Beitrag

Mittelgebühr im Bußgeldverfahren und zusätzliche Verfahrensgebühr

1. Als angemessene Gebühr für die Verteidigung eines Betroffenen, dem eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit mit geringer Bedeutung zur Last gelegt wird, kommt grundsätzlich nicht die Mittelgebühr, sondern nur eine niedrigere Gebühr in Betracht.

2. Zum Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr.

(Leitsätze des Verfassers)

LG Dresden, Beschl. v. 5.10.2020 – 5 Qs 77/20

I. Sachverhalt

Die Verwaltungsbehörde hat gegen den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Bußgeldbescheid eine Geldbuße von 160 EUR festgesetzt. Zudem drohte die Eintragung von zwei Punkten in das Fahreignungsregister und ein einmonatiges Fahrverbot. Dagegen hat der Verteidiger des Betroffenen Einspruch eingelegt und mitgeteilt, dass die Fahrereigenschaft nicht eingeräumt werde und keine weiteren Angaben zur Sache erfolgen werden. Zudem wurde die Einstellung des Verfahrens beantragt. Das AG hat das Verfahren dann wegen Verjährung eingestellt und die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt.

Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag hat der Verteidiger u.a. die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG in Höhe von 120 EUR, die Verfahrensgebühren Nr. 5103 VV RVG und Nr. 5109 VV RVG jeweils in Höhe von 192 EUR und die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG in Höhe von 160 EUR geltend gemacht. Die Rechtspflegerin hat die Gebühren jeweils in Höhe der Mittelgebühr festgesetzt. Dagegen hat der Bezirksrevisor Rechtsmittel eingelegt, das beim LG Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des LG bewegt sich die Gebührenbestimmung des Verteidigers nicht innerhalb der gem. § 14 Abs. 1 RVG zuzubilligenden Toleranzgrenze von 20 % und sei daher unverbindlich. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer komme als angemessene Gebühr für die Verteidigung eines Betroffenen, dem eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit mit geringer Bedeutung zur Last gelegt wird, grundsätzlich nicht die Mittelgebühr, sondern nur eine niedrigere Gebühr in Betracht (vgl. u.a. LG Dresden RVGreport 2010, 454; zuletzt Beschl. v. 25. 1.2019 – 5 Qs 122/18 und 13.3.2019 – 5 Qs 23/19). Die in Teil 5 VV vorgesehenen Gebührenrahmen seien für die Vergütung in sämtlichen Bußgeldsachen heranzuziehen. Dies seien neben Verkehrsordnungswidrigkeiten auch solche aus den Bereichen des Bau-, Gewerbe-, Umwelt- oder Steuerrechts, die häufig mit Bußgeldern im oberen Bereich des Bußgeldrahmens von 60 bis 5.000 EUR geahndet werden und mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden seien. Zwar können auch Verkehrsordnungswidrigkeiten im Einzelfall einen gleich hohen oder höheren Aufwand als andere Ordnungswidrigkeiten verursachen. Allerdings seien durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Verkehrszentralregister als unterdurchschnittliche Bußgeldsachen anzusehen.

Gegenstand des Ordnungswidrigkeitenverfahrens sei eine Geschwindigkeitsübertretung innerhalb einer geschlossenen Ortschaft um 35 km/h mit der Folge einer Geldbuße von 160 EUR, einem drohenden einmonatigen Fahrverbot und einer Eintragung von zwei Punkten in das Fahreignungsregister gewesen. Der Verteidiger des Betroffenen habe den Einspruch nicht begründet und habe bereits im verwaltungsrechtlichen Verfahren Einsicht in die zu diesem Zeitpunkt 9 Seiten umfassende Akte genommen. Der Umfang (der zeitliche Aufwand) und die Schwierigkeit (die Intensität der Arbeit) der anwaltlichen Tätigkeit seien demgemäß als unterdurchschnittlich zu bewerten, auch wenn der Verteidiger nach eigenem Vorbringen mehrere ausführliche Beratungsgespräche geführt haben wolle. Auch der Umstand, dass der Betroffenen beruflich auf den Führerschein angewiesen sei, mache die Angelegenheit nicht zu einer zumindest durchschnittlichen Ordnungswidrigkeit i.S.d. des Gebührenrechts. Aufgrund der Gesamtumstände erscheine daher – wie es der Rechtsprechung der Kammer in vergleichbaren Fällen entspreche – eine Festsetzung der Grund- und Verfahrensgebühren in Höhe von 70 % der jeweiligen Mittelgebühr angemessen.

