Eine zusätzliche Verfahrensgebühr gemäß Nrn. 4141, 5115 VV RVG entsteht nicht, wenn die Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung erfolgt, selbst wenn dadurch weitere Hauptverhandlungstage entbehrlich werden.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Einstellung in der Hauptverhandlung
Das AG hatte das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen in der Hauptverhandlung nach Vernehmung eines Zeugen eingestellt, weil es nach Auffassung des AG auch bei Fortführung des Verfahrens durch Vernehmung eines weiteren Zeugen nicht zu einer Verurteilung kommen werde. Nach dem bisherigen Akteninhalt erscheine ein Freispruch überwiegend wahrscheinlich, eine Vernehmung des weiteren Zeugen in Anbetracht dessen und der festgesetzten Geldbuße von 80 EUR unverhältnismäßig.
Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG wird gewährt
Der Verteidiger hat im Kostenfestsetzungsverfahren auch eine Verfahrensgebühr Nr. 5115, 5103 VV RVG geltend gemacht, die das AG trotz der vom Bezirksrevisor geäußerten Bedenken festgesetzt hat. Zur Begründung (vgl. AG Herne-Wanne AGS 2024, 316) hat es u.a. ausgeführt, dass es dem Sinn und Zweck der Vorschrift der Nr. 5115 VV RVG entspreche, die Gebühr auch beim bloßen Entfallen von Fortsetzungsterminen zu gewähren. Dagegen hat sich der Bezirksrevisor mit seiner sofortigen Beschwerde gewendet. Der Verteidiger hat im Beschwerdeverfahren geltend gemacht, dass die Auffassung des Bezirksrevisors, die auf der sog. herrschende Meinung beruhe, in sich nicht folgerichtig beziehungsweise konsequent sei. Dies ergebe sich, wenn man von dem Gesetzeszweck ausgehe, die Mitwirkung des Rechtsanwaltes an der Entlastung der Justiz zu honorieren bzw. einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass ihm aufgrund seiner Mitwirkung eine Hauptverhandlungsgebühr entgehe. Denn unstreitig würde ein Verteidiger für einen zweiten Hauptverhandlungstermin eine Terminsgebühr verdienen, auch dann, wenn es sich bei dem zweiten Hauptverhandlungstermin um einen Fortsetzungstermin handele. Das Rechtsmittel der Staatskasse hatte Erfolg.
II. Entscheidung
H.M. in der Rechtsprechung ist a.A.
Eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG sei nicht entstanden. Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entstehe lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt oder die Hauptverhandlung entbehrlich werde. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Hier sei es zwar durch anwaltliche Mitwirkung zu einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung gekommen, aufgrund derer es einer Anberaumung weiterer Hauptverhandlungstermine nicht mehr bedurft habe. Die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entstehe jedoch nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich die Kammer nach eigener kritischer Prüfung anschließe, dann nicht, wenn die Einstellung – wie vorliegend – in der Hauptverhandlung erfolgt, selbst wenn dadurch weitere Hauptverhandlungstage entbehrlich werden (vgl. Burhoff/ Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 5115 VV Rn 21 (letzter Absatz) und Nr. 4141 VV Rn 45 Nr. 14; HK-RVG/Krumm, 8. Aufl. 2021, RVG VV 5115 Rn 7 m.w.N.; BeckOK-RVG/Knaudt, 64. Ed., 1.6.2024, RVG VV 5115 Rn 11.1 m.w.N.; Ahlmann u.a., 11. Aufl. 2024, RVG VV 5115 Rn.3 m.w.N.; LG Siegen, Beschl. v. 3.7.2020 – 10 Qs 61/20, AGS 2021, 29; vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urt. v. 14.4.2011 – IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m.w.N.).
Einheitlichkeit der Hauptverhandlung
Eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation sei entgegen der Rechtsauffassung des Verteidigers weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes in Einklang zu bringen. Nach dem Wortlaut des Gebührentatbestandes entstehe die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich werde. Im Hinblick auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung könne die Frage der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung dabei nur einheitlich beantwortet werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urt. v. 14.4.2011 – IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes erfasse bereits der Wortlaut lediglich Sachverhaltskonstellationen, in denen die Hauptverhandlung in ihrer Gänze entfalle und nicht einzelne Hauptverhandlungstage einer als Einheit zu betrachtenden Hauptverhandlung durch eine Einstellung entbehrlich werden.
Sinn und Zweck
Gleiches gelte unter Zugrundelegung der Gesetzeshistorie und des Sinns und Zwecks des Gebührentatbestands. Die Gesetzesmaterialien führen zur ratio legis des Gebührentatbestands aus, dass die Zusatzgebühr den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen werde und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen werde (vgl. BT-Drucks 15/1971, dort S. 227). Ziel der Regelung sei damit die Verringerung der Arbeitsbelastung der Gerichte; dieses Ziel solle durch eine adäquate Vergütung des Verteidigers bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung erreicht werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urt. v. 14.4.2011 – IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m.w.N.). Auch dieser Normzweck spreche dafür, dass eine Einstellung, die innerhalb der Hauptverhandlung erfolge, eine Befriedungsgebühr nicht mehr auszulösen vermag (BGH a.a.O.).
III. Bedeutung für die Praxis
Keine Überraschung zutreffend
Die Aufhebung der – für den Verteidiger positiven – Entscheidung des AG Herne-Wanne (AGS 2024, 316 = StRR 9/2024, 40) überrascht nicht. Ich hatte ja bereits in der Anmerkung zu dem AG-Beschluss, der sowohl für das Straf- als auch für das Bußgeldverfahren Bedeutung hat, darauf hingewiesen, dass die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. die o.a. Nachweise; weitere Nachweise bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.a.O.) die Frage des Entstehens der zusätzlichen Verfahrensgebühren Nr. 4141, 5115 VV RVG unter Hinweis auf den Wortlaut und die „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ anders sieht, als das AG es gesehen hatte. Deshalb hatte ich von Anfang an Zweifel am Bestand der Entscheidung, die sich nun bestätigt haben. Die Argumentation des Verteidigers, dass auch die Mitwirkung an einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung, die zum Entfallen von Fortsetzungsterminen führe, der Entlastung der Justiz diene, ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Aber der Wortlaut der Vorschriften und die auch vom LG herangezogene „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ lassen sich damit nicht überwinden. Letztlich ist die vom AG Herne-Wanne – gegen die h.M. – entschiedene Frage eine Frage, die sich nicht durch Auslegung oder ggf. eine entsprechende Anwendung der Regelungen lösen lässt, sondern durch den Gesetzgeber gelöst werden muss.