Beitrag

Wirksamkeit der Ersatzzustellung eines Bußgeldbescheides

1. Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten erfordert, dass der Betroffene dort tatsächlich wohnhaft ist, ohne dass der melderechtliche Status ausschlaggebend ist.

2. Eine Ersatzzustellung unter dem Nebenwohnsitz setzt voraus, dass der Betroffene entweder den Anschein gesetzt hat, dort tatsächlich aufhältlich zu sein oder sich tatsächlich dort aufgehalten hat.

3. Die Heilung eines Zustellungsmangels setzt den Zugang bei einem tatsächlich Empfangsberechtigten voraus und erfordert wenigstens den Zugang einer Kopie oder eines Scans. Andere Formen der Übermittlung führen aber wegen der Fehleranfälligkeiten derartiger Übermittlungswege grundsätzlich nicht zur Heilung eines Zustellungsmangels.

(Leitsätze des Gerichts)

BayObLG, Beschl. v. 17.11.2020 – 201 ObOWi 1385/20

I. Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen wegen eines am 13.8.2019 begangenen Abstandsverstoßes verurteilt. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts und macht insbesondere den Eintritt der Verfolgungsverjährung geltend. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Der Rüge des Betroffenen liegt folgender Verfahrensablauf betreffend den Verjährungseinwand zugrunde: Nach Durchführung von Ermittlungen, werden auf den Vater des Betroffenen zugelassenen Pkw bei dem Verkehrsverstoß geführt hat, ordnete das Bayerische Polizeiverwaltungsamt am 15.10.2019 die Anhörung des Betroffenen an. Der Bußgeldbescheid wurde am 20.11.2019 erlassen und durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten am 22.11.2019 unter der Anschrift in A zugestellt. Der Betroffene war seit 1.8.2019 mit Hauptwohnsitz in F und in A mit einer Nebenwohnung gemeldet. Die Verteidigerin hat mit am 6.12.2019 beim bayerischen Polizeiverwaltungsamt eingegangenem Schreiben gegen den Bußgeldbescheid vom 20.11.2019 „namens und in Vollmacht des Mandanten“ Einspruch eingelegt, ohne eine schriftliche Verteidigervollmacht vorzulegen. Die Akten wurden am 11.2.2020 dem Amtsgericht vorgelegt, wo dann am 8.4.2020 und am 17.4.2020 Termine zur Hauptverhandlung anberaumt worden sind. Eine von der Verteidigerin vorgelegte schriftliche Strafprozessvollmacht wurde vom Betroffenen am 20.4.2020 unterzeichnet. Nach Vortrag der Verteidigerin blieb der in A zugestellte Bußgeldbescheid ungeöffnet und ist dem Betroffenen zu keinem Zeitpunkt bekannt gegeben worden. Sie habe dem Betroffenen den Bußgeldbescheid auch nicht in Textform übermittelt.

Das BayObLG hat das Verfahren wegen Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG) eingestellt. Die Verjährungsfrist haben drei Monate betragen (§ 26 Abs. 3 Hs. 1 StVG). Sie habe am 13.8.2019, dem Tattag (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG), begonnen und sei durch die am 15.10.2019 erfolgte Anordnung der Anhörung des Betroffenen unterbrochen worden (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG). Daher sei ist Verjährung am 14.1.2020 eingetreten und habe nicht mehr durch den Eingang der Akten beim AG am 11.2.2020 nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 OWiG erneut unterbrochen werden können.

Die Verjährungsfrist sei insbesondere auch nicht nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG durch den Erlass des Bußgeldbescheides am 20.11.2019 unterbrochen worden. Denn der Bußgeldbescheid sei nicht innerhalb von zwei Wochen ab Erlass wirksam zugestellt worden. Sowohl für die Verlängerung der Frist auf sechs Monate als auch für die Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG sei nicht nur ein wirksamer Bußgeldbescheid, sondern auch dessen wirksame Zustellung erforderlich (vgl. BGHSt 45, 261, 263; OLG Bamberg NJW 2006, 1078; OLG Celle zfs 2011, 647).