Sofern sich der Verteidiger im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zur Angemessenheit zumindest der jeweiligen Mittelgebühren auf anderslautende Entscheidungen berufe, sei dies kein Anlass für die Kammer, von der ständigen Rechtsprechung abzuweichen. Danach seien zur Beurteilung der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowohl die Höhe der Geldbuße, der Aktenumfang, als auch die Dauer der Hauptverhandlung Kriterien, welche neben dem Inhalt des Vorwurfs des Verkehrsverstoßes zu berücksichtigen. Hier stelle die in Rede stehende Ordnungswidrigkeit (Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit) eine unterdurchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit dar. Auch der Umstand, dass die Eintragung von zwei Punkten in das Fahreignungsregister und ein einmonatiges Fahrverbot drohte, führe zu keinem anderen Ergebnis. Das drohende Fahrverbot von einem Monat sei nicht geeignet, einen besonderen Umstand zu begründen. Ein besonderer Härtefall, der Verlust des Arbeitsplatzes oder eine besondere Bedürftigkeit (z.B. Behinderung) hätten nicht gedroht. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen spielten bei der Entscheidung keine Rolle. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien insgesamt vielmehr im unterdurchschnittlichen Bereich anzusiedeln. Die Verfahrensakte sei überschaubar und einfach zu erfassen gewesen und habe in rechtlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten aufgewiesen. Aufgrund dieser Gesamtumstände erscheine daher – wie es der Rechtsprechung der Kammer in vergleichbaren Fällen entspricht – eine Festsetzung der Grund- und Verfahrensgebühren wie auch der Terminsgebühr in Höhe von 70 % der jeweiligen Mittelgebühr angemessen (vgl. u.a.; LG Halle, Beschl. v. 18.12.2019 – 3 Qs 117/19).

Soweit auch die Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG begehrt worden sei, sei diese nicht zuzubilligen, da das Verhalten des Verteidigers nicht zur Vermeidung der Hauptverhandlung beigetragen habe. Allein der Umstand, dass vor dem Hintergrund eines standardisierten Messverfahrens prophylaktisch ein Gutachten durch das Gericht eingeholt werden sollte und der Verteidiger hierzu seine Zustimmung erteilte, habe nicht zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung geführt. Die Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG sei eine Erfolgsgebühr. Der Erfolg müsse – anders als der Verteidiger offenbar meine – gerade durch die Mitwirkung des Verteidigers eingetreten sein. Der Verteidiger solle für eine Mitwirkung an einer Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens gesondert honoriert werden (Hartmann /Touissant, Kostengesetze, 51. Aufl. 2021, VV RVG 5115, Rn 1 und 2), nicht aber für eine dem Betroffenen besonders günstige Verteidigungsstrategie. Die Einlegung des Einspruchs sei für sich genommen keine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Mitwirkungshandlung und könne auch nicht als „gezieltes Schweigen“ angesehen werden. Nachdem tatsächlich kein Gutachten eingeholt worden sei, sondern das Verfahren schlicht nicht bearbeitet werden konnte und somit die verfahrensgegenständliche Ordnungswidrigkeit verjährt sei, habe in der Tätigkeit des Verteidigers keine Förderung des Verfahrens vorgelegen.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist in beiden Punkten falsch. Es ist der Kammer dringend zu empfehlen, vielleicht mal einen Blick in einen Groß- oder Spezialkommentar zu werfen und sich nicht nur mit dem Hartman zu begnügen. Vielleicht würde man dann auch richtig entscheiden.

1. Zur Frage der Bemessungsgrundlage der Rahmengebühren in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ist schon viel geschrieben und angemerkt worden. Es wird aber leider wohl nicht gelesen. Daher hier nur (noch einmal) der Hinweis: Der Ansatz des LG – immer unterhalb der Mittelgebühr – lässt sich mit dem RVG nicht belegen, er ist auch falsch (zu allem eingehend mit zahlreichen Nachweisen Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff.). Die eigene „ständige Rechtsprechung“ ist kein Argument, das für diesen Ansatz spricht. Im Übrigen: Wenn man liest, was alles im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren unterdurchschnittlich sein soll, möchte man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Das würde sich sicherlich grundlegend ändern, wenn einer der entscheidenden Richter betroffen wäre. Das Verfahren wäre sicherlich von erheblicher Bedeutung.

2. Auch die Nichtgewährung der Nr. 5115 VV RVG ist nicht nachvollziehbar. Es ist doch gerade nicht so, dass im Verfahren ohne Zutun des Verteidigers Verjährung eingetreten ist. Es war doch offenbar gerade der Antrag des Verteidigers, der zu dem Sachverständigengutachten geführt hat, das dann den Abschluss des Verfahrens hinausgezögert hat. Zudem hatte der Verteidiger die Fahrereigenschaft des Mandanten nicht eingeräumt und angekündigt, dass keine Angaben zur Sache erfolgen, sowie dann Einstellung des Verfahrens beantragt. Was muss er denn noch mehr tun, um an der Erledigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung mitzuwirken?

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…