Beitrag

Pedelecs als Kraftfahrzeuge und absolute Fahruntüchtigkeit

1. Es liegt nahe, Elektrofahrräder mit Begrenzung der motorunterstützten Geschwindigkeit auf 25 km/h (sog. Pedelecs) auch strafrechtlich nicht als Kraftfahrzeuge einzustufen.

2. Für die Beurteilung der absoluten Fahruntüchtigkeit von Pedelec-Fahrern kommt es nicht darauf an, ob Pedelecs strafrechtlich als Kraftfahrzeuge einzustufen sind.

3. Ein Erfahrungssatz, dass Pedelec-Fahrer unterhalb des für Fahrradfahrer geltenden Grenzwertes von 1,6 Promille Blutalkoholkonzentration absolut fahruntüchtig sind, besteht nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Karlsruhe,Beschl. v.14.7.2020–2 Rv 35 Ss 175/20

I. Sachverhalt

Der Angeklagte ist von AG und LG vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr freigesprochen worden. Der Angeklagte stieß am Tatabend als Fahrer eines Pedelecs mit einer auf seinen Fahrweg einbiegenden Fahrradfahrerin zusammen. Bei dem Pedelec handelt es sich um ein Elektrofahrrad mit einem zuschaltbaren Elektromotor mit einer Nenndauerleistung von 250 Watt, der das Fahrrad bis zu einer Geschwindigkeit von 6 km/h ohne Trittunterstützung, darüber bis zu einer Geschwindigkeit bis 25 km/h beim Treten (mit-)antreibt. Dabei wies der Angeklagte eine maximale Alkoholkonzentration von 1,59 ‰ im Blut auf. Gegen den Freispruch hat die StA Revision eingelegt. Das OLG hat den vorliegenden Hinweisbeschluss erlassen.

II. Entscheidung

Der Senat neige zu der Auffassung, dass der Ausnahme der technisch jedenfalls bei zugeschaltetem Motor als Kfz (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) einzustufenden Pedelecs vom straßenverkehrsrechtlichen Kfz-Begriff in § 1 Abs. 3 StVG auch für die Auslegung desselben Begriffes im Strafrecht Bedeutung zukommt. Dabei verkenne der Senat nicht, dass in § 1 Abs. 3 StVG ausdrücklich bestimmt ist, dass diese Elektrofahrräder keine Kfz im Sinne des StVG sind und Anlass für die Einfügung des § 1 Abs. 3 StVG durch das Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 17.6.2013 (BGBl I S. 1558) eine Zulassungsfragen betreffende EU-Richtlinie war (BT-Drucks 17/12856 S. 11). Gleichwohl sei es allgemein anerkannt, dass die Begrifflichkeiten straßenverkehrsrechtlicher Gesetze wegen des gleichen Schutzzwecks, der Verkehrssicherheit, auch bei der Auslegung der den Straßenverkehr betreffenden strafrechtlichen Normen heranzuziehen sind (BGHSt 50, 93, 100). Es entspreche deshalb ganz überwiegender Auffassung, dass der Kfz-Begriff des StGB entsprechend der Legaldefinition im StVG zu bestimmen ist (OLG Rostock NZV 2008, 472 = VRR 2008, 430 [Burhoff]; OLG Brandenburg NZV 2008, 474). Dass der Gesetzgeber abweichend hiervon mit der Begrenzung des unmittelbaren Anwendungsbereichs eine Übertragung der Begrifflichkeit des StVG auf das Strafrecht ausschließen wollte, lasse sich auch den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Auch systematische Erwägungen sprächen für dieses Auslegungsergebnis. Die Regelung des § 24a StVG finde nach der insoweit eindeutigen Regelung des § 1 Abs. 3 StVG auf Pedelecs keine Anwendung. Der gleich gerichteten Regelung des 69 StGB einen anderen Kfz-Begriff zugrundezulegen, erscheine systemwidrig.

