenlassen dürfen. Da vorliegend Gegenstand der Einziehung die bei der Einziehungsbeteiligten aus den ohne die erforderliche Berufsqualifikation des Fahrers durchgeführten Transportfahrten entstandenen Vorteile seien und sie die Adressatin der Einziehungsanordnung sei, erscheine es naheliegend, bei der Prüfung der subjektiven Komponente des Abzugsverbotes nach § 29a Abs. 3 Satz 2 OWiG – ebenso wie in Fällen der Überschreitung der zulässigen Fahrzeughöhe bzw. des zulässigen Gesamtgewichts des Fahrzeugs – in erster Linie auf das bei ihr oder bei dem von ihr eingesetzten Personalverantwortlichen bestehende Vorstellungsbild abzustellen, dessen Kenntnisstand sie sich zurechnen lassen muss (OLG Celle VRS 138, 210; OLG Karlsruhe a.a.O.). In Bezug auf die Abzugsfähigkeit angefallener Aufwendungen müsse sich die Einziehungsbeteiligte jedoch auch den Kenntnisstand ihres Fahrers zurechnen lassen, wenn dieser „bewusst und willentlich“ die Fahrten ohne gültigen Nachweis seiner Berufskraftfahrerqualifikation unternommen hat. Sofern die strikte Anwendung des Abzugsverbots im Einzelfall zu besonderen Härten für die Einziehungsbeteiligte führen sollte, könne diesem Umstand bei der Handhabung des Opportunitätsprinzips Rechnung getragen werden.

Bedeutung für die Praxis

Grundkurs

Der Beschluss bringt nichts Neues. Gleichwohl ist er hilfreich, weil das BayObLG einen Grundkurs zur Bestimmung des Wertes von Taterträgen seit der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung im Jahr 2017 gibt, hier zur Einziehung nach § 29a OWiG (näher hierzu Deutscher VRR 8/2019, 4; Rechtsprechungsübersicht zur Reform bei Deutscher StRR 12/2020, 6). Zur Vollständigkeit ist darauf hinzuweisen, dass entgegen der Ansicht des BayObLG der Schutzzweck der verletzten Norm durchaus von Bedeutung sein kann für die Bestimmung des Erlangten. Anders als beim repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt besteht das Erlangte beim präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (etwa beim Verstoß gegen Melde- und Erklärungspflichten) lediglich in den ersparten Aufwendungen für das behördliche Verfahren (dazu Burhoff/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1105 m. N.).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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