Verkehrssicherungspflicht: Reichweite
Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und in objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag. Ob danach eine Straße in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand ist, entscheidet sich im Ergebnis nach der allgemeinen Verkehrsauffassung. Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seine Bedeutung sind dabei zu berücksichtigen.
LG Neubrandenburg, Urt. v. 29.6.2020 – 3 O 152/20
Fahrzeugdesinfektion: Corona
Es sind auch die Kosten für eine Fahrzeugdesinfektion zu erstatten. Diese ist wegen der Corona-Pandemie nach erfolgter Reparatur eines Fahrzeugs, die ein Berühren des Fahrzeugs durch Dritte erfordert, notwendig.
AG Heinsberg, Urt. v. 4.9.2020 – 18 C 161/20
Kfz-Kaskoversicherung: Obliegenheitsverletzung durch Entfernen vom Unfallort
Es stellt keine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gemäß E.1.1.3, 1. Spiegelstrich AKB 2015 dar, wenn der Versicherte nach einem schweren Verkehrsunfall ohne Fremdbeteiligung und bei klarer Haftungslage zur Nachtzeit im Januar auf einer Landstraße in dörflicher Gegend, bei dem er sich eine blutende Kopfverletzung zugezogen hatte, trotz eines verursachten Fremdschadens von ca. 200 EUR den Unfallort zur ärztlichen Abklärung seines Gesundheitszustandes ohne Einhaltung einer Wartezeit verlässt. Jedenfalls ist in einem solchen Fall das Entfernen von der Unfallstelle berechtigt. Mit der telefonischen Unterrichtung der Polizei am nächsten Morgen wird in diesem Fall einer etwaigen Obliegenheit zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen noch genügt.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 6.8.2020 – 12 U 53/20
Befangenheit: „Diesel-Gate“
Eine Ablehnung wegen Befangenheit gemäß § 42 Abs. 2 ZPO kann begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht (BGH, Beschl. v. 10.12.2019 – II ZB 14/19, MDR 2020, 303). Entsprechendes gilt, wenn der Richter Ansprüche gegen die Partei bislang nicht geltend gemacht hat, dies aber ernsthaft in Erwägung zieht.
BGH, Beschl. v. 28.7.2020 – VI ZB 94/19
Kraftfahrzeugrennen: Alleinrennen
Um einer Fahrt mit einem Pkw die Qualität des Renncharakters i.S.d. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu verleihen, ist erforderlich, dass der Täter mit der Absicht – dolus directus ersten Grades – handelt, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Hierbei wird auf die relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit abgestellt, die sich aus der Zusammenschau der fahrzeugspezifischen Beschleunigung bzw. Höchstgeschwindigkeit, des subjektiven Geschwindigkeitsempfindens, der Verkehrslage und der Witterungsbedingungen ergibt; nicht maßgeblich ist dagegen, ob der Täter die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeuges vollständig ausschöpft, wobei die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund sein muss.
LG Berlin, Beschl. v. 14.8.2020 – 538 Kls 12/20
Bußgeldbescheid: Fehlende Schuldform
Der Umstand, dass im Bußgeldbescheid die Schuldform nicht angegeben ist, hat zur Folge, dass vom Vorwurf fahrlässigen Handelns auszugehen ist.
BayObLG, Beschl. v. 11.9.2020 – 201 ObOWi 1109/20
Nichtgewährung des letzten Wortes: Rügeanforderungen
Zur Begründung der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch Nichtgewährung des letzten Wortes ist auch mitzuteilen, was der Betroffene im Falle der Gewährung des letzten Wortes vorgebracht hätte.
OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 8.9.2020 – 2 Ss-OWi 817/20
Ermittlung des Punktestandes: Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist des Bußgeldverfahrens
Wurde bei der Ermittlung des Punktestandes, der einer Fahrerlaubnisentziehung nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zugrunde lag, eine durch rechtskräftigen Bußgeldbescheid geahndete Zuwiderhandlung berücksichtigt, so entfallen die Voraussetzungen für diese Berücksichtigung rückwirkend, wenn dem Fahrerlaubnisinhaber Wiedereinsetzung in die Frist für einen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gewährt wird.
OVG Lüneburg, Urt. v. 10.8.2020 – 12 LB 64/20
Cannabiskonsum: Eigenanbau
Im Sinne des Fahrerlaubnisrechts liegt ein Cannabiskonsum und nicht etwa eine Arzneimitteleinnahme vor, wenn der Fahrerlaubnisinhaber das ihm ärztlich verordnete Cannabis (auch nur teilweise) durch illegalen Eigenanbau beschafft.
VG Aachen, Beschl. v. 18.8.2020 – 3 L 445/20
Elektronisch geführte Akte: Aktenversendungspauschale
Wenn es an einer zulässigerweise und durch Rechtsverordnung zugelassenen Führung einer elektronischen Akte fehlt, kann keine Akteneinsicht gem. § 110d Abs. 2 S. 1 OWiG durch Erteilung eines Aktenausdrucks gewährt werden, da diese zwingend eine aufgrund Rechtsverordnung geführte elektronische Akte voraussetzt. Die Übersendung eines Ausdrucks einer insofern ohne Rechtsgrundlage geführten elektronischen Akte kann keine Aktenversendungspauschale begründen.
AG Bühl, Beschl. v. 31.7.2020 – 1 OWi 41/20