Ungeachtet dessen sei der Senat nach vorläufiger Beurteilung der Auffassung, dass die Bestimmung eines Alkoholgrenzwertes für die absolute Fahruntüchtigkeit von Pedelec-Fahrern nicht davon abhängt, ob diese rechtlich als Kfz einzustufen sind. Allerdings habe der BGH (BGHSt 37, 89 = NJW 1990, 2393) die Frage, ob „der Führer eines Kraftfahrzeuges bereits von einem Blutalkoholgehalt von 1,1 g Promille an absolut fahruntüchtig“ ist, bejaht. Allerdings sei dort nicht bestimmt worden, auf welche Fahrzeugtypen die genannte Promillegrenze Anwendung findet. Zu der Bestimmung des Anwendungsbereichs habe auch kein Anlass bestanden, nachdem in BGHSt 30, 251 = NJW 1982, 588 bereits klargestellt worden war, dass diese Promillegrenze auch für Kraftradfahrer einschließlich der Fahrer von Fahrrädern mit Hilfsmotor (Mofas), und damit für alle gängigen Kfz-Typen gilt. Dagegen ergebe sich aus weiteren Entscheidungen des BGH, dass die genannte Bestimmung des Grenzwertes für die alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit keineswegs direkt daran anknüpft, ob ein Kfz geführt wird (a.A. OLG Nürnberg NZV 2011, 153 = DAR 2011, 152 = VRR 2011, 111 [Deutscher]). Dabei sei zu berücksichtigen, dass der BGH in allen Entscheidungen, in denen es um die Bestimmung eines Grenzwertes für alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit ging, betont hat, dass es sich dabei nicht um ein normatives Merkmal, sondern um die rechtliche Anerkennung gesicherten naturwissenschaftlich-medizinischen Erfahrungswissens im Sinn eines Erfahrungssatzes handelt (etwa BGHSt 37, 89 = NJW 1990, 2393). Der BGH habe deshalb wiederholt die Anwendung der für Kraftfahrer bestimmten Promillegrenze auf bestimmte Typen von Kfz zunächst abgelehnt, weil insoweit zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt keine allgemein anerkannten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse für die Bestimmung absoluter Fahruntüchtigkeit vorlagen (BGHSt 22, 352 – Krafträder; BGHSt 25, 360 = NJW 1974, 2056 – Mofas). Der BGH habe dabei hervorgehoben, dass im Hinblick darauf, dass für die Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit einerseits auf die Änderungen der Leistungsfähigkeit und die Beeinträchtigungen der Gesamtpersönlichkeit, andererseits das Maß der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer abzustellen ist (BGHSt 22, 352), Mofas sich trotz ihrer begrifflichen Zuordnung zu den Kfz unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit von den übrigen Krafträdern unterscheiden, was sich in straßenverkehrsrechtlichen Erleichterungen gegenüber sonstigen Krafträdern niederschlug. Erst nachdem durch neuere Untersuchungsergebnisse der wissenschaftlichen Forschung belegt war, dass der Genuss von Alkohol auf das Führen von Mofas gleiche Auswirkungen wie auf das Führen anderer Kraftfahrzeuge hatte, sein Mofas hinsichtlich des Grenzwertes für die Annahme absoluter Fahruntüchtigkeit anderen Kraftfahrzeugen gleichgestellt worden (BGHSt 30, 251 = NJW 1982, 588). Auch Pedelecs wiesen Merkmale auf, die sie maßgeblich von anderen Kfz und insbesondere Mofas unterscheiden, insbesondere dadurch, dass oberhalb der auf 6 km/h beschränkten Anschubhilfe die Motorleistung nur bei gleichzeitigem Treten zum Antrieb beiträgt. Damit stünden Pedelecs gleichsam zwischen Fahrrädern einerseits und Mofas andererseits. Diesen technischen Besonderheiten sei auch rechtlich durch die Regelung in § 1 Abs. 3 StVG Rechnung getragen worden. Angesichts dieser Unterschiede verbiete es sich, den für andere Kraftfahrer geltenden Grenzwert von 1,1 ‰ ohne Weiteres auf Pedelec-Fahrer zu übertragen.

