Beitrag

Rahmengebühren im Bußgeldverfahren

1. Zur Bemessung der Gebühren in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren.

2. Entscheidend für die Anwendung eines Umsatzsteuersatzes ist der Zeitpunkt der Erledigung des anwaltlichen Auftrags. Der Auftrag des Verteidigers endet i.d.R. mit der Erreichung des Rechtsschutzziels.

(Leitsätze des Verfassers)

LG Itzehoe, Beschl. v. 18.2.2021 – 2 Qs 209/20

I. Sachverhalt

Dem Betroffenen ist im Bußgeldverfahren vorgeworfen worden, beim Abbiegen in ein Grundstück einen Unfall verursacht zu haben. Deswegen ist gegen ihn in einem Bußgeldbescheid eine Geldbuße von 100,00 EUR festgesetzt und angekündigt worden, dass bei Rechtskraft ein Punkt im FAER eingetragen werde. Der Verteidiger hat Einspruch eingelegt und Einstellung des Verfahrens angeregt. Das Verfahren wurde an das AG abgegeben. Dort hat eine dreißigminütige Hauptverhandlung stattgefunden, in der sich der Betroffene zur Sache eingelassen hat. Außerdem sind vier Zeugen vernommen worden. Das AG hat den Betroffenen freigesprochen und die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt.

Der Betroffene hat insgesamt 910,47 EUR geltend gemacht. Diese hat das AG nur teilweise festgesetzt, und zwar von den bei den Verfahrensgebühren Nr. 5103 VV RVG und Nr. 5109 VV RVG jeweils geltend gemachten Mittelgebühren lediglich 80,00 EUR bzw. 100,00 EUR und von der bei der Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG angesetzten Mittelgebühr lediglich 160,00 EUR. Außerdem hat es die Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG gekürzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des LG ist Ausgangspunkt für die Bemessung der Rahmengebühren, die im zu beurteilenden Einzelfall nach § 14 RVG zu bemessen seien, nach überwiegend vertretener Auffassung grundsätzlich der Mittelbetrag der einschlägigen Rahmengebühr. Diese Mittelgebühr gelte, wenn sämtliche gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände, also insbesondere Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers als durchschnittlich einzuordnen seien. Bei der Abwägung der zu berücksichtigenden Merkmale und der sich daran anschließenden Bestimmung der Gebühren räume die Vorschrift des § 14 Abs. 1 RVG dem Rechtsanwalt ein weites billiges Ermessen ein. Die von ihm getroffene Bestimmung sei, wenn – wie hier – ein Dritter die Gebühr zu ersetzen habe, gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG (nur dann) nicht verbindlich, wenn sie unbillig sei. Das Gericht sei im Kostenfestsetzungs- und Beschwerdeverfahren auf die Prüfung beschränkt, ob sich die geltend gemachte Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens halte und ob sie im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nicht unbillig sei. Wenn der Gebührenansatz bei Gesamtabwägung unbillig sei, dürfe und müsse das Gericht die Gebühr jedoch neu festsetzen. Unbillig sei der Gebührenansatz nach herrschender Ansicht regelmäßig, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 % über der angemessenen Höhe liege.

Nach diesen Maßstäben habe – so das LG – das AG hier zu Unrecht die anwaltlichen Gebühren gekürzt. Allgemein sei voranzustellen, dass die in Teil 5 VV RVG vorgesehenen Gebührenrahmen für die Vergütung in sämtlichen Bußgeldsachen heranzuziehen seien. Dies seien neben Verkehrsordnungswidrigkeiten auch solche aus den Bereichen des Bau-, Gewerbe-, Umwelt- oder Steuerrechts, die häufig mit Bußgeldern im oberen Bereich des Bußgeldrahmens von 60,00 bis 5.000,00 EUR geahndet werden und mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden seien. Zwar könnten auch Verkehrsordnungswidrigkeiten im Einzelfall einen gleich hohen oder höheren Aufwand als andere Ordnungswidrigkeiten verursachen. Sie betreffen auch eine Vielzahl der Ordnungswidrigkeitenverfahren. Allerdings würden sie dadurch nicht bedeutsamer oder schwieriger. Durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Verkehrszentralregister seien daher grundsätzlich als unterdurchschnittliche Bußgeldsachen anzusehen.

