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StRR-Kompakt StRR_2025_04

Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde: Darlegung von Fristen

Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs. 1 S 2 BVerfGG umfasst grundsätzlich auch die – fristgerechte – Darlegung, dass die Frist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG eingehalten ist, sofern sich dies nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt. Bei einer gegen eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme gerichteten Verfassungsbeschwerde muss dafür mitgeteilt werden, wann die für die Fristberechnung maßgebliche Instanzentscheidung sowohl der Verteidigung als auch den Beschwerdeführenden bekannt gemacht wurde. Zum Anfangsverdacht und der Auffindevermutung in KiPo-Verfahren, wenn ein 16-Jähriger ein vermeintlich 13 Jahre altes Mädchen nach Nacktbildern fragt.

BVerfG, Beschl. v. 29.1.2025 – 1 BvR 1677/24 – teilweise Parallelentscheidung BVerfG, Beschl. v. 29.1.2025 – 1 BvR 1496/24

Pflichtverteidiger: Entpflichtung wegen mangelnder Kommunikation

Nach der Konzeption des § 147 Abs. 1 und 4 StPO erhält bei einem verteidigten Angeklagten der Verteidiger Akteneinsicht. In welcher Weise er die so erlangten Kenntnisse mit dem Mandanten teilt, ist gesetzlich nicht vorgegeben und liegt – unter Beachtung sonstiger, etwa grund- und datenschutzrechtlicher Anforderungen – in der Hand des Verteidigers. Im Übrigen liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Angeklagten Kontakt hält, sofern die unverzichtbaren Mindeststandards gewahrt sind. Daher führt es ggf. nicht zu einer endgültigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses, wenn der Verteidiger nicht auf umfangreiche Fragen- und Aufforderungskataloge des Angeklagten antwortet und mit Blick auf den konkreten Verfahrensstand die Ansicht vertritt, die Nachfragen seien nicht mandatsbezogen und lediglich im Rahmen eines neuen, gesondert gebührenpflichtigen Mandatsverhältnisses zu beantworten.

BGH, Beschl. v. 15.1.2025 – 3 StR 435/24

Daten von SkyECC-Nutzern: Verwertbarkeit

Die von den französischen Strafverfolgungsbehörden erhobenen und im Wege der Beweismittelrechtshilfe für deutsche Strafverfolgungszwecke zur Verfügung gestellten Daten von SkyECC-Nutzern sind verwertbar. Aufgrund des ähnlichen Verfahrensablaufs wie bei Verwertung der über den Messengerdienst EncroChat erhobenen und transferierten Daten gelten die in der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats (BGH, Beschl. v. 2.3.2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29) aufgestellten Maßstäbe.

BGH, Beschl. v. 9.1.2025 – 1 StR 142/24

Durchsuchung: Spiegelung der Patientendaten einer Arztpraxis

In einem Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrugs kann die vollständige Spiegelung der Patientendaten einer Arztpraxis im Wege einer virtuellen Maschine zur Durchführung der Durchsicht verhältnismäßig sein, wenn die Praxis-EDV einen nach allgemeinen Parametern definierten partiellen Datenexport in angemessener Zeit nicht zulässt.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 27.1.2025 – 12 Qs 60/24

Pflichtverteidiger: Aussage gegen Aussage

Nicht jede Aussage-gegen-Aussage-Konstellation erfordert die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Vielmehr kommt eine Beiordnung insbesondere dann nicht in Betracht, wenn zu der Aussage des einzigen Belastungszeugen den Angeklagten belastende Indizien hinzutreten mit der Folge, dass von einer schwierigen Beweiswürdigung nicht mehr gesprochen werden kann.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.1.2025 – 1 Ws 161/24 (S)

Beschlagnahme: zu lange Auswertungsdauer

Ist die Aufbereitung und Auswertung beschlagnahmter Geräte über ein Jahr nach der Sicherstellung derselben noch nicht abgeschlossen, ohne dass dies auf dem besonderen Umfang der hier zu überprüfenden Datenmenge beruhen würde, sondern sich die Auswertung aufgrund Überlastung der auswertenden Behörde, technischer Probleme und weiterer höher priorisierter Auswertungen erheblich verzögert hat, rechtfertigt das den deutlich über sechs Monate hinwegdauernden Eingriff in Eigentumsrechte des Betroffenen nicht weiter, sodass die Beschlagnahme aufzuheben ist.

LG Bonn, Beschl. v. 30.9.2024 – 22 Qs 23/24

Durchsuchung: Sechs-Monats-Frist

Die Ungültigkeit einer Durchsuchungsanordnung durch Zeitablauf kommt – abseits von Sonderkonstellationen – grundsätzlich allenfalls bei einem Unterschreiten der Sechs-Monats-Frist um wenige Wochen in Betracht.

