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VRR-Kompakt 2021-06

Kollision mit einem Rettungswagen: Haftungsverteilung

Kollidiert ein Rettungswagen bei seiner Einsatzfahrt aufgrund von Unaufmerksamkeit mit einem in einer scharfen Kurve geparkten Kfz, ist eine Haftungsverteilung von 75 : 25 zulasten des Rettungswagens gerechtfertigt. Bei der Haftungsabwägung bleibt allerdings das mangels einer ausgewiesenen Parkfläche im Bereich des Verkehrszeichens 325.1 geltende Parkverbot außer Betracht, da dieses der Verwirklichung des mit dem verkehrsberuhigten Bereich geschaffenen Bewegungs- und Kommunikationsraums, nicht aber der Sicherstellung ausreichenden Raums für den durchfahrenden Fahrzeugverkehr dient.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.4.2021 – I-1 U 122/20

Schmerzensgeld: Chronifizierung von Unfallfolgen

Verlangt der Geschädigte wegen der Chronifizierung seiner unfallbedingten, behandlungsbedürftigen Erkrankung ein weiteres Schmerzensgeld, kann dem die Rechtskraft des vorangegangenen Schmerzensgeldurteils entgegenstehen. Ob sich Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Vorprozess nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen als derart nahe liegend darstellten, dass sie schon dort bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnten, beurteilt sich nicht nach der prozentualen Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieser Verletzungsfolgen. Entscheidend ist allein die objektive Möglichkeit des Geschädigten, das diesbezügliche Risiko zu diesem Zeitpunkt schmerzensgelderhöhend geltend zu machen. Nur dann, wenn eine Berücksichtigung der Verletzungsfolge so gut wie ausgeschlossen erscheint, weil die Möglichkeit ihres Eintritts eher theoretischer Natur, ohne jegliche konkrete Anhaltspunkte ist, weswegen sie ein Sachkundiger nicht in eine Darstellung möglicher Verletzungsfolgen aufnehmen würde, fehlt es an der objektiven Möglichkeit in dem vorgenannten Sinne. Ist die Behandlung der unfallbedingten Verletzung noch nicht abgeschlossen und lässt sich – wie regelmäßig – der Behandlungserfolg nicht sicher vorhersagen, besteht für den Geschädigten bei Erhebung seiner Schmerzensgeldklage die Gelegenheit wie auch der Anlass, entweder einen Aufschlag auf das Schmerzensgeld wegen des fortbestehenden Risikos geltend zu machen oder aber sich auf eine offene Teilklage zu beschränken, mit der die mögliche, aber noch nicht eingetretene Schadensfolge aus der Schmerzensgeldbemessung herausgenommen wird.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.4.2021 – 1 U 152/20

Zurücksetzendes Fahrzeug: Haftungsquote

Die Haftung eines aus einer Parkplatzausfahrt zurücksetzenden Fahrzeuges, welches gegen ein dahinterstehendes Fahrzeug fährt, beträgt 100 %.

AG Buxtehude, Urt. v. 7.5.2021 – 31 C 44/21

Verschulden des Rechtsanwalts: Faxversand

Ein Rechtsanwalt ist hinsichtlich der fristwahrenden Übermittlung von Schriftsätzen gehalten, durch geeignete organisatorische Vorkehrungen, insbesondere durch entsprechende allgemeine Anweisungen an das Büropersonal, sicherzustellen, dass Fehlerquellen im größtmöglichen Umfang ausgeschlossen sind und gewährleistet ist, dass anhand einer nochmaligen Überprüfung der Faxnummer des angeschriebenen Gerichts entweder vor der Versendung oder mit dem Sendebericht anhand einer zuverlässigen Quelle bei der Adressierung die zutreffende Faxnummer verwendet wird. Zu einer von der Kanzleisoftware fehlerhaft eingesetzten Faxnummer des erstinstanzlichen Gerichts anstelle des zuständigen Berufungsgerichts.

BGH, Beschl. v. 30.3.2021 – VIII ZB 37/19

Kraftfahrzeugrennen: Polizeiflucht

Die Tathandlung i.S. des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB muss u.a. im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht des Täters getragen sein, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke die unter den konkreten situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Da diese Absicht nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns zu sein braucht, werden von der Vorschrift beim Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen auch sogenannte Polizeifluchtfälle erfasst, sofern festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass aus einer Fluchtmotivation nicht ohne Weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern (vgl. BGH, Beschl. v. 17.2.2021 ‒ 4 StR 225/20, VRR 4/2021, 13 = StRR 5/2021, 27).

BGH, Beschl. v. 29.4.2021 – 4 StR 165/20

Kraftfahrzeugrennen: Höchstmögliche Geschwindigkeit

Das Merkmal der höchstmöglichen Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB meint nicht die technische Höchstgeschwindigkeit des geführten Fahrzeugs, sondern die in der konkreten Verkehrssituation erzielbare relative Höchstgeschwindigkeit.

OLG Celle, Beschl. v. 28.4.2021 – 3 Ss 25/21

Atemalkoholmessung: Kontrollzeit

Wird vor einer Atemalkoholmessung die sog. Kontrollzeit von zehn Minuten nicht eingehalten wird, führt das, zumindest in den Fällen, in denen der Grenzwert gerade erreicht oder nur ganz geringfügig überschritten worden ist, zur Unverwertbarkeit der Messung.

OLG Dresden, Beschl. v. 28.4.2021 – OLG 22 Ss 672/20

Gesichtsverhüllung: Ausnahmegenehmigung

Das in § 23 Abs. 4 S. 1 StVO angeordnete Gesichtsverhüllungs- und -verdeckungsverbot soll die Erkennbarkeit und damit die Feststellbarkeit der Identität von Kraftfahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen zu sichern, um diese bei Verkehrsverstößen heranziehen zu können. Der Vorschrift kommt (auch) eine präventive Funktion zu. Mit dieser Zielrichtung dient die Vorschrift der allgemeinen Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) anderer Verkehrsteilnehmer. Durch die den Straßenverkehrsbehörden in § 46 Abs. 2 S. 1 StVO eingeräumte Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung soll besonderen Ausnahmesituationen Rechnung getragen werden, die bei strikter Anwendung der Bestimmungen nicht hinreichend berücksichtigt werden könnten und eine unbillige Härte für den Betroffenen zur Folge hätten. Das Ermessen der Straßenverkehrsbehörden bei der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 S. 1 StVO von dem in § 23 Abs. 4 S. 1 StVO geregelten Verbot ist nicht bereits deshalb auf Null reduziert, weil ein religiös begründetes Bedürfnis nach einer Verhüllung des Gesichts besteht (hier: Gesichtsschleier in Form eines Niqabs).

OVG Münster, Beschl. v. 20.5.2021 – 8 B 1967/20

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