Für sämtliche der hier im Wege der Beschwerde verfolgten Gebührenansätze sei die Kammer unter Berücksichtigung dieser Grundsätze aber gleichwohl der Auffassung, dass der vorgenommene Ansatz der Mittelgebühren jedenfalls nicht nach den aufgezeigten Maßstäben unbillig sei. Zwar sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Sache für den Betroffenen eine besondere Bedeutung gehabt hätte. Ein Fahrverbot habe ihm nicht gedroht. Auch komme der möglichen Eintragung eines Punktes in das FAER keine gesteigerte Bedeutung bei. Maßgeblich sei insoweit, dass konkrete über die Eintragung hinausgehende Folgen für den Betroffenen nicht ersichtlich seien und eine Löschung der Eintragung nach § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 lit. a StVG bereits nach Ablauf von zwei Jahren und sechs Monaten möglich gewesen wäre. Auf der anderen Seite könne die Kammer jedoch auch nicht erkennen, dass die Sache für den Betroffenen damit eine besonders unterdurchschnittliche Bedeutung hatte. Für die Frage des Umfangs der Tätigkeit des Verteidigers sei neben dem Dargelegten darauf hingewiesen, dass er nach seinem unwidersprochen gebliebenen und plausiblen Vorbringen die Unfallörtlichkeiten in Augenschein genommen habe. Insofern sei zwar nicht näher ausgeführt, wann dies geschehen und mit welcher Gebühr dieser Aufwand also konkret abgegolten sei. Gleichwohl belege auch dieser Umstand, dass hier kein routinemäßig unter Nutzung von Synergieeffekten abzuarbeitender Massenfall wie eine geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung vorgelegen habe. Nach Dafürhalten der Kammer habe nach allem damit insgesamt eine Tätigkeit des Verteidigers in einem Bereich vorgelegen, in dem für die geltend gemachten Gebühren für die Betreibung des Verfahrens vor der Verwaltungsbehörde nach Nr. 5103 VV RVG und für die Betreibung des Verfahrens nach Abgabe der Akten an das AG nach Nr. 5109 VV RVG der Ansatz der Mittelgebühr von 160,00 EUR jeweils zumindest nicht nach den aufgezeigten Maßstäben unbillig sei. Zur Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG hat die Kammer ergänzt, dass die nach Aktenlage zu erwartende Vorbereitung der gerichtlichen Hauptverhandlung (schon) dem durchschnittlichen Bereich für die von den Gebührentatbeständen erfassten Ordnungswidrigkeiten zuzurechnen ist.

Ebenfalls nicht unbillig sei der Ansatz der Mittelgebühr von 255,00 EUR für die Terminsgebühr nach Nr. 5110 VV RVG, bei der vor allem auf die aufgewendete Zeit abzustellen sei. Eine Dauer von 30 Minuten sei bei Hauptverhandlungsterminen in den von Nr. 5110 VV RVG erfassten Bußgeldsachen nach Auffassung der Kammer als durchschnittlich anzusehen (vgl. m.w.N. Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, Vorbem. 5 Rn 13).

Im Hinblick auf die Gegenerklärung der Bezirksrevisorin im Beschwerdeverfahren hat die Kammer noch darauf hingewiesen, dass die Kammer die vom AG antragsgemäß auf 100,00 EUR festgesetzte Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG in dieser Höhe nicht für unbillig hält. Selbst wenn man – wie die Bezirksrevisorin – die Gebühr nur in Höhe von 80,00 EUR für angemessen hielte, wäre eine Überschreitung um 25 % auf 100,00 EUR angesichts der nur geringfügigen Überschreitung der genannten, nur regelmäßig geltenden 20 %-Grenze nicht als unbillig zu qualifizieren.

Die Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) hat das LG mit 19 % festgesetzt. Zwar betrage nach Art. 3 Nr. 3 Abs. 1 des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz (Zweites Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 29.6.2020) vom 1.7.2020 bis 31.12.2020 die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 16 % der Bemessungsgrundlage. Entscheidend für die Anwendung dieses verringerten Steuersatzes sei jedoch der Zeitpunkt der Erledigung des anwaltlichen Auftrags. Der Auftrag des Verteidigers habe hier mit der Erreichung des Rechtsschutzziels durch das bereits im Mai 2020 rechtskräftig gewordene freisprechende Urteil und damit vor dem Zeitraum, in dem der reduzierte Umsatzsteuersatz gegolten habe, geendet.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Der Ansatz jeweils der Mittelgebühr ist m.E. zutreffend. Aus den Entscheidungsgründen ergeben sich keine Umstände, die geringere Rahmengebühren als jeweils die Mittelgebühren gerechtfertigt hätten. Nach den mitgeteilten Umständen hatte es sich um eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit gehandelt, was den Ansatz der Mittelgebühr rechtfertigt (dazu eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur).

2. Zum „richtigen“ Umsatzsteuersatz wird verwiesen auf Volpert, VRR 8/2020, 4 = StRR 7/2020, 6.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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