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Strafzumessung bei vorwerfbar selbst herbeigeführter Trunkenheit

Bei vorwerfbar selbst herbeigeführter Trunkenheit kann die dadurch bedingte Enthemmung nicht als strafmildernder Umstand einer hierauf basierenden fahrlässigen Tötung gewertet werden. Daneben kommt dem Umstand, dass der Täter in dem Bewusstsein, im Anschluss noch ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen, Alkohol konsumiert hat (sog. Trinken in Fahrbereitschaft), eigenständige strafschärfende Bedeutung zu.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Celle,Urt. v.9.12.2019–3 Ss 48/19

I. Sachverhalt

Im Berufungsverfahren hat das LG den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. Der Angeklagte führte seinen Pkw nach einem Fußballspiel und dem Konsum von Bier mit seinem „guten Fußballfreund“ D.T. als Beifahrer. Aufgrund „seiner Alkoholisierung und der dadurch bedingten Enthemmung und Selbstüberschätzung“ kam das Fahrzeug in einer langgezogenen Kurve infolge der überhöhten Geschwindigkeit nach links von der Fahrbahn ab und überschlug sich. Der Angeklagte hatte zu diesem Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 0,88 Promille. D.T. verstarb an den Verletzungsfolgen, der Angeklagte wurde schwer verletzt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der StA war erfolgreich.

II. Entscheidung

Die Strafzumessung weise durchgreifende Rechtsfehler auf. Die Zumessungserwägungen seien in sich fehlerhaft, weil das LG die alkoholintoxikationsbedingte Enthemmung des Angeklagten als einen bestimmenden Strafmilderungsgrund gewertet hat. Hierin liege ein durchgreifender Wertungswiderspruch zu den getroffenen Feststellungen. Denn danach habe das LG gerade in der „Alkoholisierung und der dadurch bedingten Enthemmung und Selbstüberschätzung“ die Ursache für das Fahrverhalten des Angeklagten, welches den Unfall und den Tod des Beifahrers zur Folge hatte, mithin einen die Schuld des Angeklagten begründenden Umstand erkannt. Dabei könne es dahingestellt bleiben, ob mit dieser Strafzumessungserwägung zugleich auch gegen das Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 StGB verstoßen worden ist.

Denn rechtsfehlerhaft sei ihre strafmildernde Berücksichtigung jedenfalls deshalb, weil der Angeklagte diesen Zustand vorwerfbar selbst herbeigeführt hat und dies zudem in dem Bewusstsein, dass er im Anschluss noch sein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führen wird (sog. Trinken in Fahrbereitschaft). Indem das LG dies außer Acht gelassen hat, habe es nicht nur einen schuldbegründenden Umstand in sich widersprüchlich strafmildernd gewertet, sondern zugleich wesentliche schulderhöhende Umstände nicht in seine Strafzumessungserwägungen einbezogen. Nach der Entscheidung des Großen Senats des BGH (BGHSt 62, 247 = NJW 2018, 1180 m. Anm.Jahn) stelle das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat für sich allein einen schulderhöhenden Umstand dar, der sowohl bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB als auch im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigt werden darf, ohne dass dies von einzelfallbezogenen Feststellungen dazu abhängig ist, ob sich aufgrund der jeweiligen persönlichen oder situativen Verhältnisse das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung für den Täter vorhersehbar signifikant erhöht hatte. Durch den Alkoholmissbrauch versetze sich der Sich-Betrinkende in einen Zustand, der durch Enthemmung, Verminderung von Einsichts- und Urteilsvermögen sowie Verschlechterung von Körperbeherrschung und Reaktionsfähigkeit gekennzeichnet ist. Das so beschriebene dem Alkoholkonsum selbst innewohnende Risiko zähle zum Allgemeinwissen und sei selbst Menschen von geringer Lebenserfahrung in aller Regel bekannt. Geht jemand dieses allgemeinkundige Risiko einer Alkoholintoxikation vorwerfbar ein, seien bereits allein dadurch das Handlungsunrecht seiner begangenen Tat sowie die Tatschuld signifikant erhöht (BGH a.a.O.). Dies greife auch bei Straftaten aufgrund von alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a und 316 StGB. Der Schuldumfang bestimme sich in derartigen Fällen auch danach, ob der Täter im Zeitpunkt der Alkoholaufnahme wenigstens damit rechnen musste, dass er noch ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führen werde, ob er also in Fahrbereitschaft den Alkohol getrunken hat (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. 2017, Rn 606). Dies gelte schon im Falle der Verurteilung wegen einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt, sei aber erst recht von Bedeutung, wenn es infolge der trunkenheitsbedingten Fahruntüchtigkeit zu einem Verkehrsunfall gekommen ist (OLG Köln StV 2010, 527 = VRR 2009, 390 [Burhoff]).

III. Bedeutung für die Praxis

Das hier relevante Trinken in Fahrbereitschaft ist ein Unterfall der vorverschuldeten, selbst zu verantwortenden Trunkenheit. Vorrangig ist das bei der Anwendung der fakultativen Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB von Bedeutung. Zu dieser Frage verhält sich auch die genannte Entscheidung des GrS des BGH (krit. dazuFischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 21 Rn 29). Das OLG Celle zeigt überzeugend auf, dass dies auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne bei Trunkenheitsfahrten nach §§ 315c Abs, 1 Nr. 1a, 316 StGB und einer fahrlässigen Tötung bei einem alkoholbedingten Verkehrsunfall eine strafschärfende Rolle spielen kann (vgl. a.Fischer, § 315b Rn 54).

RiAGDr. Axel Deutscher, Bochum

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