Nach der Auffassung des Senats komme es deshalb auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH vielmehr darauf an, ob es gesichertes naturwissenschaftlich-medizinisches Erfahrungswissen gibt, dass Pedelec-Fahrer bereits unterhalb des für Fahrräder geltenden Grenzwerts von 1,6 ‰ im Blut absolut fahruntüchtig sind. Der Senat hat deshalb untersucht, ob bereits Forschungsergebnisse vorliegen, auf deren Grundlage die Bestimmung einer – von der für Fahrradfahrer abweichenden – Grenze für die Annahme alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit vorgenommen werden kann. Danach gebe es zwar mehrere Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass Pedelecs an ihre Fahrer höhere Anforderungen stellen als an Fahrradfahrer (vgl. insbesonderePanwinkler/Holz-Rau, Unfallgeschehen von Pedelecs und konventionellen Fahrrädern im Vergleich, Zeitschrift für Verkehrssicherheit 2019, 336; Unfallforschung der Versicherer, Verkehrssicherheit von Elektrofahrrädern, 2017;Schleinitzu.a., Pedelec-Naturalistic-Cycling-Study, 2014 – im Internet abrufbar über die Homepage des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.). Allein daraus lasse sich aber nicht der Schluss auf einen bestimmten niedrigeren Grenzwert für Pedelec-Fahrer ziehen (BGHSt 22, 352). Untersuchungen der Auswirkungen des Konsums von Alkohol gerade auf die Leistungsfähigkeit von Pedelec-Fahrern, die zu gesichertem Erfahrungswissen bezüglich der Bestimmung eines Grenzwerts für alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit geführt haben, lägen nach den Erkenntnissen des Senats derzeit noch nicht vor.

Eine Entscheidung des Senats sei ohne Abweichung von der Rechtsprechung des BGH, bei der die technische Entwicklung von Elektrofahrrädern noch keine Berücksichtigung finden konnte, möglich. Soweit der Senat damit von der in der Entscheidung des OLG Nürnberg (NZV 2011, 153 = DAR 2011, 152 = VRR 2011, 111 [Deutscher]) allgemein geäußerten Rechtsauffassung abweicht, der Grenzwert von 1,1 ‰ gelte unterschiedslos für alle Kraftfahrzeugtypen, die sich nach den vorstehenden Ausführungen nicht aus der Rechtsprechung des BGH ableiten lässt, zwinge dies im Hinblick darauf, dass dem vom OLG Nürnberg mit dem Führen eines motorisierten Krankenfahrstuhls eine gänzlich andere Sachverhaltsgestaltung zugrunde lag, ebenfalls nicht zur Vorlage an den BGH gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG.

III. Bedeutung für die Praxis

Das OLG Karlsruhe kleidet seine Ansicht in die im strafrechtlichen Revisionsverfahren ungewöhnliche Form eines Hinweisbeschlusses. Das kennt man eher von den oberen Instanzen im Zivilrecht, um die Parteien zu einem Vergleich zu bewegen oder die Rücknahme von Rechtsmitteln anzuregen. Hier hat das OLG den Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit gegeben, vor der abschließenden Entscheidung zu seiner Auffassung Stellung zu nehmen und auf diese Weise noch Einfluss ausüben zu können. Eine nachahmenswerte Idee! In der Sache ist dem OLG zuzustimmen, soweit es sich geäußert hat. Aus der Legaldefintion des § 1 Abs. 3 StVG ergibt sich, dass Pedelecs der dort beschriebenen Art keine Kfz sind, und es ist kein Grund ersichtlich, das für das StGB anders zu sehen. Damit liegt es nahe, nicht dem Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 ‰ heranzuziehen, sondern den hier nicht erreichten Wert für Radfahrer von 1,6 ‰. Auch dies bedarf allerdings einer wissenschaftlichen Untermauerung der Auswirkung des Alkoholgenusses auf das Führen eines Pedelecs. Allerdings wirkt es befremdlich, dass sich das OLG (und vermutlich auch die Vorinstanzen) nicht zur Frage einer relativen Fahruntüchtigkeit geäußert hat. Immerhin hat sich hier ein Zusammenstoß mit einem anderen Verkehrsteilnehmer bei einer BAK von 1,59 ‰ ereignet. Eine Prüfung wäre da angezeigt (vgl. OLG Karlsruhe NZV 1997, 486 = DAR 1997, 456).

Auch bei den seit 15.6.2019 durch die VO über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) vom 6.6.2019 (BGBl I, 756) erlaubten E-Scootern stellen sich vergleichbare Fragen (näherDeutscher ZAP Fach 9, S. 1105; VRR 9/2020, 4 [in diesem Heft]). Diese sind Kfz im Rahmen des § 1 eKFV. Nach allg. Ansicht gilt bei ihnen der Grenzwert von 1,1 ‰ (LG München I DAR 2020, 111 m. Anm.Timm; LG Dortmund VRR 3/2020, 14, 16/StRR 3/2020, 28, 30 [jew.Deutscher];EngelDAR 2020, 16).

RiAGDr. Axel Deutscher, Bochum

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