Beitrag

Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter

1. Der Irrtum über den Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit bei der Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter ist ein vermeidbarer Verbotsirrtum.

2. Die Regelvermutung für die Entziehung der Fahrerlaubnis in § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter insb. dann nicht widerlegt, wenn die Blutalkoholkonzentration über dem selbst für Fahrradfahrer geltenden Grenzwert von 1,6 Promille liegt.

(Leitsätze des Verfassers)

LG Dortmund,Beschl. v.11.2.2020–43 Qs 5/20

I. Sachverhalt

Der Beschuldigte ist verdächtig, einen E-Scooter im öffentlichen Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,73 Promille geführt zu haben. Das AG hat die von der Staatsanwaltschaft beantragte vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft war erfolgreich.

II. Entscheidung

Es bestehe der dringende Tatverdacht einer fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB. Dass der Beschuldigte gedacht haben soll, es würden dieselben Promillegrenzen wie bei Fahrrädern und nicht wie bei Kfz gelten, spiele als Irrtum über die Reichweite der Verbotsnorm des § 316 StGB (Subsumtionsirrtum) für die Strafbarkeit keine Rolle. Dieser Verbotsirrtum sei für den Beschuldigten vermeidbar, da er bei Begehung der Tat einsehen konnte, Unrecht zu tun. Auch wenn die E-Scooter überall im Stadtgebiet ohne Zulassungskontrollen zur Verfügung stehen und die Benutzer von den Anbietern der E-Scooter im Vorfeld nicht ausreichend über die Gefahren und die Rechtslage unterrichtet wurden, hätte es dem Beschuldigten oblegen, sich vor der Benutzung über die rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren. Die Information über die einschlägige Promillegrenze sei im Internet mit sehr geringem Zeitaufwand abrufbar.

Somit liege nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ein Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis vor. Die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB sei im konkreten Fall auch nicht widerlegt. Selbst wenn die Hemmschwelle für die Benutzung eines E-Scooters aufgrund der freien Verfügbarkeit ohne Zugangskontrollen und der nicht ausreichenden Information der Bürger über die potenzielle Gefährlichkeit dieser Fahrzeuge geringer sein dürfte als bei der Benutzung eines anderen Kfz, reiche dies für sich allein zur Widerlegung der Regelvermutung nicht aus. Es gehöre eben auch zu den Pflichten eines geeigneten Kraftfahrzeugführers, sich über die speziellen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten des benutzten Fahrzeugs zu informieren. Dass der Beschuldigte nicht in dem Bewusstsein handelte, dass für die E-Scooter-Nutzung die gleichen Maßstäbe gelten wie für die Nutzung von Kfz, vermöge hier zur Begründung eines außergewöhnlichen Umstandes außerdem bereits deswegen nicht zu greifen, da der Beschuldigte mit dem Wert von 1,73 Promille auch den für Fahrradfahrer geltenden Grenzwert überschritten hatte. Die abstrakten Gefahren für Dritte bei der Benutzung eines E-Scooters seien auch nicht deutlich niedriger als bei der Nutzung von Motorrollern. Zwar verfügen die E-Scooter über eine wesentlich niedrigere Masse als Motorroller, auch sie können aber eine beachtliche Geschwindigkeit von bis zu 20 km/h erreichen.

III. Bedeutung für die Praxis

Die ersten Entscheidungen zu den strafrechtlichen Folgen der Nutzung von E-Scootern seit dem Inkrafttreten der eKFV am 15.6.2019 (BGBl I, 756; näherDeutscherZAP Fach 9, 1105) werden veröffentlicht. Anders als beim Führen eines Fahrrades (Grenzwert 1,6 Promille) gilt für E-Scooter als Kfz der allgemeine Grenzwert von 1,1 Promille (LG München I DAR 2020, 111 m. Anm.Timm). Das LG führt hier überzeugend aus, dass eine entsprechende Fehlvorstellung lediglich ein vermeidbarer Verbotsirrtum ist. Zur Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vertritt die 43. Strafkammer des LG Dortmund hier eine strikte Linie (ebenso LG München I a.a.O.). Hierfür spricht der Wortlaut der Vorschrift, die für alle Kfz gilt, was dem Verordnungsgeber bei Erlass der eKFV bekannt war, ohne dass es zu einer Gesetzesänderung gekommen ist. Auch die Gefährdung von anderen Verkehrsteilnehmern insb., aber nicht nur bei der verbotenen Nutzung von Gehwegen durch stark alkoholisierte Fahrer von E-Scootern ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings wird teils auch eine Widerlegung der Regelvermutung bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem gemieteten E-Scooter nachts zur verkehrsarmen Zeit auf einer Verkehrsfläche ohne Bezug zum fließenden Straßenverkehr und ohne tatsächlich feststellbare oder auch nur abstrakt drohende Beeinträchtigung von Rechtsgütern Dritter angenommen mit der Folge eines bloßen Fahrverbots nach § 44 StGB (AG Dortmund, Urt. v. 21.1.2020 – 729 Ds 060 Js 513/19 – 349/19, www.burhoff.de;EngelDAR 2020, 17;TimmDAR 2020, 112; auch die beiden divergierenden Entscheidungen anderer Strafkammern des LG Dortmund VRR 3/2020, 16 [Deutscher]). Die Rechtsprechung wird hier für die praktische Anwendbarkeit noch konsolidiert werden müssen.

RiAGDr. Axel Deutscher, Bochum

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…