1. Sind durch eine Straftat – wie vorliegend – mehrere Opfer betroffen, so setzt ein Täter-Opfer-Ausgleich nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass hinsichtlich jedes Geschädigten in jedem Fall eine Alternative des § 46a StGB erfüllt sein muss.
2. Das Tatgericht kann sich bei seiner Strafzumessung von der Erwägung leiten lassen, potenzielle Täter von der Begehung vergleichbarer Taten abzuhalten, denn es ist zulässig, generalpräventive Gesichtspunkte bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Allerdings dürfen dafür nur Umstände herangezogen werden, die über die bei der Bestimmung eines konkreten Strafrahmens vom Gesetzgeber bereits berücksichtigte allgemeine Abschreckung hinausgehen. Dies ist gegeben, wenn sich eine gemeinschaftsgefährdende Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, feststellen lässt. Dazu müssen aber entsprechende Feststellungen getroffen werden.
(Leitsätze des Verfassers)
I. Sachverhalt
Verurteilung wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion
Das AG hat den Angeklagten wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier rechtlich zusammentretenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft eine auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung eingelegt. Das LG hat auf die Berufung des Angeklagten das AG-Urteil dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG verworfen. Die dagegen gerichtete – wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte – Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.
II. Entscheidung
Feststellungen des LG: Werfen eines „Polenböllers“ im Fußballstadion
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LG zündete der Angeklagte 2022 beim Regionalligaspiel J gegen N anlässlich des Ausgleichstors von N einen Knallkörper des Typs Crazy Robots (sogenannter Polenböller) in Kenntnis von dessen Gefährlichkeit und warf diesen zielgerichtet und mit Verletzungsvorsatz in Richtung der Nebenkläger. Bei den Nebenklägern handelt es sich um Ersatzspieler des N, die sich neben dem Spielfeld aufwärmten, den Athletiktrainer des Vereins sowie einen in der Nähe befindlichen Balljungen. Durch die Explosion des Knallkörpers erlitten die Nebenkläger Verletzungen, vor allem Knalltraumen, Hörstörungen und Ohrenschmerzen. Das Regionalligaspiel wurde daraufhin abgebrochen, das zuständige Sportgericht sprach dem Verein N für das Spiel drei Punkte zu und belegte den Verein J mit einer Geldstrafe.
Strafzumessung des LG: Täter-Opfer-Ausgleich
Im Rahmen der Strafzumessung hat das LG insbesondere ausgeführt, dass zugunsten des Angeklagten zwar keine Strafrahmenverschiebung nach § 46a StGB vorzunehmen sei, weil das in Aussicht gestellte Schmerzensgeld deutlich zu gering ausfalle. Der Täter-Opfer-Ausgleich sei im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung jedoch strafmildernd zu berücksichtigen. Aus der sodann ausgeurteilten Einzelstrafe in Höhe von zwei Jahren Freiheitsstrafe und einer durch das AG Marl am 16.2.2023 verhängten Geldstrafe sei nicht nachträglich eine Gesamtstrafe zu bilden, da die Tat der Vorverurteilung sich auf einem ganz anderen Rechtsgebiet (Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung sowie fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung) ereignet habe, sodass es unangemessen sei, dem Angeklagten durch die Gesamtstrafenbildung eine weitere Rechtswohltat zukommen zu lassen. Schließlich lägen besondere Umstände vor, die eine Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen würden. Der Angeklagte habe sich im Berufungsverfahren in vollem Umfang geständig eingelassen und sich seiner Verantwortung durch den Täter-Opfer-Ausgleich gestellt. Inzwischen hätten sich die Lebensverhältnisse des Angeklagten nachhaltig stabilisiert. Dieser gehe einer festen beruflichen Tätigkeit nach und sei inzwischen Vater eines zweiten Kindes, für welches er Verantwortung übernehme. Die hier in Rede stehende Tat sowie die Vorverurteilung fußten in dem übermäßigen Alkoholkonsum, welchen der Angeklagte zum Tatzeitpunkt gehabt habe. Mittlerweile nehme er therapeutische Hilfe in Anspruch und befinde sich in psychiatrischer Behandlung. Es sei davon auszugehen, dass er nunmehr seine Alkoholproblematik im Griff habe. Ferner wirke sein Vater stabilisierend auf ihn ein und er besuche keine Fußballspiele mehr, sodass ihm eine positive Legalprognose gestellt werden könne.
Strafmildernde Würdigung des Täter-Opfer-Ausgleichs rechtsfehlerhaft
Ein Rechtsfehler in der Strafzumessung liegt nach Auffassung im Hinblick auf die strafmildernde Würdigung des Täter-Opfer-Ausgleichs bzw. der Schadenswiedergutmachungsbemühungen vor.