LG Potsdam, Beschl. v. 29.1.2025 – 23 Qs 1/25

Pflichtverteidiger: rückwirkende Bestellung

Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers für ein eingestelltes Verfahren ist in der Regel unzulässig, und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Beschuldigte als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, rechtzeitig und auch begründet seine Bestellung beantragt hatte. Eine Ausnahme ist anzunehmen, soweit der Antrag auf Beiordnung gestellt worden ist und pflichtwidrig eine unverzügliche Entscheidung über diesen unterlassen worden ist. Aus dem Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren ergibt sich die Verpflichtung auf zeitnahe Entscheidung über seinen Pflichtverteidigerantrag. Die Bemessung dieser Prüfungs- und Überlegungsfrist kann dabei nicht starr erfolgen. Sie muss vielmehr an den Umständen des Einzelfalls und Zweck der Pflichtverteidigung ausgerichtet sein, der darin besteht, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Beschuldigter in den vom Gesetz bestimmten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und dass ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gewährleistet ist.

LG Köln, Beschl. v. 30.1.2025 – 111 Qs 6/25

Unterbrechung der Hauptverhandlung: Hemmungsvorschriften

Innerhalb eines Unterbrechungszeitraums konnte § 10 Abs. 1 S. 1 EGStPO in der Fassung vom 27.3.2020 mehrfach greifen, ohne dass zwischen den Hemmungszeiträumen zur Sache verhandelt worden sein musste. § 10 Abs. 1 S. 1 EGStPO trat als weiterer Hemmungstatbestand neben § 229 Abs. 3 S. 1 StPO, sodass beide Vorschriften kumulativ zur Anwendung kommen konnten.

BGH, Beschl. v. 23.10.2024 ‒ 2 StR 471/23 (BGHSt)

Verständigung: Mitteilungspflicht

Die Mitteilung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung über in einer Unterbrechungspause geführte Verständigungsgespräche darf sich nicht nur auf die Mitteilung der Gesprächsführung mit Vorstellungen zur Straferwartung seitens des Gerichts und der Staatsanwaltschaft sowie als deren Ergebnis letztlich das Ausbleiben einer Verständigung beschränken. Sie muss sich insbesondere auch dazu äußern, wie sich die Verteidiger zu den Strafvorstellungen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft verhalten und welche Standpunkte sie eingenommen haben.

BGH, Beschl. v. 11.12.2024 – 1 StR 356/24

Einreichung von Dokumenten im elektronischen Rechtsverkehr: Fristwahrung

Bei der Einreichung eines Dokuments im elektronischen Rechtsverkehr kann zwischen dem Eingang des Dokuments bei der Einrichtung gemäß § 32a Abs. 5 S. 1 StPO – hier: Intermediär der baden-württembergischen Justiz – und dem Eingang bei dem eigentlichen Empfänger – hier: AG – eine nicht näher bestimmbare Zeitspanne liegen. Um eine rechtzeitige Kenntnisnahme zu gewährleisten, kann einem Beteiligten deshalb in eilbedürftigen Fällen die Einreichung auf anderem Weg – hier: Telefax – aufgegeben werden.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.1.2025 – 2 ORbs 320 SsBs 725/24

Elektronisches Dokument: Prüfpflicht des Versenders

Eine aus einem anderen Dateiformat in eine PDF-Datei umgewandelte Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift ist durch den signierenden Rechtsanwalt vor der Übermittlung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an das Gericht per beA darauf zu überprüfen, ob ihr Inhalt dem Inhalt der Ausgangsdatei entspricht.

BGH, Beschl. v. 17.12.2024 – II ZB 5/24

Urteilszustellung: Zustellung vor Protokollfertigstellung

Ein Hauptverhandlungsprotokoll, dem neben dem Datum insbesondere auch die Unterschrift des Richters fehlt, ist nicht fertiggestellt. Allein die Unterschrift des Richters auf einem nicht als Anlage gekennzeichneten Beiblatt, welches lediglich den Tenor enthält, ist nicht ausreichend, um einen Fertigstellungswillen hinsichtlich des gesamten Protokolls anzunehmen. Eine dennoch erfolgte Urteilszustellung ist unwirksam.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.1.2025 – 3 ORbs 330 SsBs 645/24

Beschleunigungsgrundsatz: Terminsdichte in Haftsachen

An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Das Hinausschieben der Hauptverhandlung wegen Terminschwierigkeiten der Verteidiger ist kein Umstand, der eine erhebliche Verzögerung der Hauptverhandlung rechtfertigen könnte.