Eine wirksame Zustellung an den Betroffenen sei unter der Anschrift in A nicht erfolgt. Nach § 51 Abs. 1 OWiG, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG gelten für die Zustellung eines Bußgeldbescheides durch die Post mittels Zustellungsurkunde die Vorschriften der §§ 177 – 182 ZPO entsprechend. Nach §§ 178 Abs. 1, 180 Satz 1 ZPO erfordere eine Ersatzzustellung durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten, dass der Betroffene dort tatsächlich wohnhaft sei. Für den Begriff der Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften komme es auf das tatsächliche Wohnen an, nämlich darauf, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebe und dort auch schlafe bzw. dort seinen Lebensmittelpunkt hat und den er regelmäßig aufsuche, ohne dass der melderechtliche Status ausschlaggebend ist (vgl. BGH NJW-RR 1994, 564; BeckOK/Dörndorfer ZPO [Stand: 1.9.2020] § 178 Rn 3). Dies sei für die Wohnung in A zum Zeitpunkt der Zustellung nicht der Fall gewesen. Der Betroffene habe sich seit 1.8.2019 nicht mehr in A aufgehalten. Er sei diesem Zeitpunkt tatsächlich mit Hauptwohnsitz in F gemeldet gewesen. Auch die im Freibeweisverfahren eingeholte dienstliche Stellungnahme eines Beamten des Polizeipostens A habe keine gegenteiligen Erkenntnisse erbracht. Zwar könne unter Umständen eine Ersatzzustellung unter dem Nebenwohnsitz erfolgen. Dies setze aber voraus, dass der Betroffene entweder den Anschein gesetzt habe, dort tatsächlich aufhältlich zu sein oder sich tatsächlich dort aufgehalten hat (vgl. VGH München, Beschl. v. 23.8.1999 – 7 ZB 99.1380, BayVBl 2000, 403; BeckOK/Dörndorfer a.a.O. § 178 Rn 4). Beides könne hier nicht nachgewiesen werden. Der Zugang von Briefsendungen könne nur durch positive Beweisanzeichen festgestellt werden (vgl. KG NZV 2002, 200; OLG Celle a.a.O.).

Eine Heilung dieses Zustellungsmangels sei nicht eingetreten, § 51 Abs. 1 OWiG i.V.m. Art. 9 BayVwZVG, da kein Zugang bei einem tatsächlich Empfangsberechtigten festgestellt werden kann. Der Betroffene bzw. sein Vater versichern und versuchen, dies anhand eines Lichtbildes zu belegen, dass der Bußgeldbescheid vom Betroffenen zu keinem Zeitpunkt aus dem Kuvert genommen worden ist, auf welchem das Zustellungsdatum vermerkt ist. Seine Verteidigerin, die den Bußgeldbescheid gemäß § 51 Abs. 3 Satz 3 OWiG formlos in Abschrift erhalten habe und deshalb bei Einspruchseinlegung auch das Datum des Bußgeldbescheides kannte, trage vor, dass sie dem Betroffenen zu keinem Zeitpunkt den Bußgeldbescheid in Textform übermittelt habe. Für eine Heilung des Zustellungsmangels sei zwar nicht der Zugang des Originals des Schriftstücks erforderlich, sondern es genüge vielmehr auch die Übersendung einer Kopie oder eines Scans. Andere Formen der Übermittlung würden aber wegen der Fehleranfälligkeiten derartiger Übermittlungswege grundsätzlich nicht zur Heilung eines Zustellungsmangels führen (vgl. BGH MDR 2020, 750). Die Verteidigerin habe vorliegend gemäß § 51 Abs. 3 Satz 3 OWiG lediglich formlos eine Abschrift des Bußgeldbescheides erhalten. Schon von daher habe bezogen auf die Verteidigerin der Zustellungswille der Verwaltungsbehörde gefehlt. Es könne hier auch dahinstehen, ob es für die Heilung eines Zustellungsmangels genüge, wenn die Verteidigerin anstelle des Betroffenen vom Inhalt des Bußgeldbescheides Kenntnis erlangt habe (vgl. zum Fall der Kenntniserlangung des Betroffenen bei missglückter Zustellung an den Verteidiger OLG Hamm VRR 10/2017, 20). Die Heilung nach Art. 9 BayVwZVG i.V.m. § 189 2. Alt. BGB setze voraus, dass der Bußgeldbescheid (in Textform) einem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Der Wahlverteidiger gelte aber nur dann als empfangsberechtigt, wenn zum Zeitpunkt der Zustellung seine Vollmacht bereits zu den Akten gelangt sei (vgl. KK/Lampe, OWiG, 5. Aufl., § 51 Rn 84 m.w.N.). Eine Abschrift der Verteidigervollmacht sei vorliegend aber erst am 23.4.2020 dem AG überlassen worden. Demnach sei die Verteidigerin vorliegend bei formloser Übersendung des Bußgeldbescheides (noch) nicht empfangsberechtigt gewesen. Es bestünden vorliegend auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidigerin zum Zeitpunkt der Übersendung des Bußgeldbescheides bereits rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt gewesen sei.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung entspricht hinsichtlich der Zustellungsfragen der h.M. (vgl. dazu Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, Rn ) und Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., 2019, Rn 4018, 4031.). Der bloße „Rechtsschein“ einer Wohnung ist grundsätzlich nicht ausreichend (BGH NJW 2011, 2440). Etwas anderes kann gelten, wenn der Zustellungsempfänger arglistig handelt, was hier aber offensichtlich nicht der Fall war.

2. Im Übrigen: Die Verteidigerin hat alles betreffend Vollmacht richtig gemacht. Der Fall zeigt mal wieder sehr schön, welche positiven Folgen es für den Mandanten haben kann, wenn eben keine Vollmacht vorgelegt und diese sich damit nicht „bei der Akte befindet“.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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