Mehrere Geschädigte
Seien durch eine Straftat – wie vorliegend – mehrere Opfer betroffen, so setze ein Täter-Opfer-Ausgleich nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass hinsichtlich jedes Geschädigten in jedem Fall eine Alternative des § 46a StGB erfüllt sein muss (BGH, Urt. v. 12.1.2012 – 4 StR 290/11 m.w.N.). Der nach § 46a Abs. 1 Nr. 1 StGB notwendige kommunikative Prozess (vgl. hierzu: BGH, Urt. v. 11.9.2013 – 2 StR 131/13) habe nach den allein maßgeblichen Urteilsfeststellungen indes ausschließlich in der Hauptverhandlung am 21.8.2023 mit dem Nebenkläger D, nicht indes mit den weiteren, im Termin nicht anwesenden Nebenklägern stattgefunden.
Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen
Soweit das LG rechtsfehlerhaft den Täter-Opfer-Ausgleich bejaht habe, habe es allerdings keine Strafrahmenverschiebung vorgenommen, da das in Aussicht gestellte Schmerzensgeld deutlich zu gering bemessen sei. Vielmehr habe es die Bemühung des Angeklagten ausschließlich „im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung“ berücksichtigt. Das LG verweise damit auf die im Katalog des § 46 Abs. 2 StGB genannte Zumessungstatsache „sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen“. In den Urteilsfeststellungen seien indes keine entsprechenden Bemühungen des Angeklagten dargelegt. Nach diesen habe der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung lediglich eine unverbindliche Absichtserklärung abgegeben und keine konkreten Anstrengungen zur Schadenswiedergutmachung unternommen. Obgleich der Angeklagte ausweislich der Feststellungen zur Person mit seiner Familie in geregelten finanziellen Verhältnissen lebe, überdies noch von seinem Vater finanziell unterstützt werde und die Tat im Urteilszeitpunkt bereits eineinhalb Jahre zurückgelegen habe, habe er nicht an einen einzigen Geschädigten die angebotene, aber ohnehin deutlich zu geringe Schmerzensgeldzahlung geleistet. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte tatsächlich Bemühungen entfaltet habe, seine Ankündigung umzusetzen, seien den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen.
Berücksichtigung der enormen abstrakten Gefährlichkeit des Knallkörpers
Keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft hingegen, dass das LG die enorme abstrakte Gefährlichkeit des Sprengkörpers sowie die Gefahr schwerer und tiefer Gewebeschäden nicht noch einmal ausdrücklich als strafschärfenden Zumessungsgrund in die Strafzumessung eingestellt habe. Diesbezüglich sei zu berücksichtigen, dass eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen weder vorgeschrieben noch möglich ist (BGH, Urt. v. 13.4.2023 – 4 StR 429/22). Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen sei, sei vielmehr unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vom Tatrichter zu entscheiden (BGH, a.a.O.). Vorliegend habe das LG zum einen strafschärfend gewürdigt, dass der Angeklagte durch die Tat mehrere Personen verletzt hat. Es könne daher ausgeschlossen werden, dass dem LG die von der Generalstaatsanwaltschaft beschriebene Gefährdung einer Vielzahl von Personen durch den geworfenen Sprengkörper außer Blick geraten sei. Zum anderen seien schwere und tiefe Gewebeschäden gerade die typischen Verletzungsfolgen, falls die von einer Sprengstoffexplosion ausgehende Gefährdung tatsächlich in einen Schaden umschlage. Im Hinblick darauf, dass in dem hier zu entscheidenden Fall die Nettoexplosivmasse gerade einmal 5 Gramm betragen habe, könne überdies nicht davon ausgegangen werden, dass sich die vom Angeklagten geschaffene Gefährdungslage signifikant von der im Grundtatbestand stets angelegten Gefährdungslage nach oben hin abgehoben habe.
Generalpräventive Erwägungen
Nicht zu beanstanden sei weiterhin, dass das LG sich in der Strafzumessung nicht von der Erwägung habe leiten lassen, potenzielle Täter von der Begehung vergleichbarer Taten abzuhalten. Zwar sei es nach ständiger Rechtsprechung des BGH zulässig, generalpräventive Gesichtspunkte bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Allerdings dürfen dafür nur Umstände herangezogen werden, die über die bei der Bestimmung eines konkreten Strafrahmens vom Gesetzgeber bereits berücksichtigte allgemeine Abschreckung hinausgehen. Dies sei gegeben, wenn sich eine gemeinschaftsgefährdende Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, feststellen lasse (BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – 5 StR 113/13; BGH, Urt. v. 5.10.2023 – 6 StR 299/22). Entsprechende Feststellungen seien durch das LG indes nicht getroffen worden.
