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Leivtec XV3 ist kein standardisiertes Messverfahren

Bei Messungen mit dem Gerät Leivtec XV 3 handelt es sich nicht um ein standardisiertes Verfahren (Festhaltung an Senat, Beschl. v. 19.7.2021 – 2 Ss (OWi) 170/21 und entgegen OLG Schleswig, Beschl. v. 17.8.2021, II OLG 26/21).

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.8.2021 – 2 Ss (OWi) 199/21

I. Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Die Messung wurde mit dem Messgerät Leivtec XV3 durchgeführt, Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das OLG Verfahren gem. 47 Abs. 2 OWiG.

II. Entscheidung

Der Senat hält die Einstellung für sachgerecht. Der Senat habe bereits entschieden, dass er das Messgerät Leivtec XV3 nicht mehr als standardisiertes Messverfahren ansieht (Beschl. v. 19.7.2021 – 2 Ss (Owi) 170/21, VRR 9/2021, 19 [in diesem Heft]). An dieser rechtlichen Beurteilung halte Senat auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des OLG Schleswig vom 17.8.2021 (II OLG 26/21, VRR /2021, 23 [Deutscher]) fest. Das OLG Schleswig argumentiere primär damit, dass ein standardisiertes Messverfahren nach wie vor vorliege, da bei Messungen mit Fahrzeugen, die mit Reflektoren im Innenraum versehen seien, unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse – wenn auch ggf. mit Werten, die nicht der gefahrenen Geschwindigkeit entsprächen – zu erwarten seien. Der Senat hält schon die Anknüpfung, die das OLG Schleswig vornimmt, für unzutreffend. Es könne nämlich nicht darauf ankommen, ob bei Fahrzeugen, bei denen sich Reflektoren im Innenbereich befinden, regelmäßig die gleichen Messergebnisse erzielt werden. Entscheidend sei vielmehr, dass Fahrzeuge, die mit der Geschwindigkeit „X“ an einem Messgerät vorbeifahren, identische Messergebnisse („X“ +/- Toleranz) hervorrufen, unabhängig davon, ob sie im Innenraum reflektierende Flächen aufweisen oder nicht. Das sei aber nicht immer der Fall. Im Übrigen löse das OLG Schleswig den Begriff des standardisierten Messverfahrens nach Auffassung des Senats in unzulässiger Weise von einer Richtigkeitsvermutung für derartige Messverfahren. Der BGH (BGHSt 39, 291) habe in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass eine absolute Genauigkeit von Geschwindigkeitsmessgeräten nicht möglich sei, der Tatrichter dem vielmehr durch die Zubilligung von Messtoleranzen Rechnung tragen müsse. Das bedeute aber, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass unter Berücksichtigung derartiger Messtoleranzen zutreffende Ergebnisse zu erwarten sind. Das sei aber nach den Feststellungen der PTB nicht in allen Konstellationen so. Soweit das OLG Schleswig in seiner Entscheidung die Erwartung äußert, der Hersteller werde die Benutzer anweisen, Messungen, die nach den Feststellungen der PTB fehlerbehaftet sein könnten, zukünftig nicht mehr vorzunehmen bzw. zu verwerten, sei diese Annahme unzutreffend. Die Firma Leivtec habe nämlich bereits am 5.7.2021 in einem Schreiben an ihre Kunden mitgeteilt, dass sie keinen Antrag auf Ergänzung der Bedienungsanleitung stellen werde. Wenn das OLG Schleswig darauf verweist, dass die PTB die Bauartzulassung nicht zurückgenommen habe, beruhe dies darauf, dass der PTB seitens des Herstellers mitgeteilt worden ist, dass dieser nicht beabsichtige, neue Geräte auf den Markt zu bringen. Wie die PTB dem Senat am 20.8.2021 mitgeteilt hat, sehe sie jedoch keine Möglichkeit, die Verwendung im Markt befindlicher Geräte zu unterbinden. Der Hinweis des OLG Schleswig auf mit (speziellen) Reflektoren im Innenraum präparierte Fahrzeuge könne zudem den Eindruck erwecken, derartige Reflektoren seien in der Praxis praktisch irrelevant. Dem sei entgegenzuhalten, dass es sich bei den Reflektoren um Warnwesten gehandelt hat, wie sich aus dem Verweis des Abschlussstandes der PTB vom 9.6.2021 auf die Veröffentlichung von Kugele, Gut und Hähnle ergibt.

Soweit der Senat in seinem oben genannten Beschl. v. 19.7.2021 ausgeführt hat, dass nach dem Abschlussbericht der PTB eine generelle Einstellung von Verfahren, bei denen die Geschwindigkeit mit dem Gerät Leivtec XV3 gemessen wurde, nicht mehr in Betracht komme, werde daran festgehalten. Da im vorliegenden Fall jedoch die Entscheidung des AG bereits vom 14.1.2021 datiert, somit zu einem Zeitpunkt, bevor der Senat die AG erstmalig auf die „Leivtec-Problematik“ aufmerksam gemacht hat, komme eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht in Betracht. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Ermöglichung einer Divergenzvorlage zum BGH komme ebenfalls nicht in Betracht, da sich schon die tatsächliche Grundlage des vorliegenden Falles von der Konstellation des OLG Schleswig unterscheide. Hier sei nämlich das Fahrzeugkennzeichen im Messung-Start-Foto vom Messfeldrahmen nur teilweise umfasst, sodass einer der Fälle vorliege, in denen seitens der PTB unzulässige Messwertabweichungen festgestellt worden sind.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Einstellung von Verfahren durch das OLG bei Messungen mit Leivtec XV3 ist in letzter Zeit nicht unüblich (OLG Oldenburg a.a.O. und DAR 2021, 345 m. Anm. Kabus; anders OLG Celle zfs 2021, 469: Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung). Angesichts der nicht recht überzeugenden Begründung dafür, dies trotz anderweitiger Ankündigung hier wieder zu tun, erlaubt dem OLG bedauerlicherweise, eine Divergenzvorlage an den BGH zu umschiffen. Ansonsten ist in der Sache selbst der überzeugenden Begründung des OLG Oldenburg nichts hinzuzufügen (näher Deutscher in der Besprechung von OLG Schleswig a.a.O.). Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung der Obergerichte hierzu weiterentwickelt.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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