BVerfG, Beschl. v. 5.2.2025 – 2 BvR 24/25, 2 BvR 69/25

Notwehr: Erforderlichkeit des Einsatzes eines Messers

Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann durch Notwehr gerechtfertigt sein. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist dessen Gebrauch zwar regelmäßig anzudrohen und, sofern dies nicht ausreicht, der Versuch zu unternehmen, auf weniger sensible Körperpartien einzustechen. Diese Einschränkungen stehen jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Drohung oder der weniger gefährliche Messereinsatz unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann.

BGH, Beschl. v. 21.11.2024 – 2 StR 503/24

E-Scooter: Entziehung der Fahrerlaubnis

Elektrokleinstfahrzeuge mit elektrischem Antrieb, einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h und bestimmten, in § 1 eKFV genannten zusätzlichen Merkmalen (E-Scooter), sind gemäß der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) als Kraftfahrzeuge einzustufen. Der Mindestwert für die unwiderlegliche Annahme von absoluter Fahruntüchtigkeit liegt für Führer von Elektrokleinstfahrzeugen in diesem Sinne bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰. Die Benutzung eines sog. E-Scooters durch einen alkoholbedingt fahruntüchtigen Fahrer widerlegt für sich genommen nicht die Ungeeignetheit i.S.d. § 69 StGB.

OLG Hamm, Urt. v. 8.1.2025 – III-1 ORs 70/24

Relative Fahruntüchtigkeit: alkoholbedingte Ausfallerscheinung

Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 ‰) entfernt ist, desto höher sind die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (für Rückwärtsfahren an einer Rotlicht zeigenden LZA, um einen Bekannten zu grüßen, verneint).

LG Berlin I, Beschl. v. 10.1.2025 – 520 Qs 67/24

Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion: Begriff der großen Zahl von Menschen

Das Merkmal der Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen i.S.d. § 308 Abs. 2 Alt. 2 StGB ist bei einer Verletzung von 12 Personen jedenfalls erfüllt.

BGH, Beschl. v. 5.11.2024 – 5 StR 406/24

Vergewaltigung: Drohung mit einem empfindlichen Übel

Die Inaussichtstellung der Veranlassung der Rückkehr einer Frau in Lebensverhältnisse in einem Land, in der ihr wesentliche Lebens- und Bildungschancen genommen werden, kann eine Drohung mit einem empfindlichen Übel i.S.v. § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB sein.

OLG Hamm, Beschl. v. 28.1.2025 – III-3 Ws 442/24

Straßenblockaden: Strafbarkeit wegen Nötigung

Bei Straßenblockaden ist der Tatbestand der Nötigung vollendet, sobald durch das erzwungene Anhalten von Kraftfahrzeugen nachfolgende Autofahrer in ihrer Fortbewegungsfreiheit eingeschränkt sind. Danach eintretende Umstände – hier: Bildung einer Rettungsgasse – sind nur noch für die Beurteilung der Verwerflichkeit bzw. die Bestimmung des Schuldumfangs maßgeblich. Dabei können unterbliebene Bemühungen des Opfers den Täter nur entlasten, soweit ein Handeln des Opfers mindestens zumutbar war (hier verneint für die Nutzung einer Rettungsgasse durch Kraftfahrzeugführer). Kleben sich Blockierer mit den Händen an der Fahrbahn fest, schaffen sie ein nicht ohne Weiteres zu beseitigendes Hindernis und handeln deshalb gewaltsam i.S.d. § 240 Abs. 1 StGB.

OLG Karlsruhe, Urt. v. 4.2.2025 – 2 ORs 350 SRs 613/24

Abwesenheitsverhandlung: rechtlicher Hinweis auf Vorsatz

Hat das Bußgeldgericht den Betroffenen und seinen Verteidiger in der Ladungsverfügung auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen grober Fahrlässigkeit hingewiesen, nicht aber auf eine solche wegen Vorsatzes, darf der Betroffene mit Blick auf diesen Hinweis darauf vertrauen, nicht wegen einer Vorsatztat verurteilt zu werden. Die „Erörterung der Vorsatzproblematik“ in der Hauptverhandlung ist nicht geeignet, das rechtliche Gehör des Betroffenen zu wahren, denn dieser war mit Blick auf die antragsgemäß beschlossene Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung berechtigt nicht erschienen.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.2.2025 – 1 ORbs 4/25

Zusätzliche Verfahrensgebühr: Einziehung im Revisionsverfahren

Der Verteidiger hat die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG im Revisionsverfahren bereits bei Erhebung der allgemeinen Sachrüge verdient. Der nach §§ 33 Abs. 1, 2 Abs. 1 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die Tätigkeit des Verteidigers im Revisionsverfahren bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Interesse an der Abwehr der Einziehung

BGH, Beschl. v. 5.2.2025 – 4 StR 333/23

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