Kein allgemein bekanntes Phänomen
Die Zunahme gemeinschaftsgefährdender Straftaten in Fußballstadien durch das Werfen von Knallkörpern sei auch nicht als allgemein bekanntes Phänomen anzusehen. Allgemeinkundig seien nur solche Tatsachen, von denen verständige und lebenserfahrene Menschen in der Regel Kenntnis haben oder über die sie sich ohne besondere Sachkunde mit Hilfe allgemein zugänglicher Erkenntnismittel jederzeit zuverlässig unterrichten können (KK/Krehl, 9. Aufl. 2023, § 244 StPO Rn 140). Als Erkenntnisquelle könne hierbei auf Nachschlagewerke, Bücher, Zeitungen oder sonstige Nachrichtenmittel wie etwa auch Internetseiten zurückgegriffen werden (BGH, Urt. v. 17.5.2018 – 3 StR 508/17). Obgleich somit für die Allgemeinkundigkeit eine breite Informationsbasis zur Verfügung stehe, seien vorliegend konkrete Statistiken, die eine Zunahmen von Fangewalt im Allgemeinen und des Zündens von Knallkörpern in Fußballstadien im Besonderen belastbar belegen, nicht ersichtlich. Suchanfragen des Senats bei der Internetsuchmaschine K zur Entwicklung der Gewaltbereitschaft von Fußballfans zeigen ein breites Meinungsspektrum auf. Ferner habe sich nach der Auskunft der Bundesregierung vom 7.8.2023 auf eine parlamentarische Anfrage zur Datei „Gewalttäter Sport“ die Anzahl der erfassten Personen vom Jahr 2013 zum Jahr 2023 ungefähr halbiert (2013: 12.985 Personen; 2023: 5.712 Personen; BT-Drucks 20/8008, S. 35). Auch wenn andere Erklärungsansätze für den Rückgang der Zahlen diskutiert werden (vgl. hierzu: https://www.sportschau.de/fussball/bundesliga/fussball-datei-gewalttaeter-sport-rekordtief-100.htmlne), lasse sich hierdurch jedenfalls ein Anstieg der Gewaltbereitschaft nicht feststellen.
Bewährungsentscheidung auch fehlerhaft
Schließlich habe das LG auch die Strafaussetzung zur Bewährung nicht rechtsfehlerfrei begründet. Es erweise sich sowohl die Beurteilung der Legalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB als auch die Bejahung der besonderen Umstände nach § 56 Abs. 2 StGB als rechtsfehlerhaft. Ausgehend von den allgemeinen Maßstäben der Rechtsprechung (zuletzt u.a. OLG Braunschweig, Urt. v. 22.3.2023 – 1 Ss 40/22) halte weder die Beurteilung der Legalprognose noch die Bejahung besonderer Umstände rechtlicher Nachprüfung stand. Es lasse sich bereits nicht nachvollziehen, aus welchen Gründen das LG von einer Stabilisierung der familiären Verhältnisse des Angeklagten ausgegangen sei. Nach den persönlichen Feststellungen sei der Angeklagte stets einer geregelten Tätigkeit nachgegangen und war bereits im Tatzeitpunkt Vater einer Tochter. Dass er gegenwärtig mit seinem Einkommen zum Familienunterhalt beitrage und zwischenzeitlich Vater eines Sohnes geworden ist, habe seine Lebenssituation nicht grundlegend verändert. Ferner erschließe sich nicht, aus welchen Gründen das LG meine, dass der Angeklagte nunmehr seine Alkoholproblematik im Griff habe. Diesbezüglich werde lediglich ausgeführt, dass dieser auf Alkohol verzichte und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen habe. Weder werden der Umfang und der Behandlungsverlauf der psychotherapeutischen Unterstützung dargelegt, noch werde die Einlassung des Angeklagten, dass er mittlerweile keinen Alkohol mehr trinke, sowie die Belastbarkeit einer etwaigen Alkoholabstinenz kritisch überprüft. Schließlich werde den verfestigten kriminellen Neigungen des Angeklagten zu geringe Bedeutung beigemessen. So habe der mehrfach vorbestrafte Angeklagte im Tatzeitpunkt nicht nur in zwei Strafverfahren unter laufender Bewährung gestanden, sodass ihm gleich doppeltes Bewährungsversagen zur Last fällt. Er habe zudem nach seiner Haftverschonung im Februar 2022 bereits im August 2022 eine weitere Straftat begangen. Hierdurch habe er eindrücklich seine rechtsfeindliche Einstellung dokumentiert. Damit lägen ganz erhebliche Strafschärfungsgründe vor. Diese stünden ersichtlich nicht nur einer positiven Legalprognose i.S.v. § 56 Abs. 1 StGB, sondern auch Milderungsgründen von besonderem Gewicht i.S.v. § 56 Abs. 2 StGB entgegen.
III. Bedeutung für die Praxis
M.E. werden die vom OLG in dem „Böllerfall“ als maßgeblich herangezogenen Strafzumessungserwägungen zutreffend gegeneinander abgewogen und führen letztlich dazu, dass nach Auffassung des OLG offenbar eine zu geringe Strafe festgesetzt worden ist, die dann auch noch zur Bewährung ausgesetzt wurde. Daher kann/muss sich das LG nun noch einmal mit der Sache befassen. Man kann nur hoffen, dass der Angeklagte – und auch sein Verteidiger – erkannt haben, worauf es ankommt und wozu ggf. noch vorgetragen werden muss. Das OLG spricht die entscheidenden Punkte, an denen Feststellungen und damit wahrscheinlich auch Vortrag des Angeklagten gefehlt haben, ja mehr als deutlich an.