KostBRÄG nicht beraten
Das KostBRÄG, in dem die Änderungen/Erhöhungen der RVG-Gebühren enthalten sind, ist am 14.2.2025 nicht im Bundesrat beraten worden. Die nächste erreichbare Bundesratssitzung ist nun der 21.3.2025. Das bedeutet, dass Änderungen gem. Art. 13 des Gesetzes nicht vor dem 1.5.2025 in Kraft treten werden. Und das auch nur, wenn das Gesetz noch im März im BGBl verkündet wird.
Entsperren eines Mobiltelefons: zwangsweises Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten
Die Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons kann auf die Ermächtigungsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO gestützt werden. Als Annexkompetenz ermächtigt § 81b Abs. 1 StPO auch zur Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers des Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons. Der Zugriff auf die im Mobiltelefon gespeicherten Daten und deren Verwendung für die Zwecke des Strafverfahrens ist nicht auf § 81b Abs. 1 StPO zu stützen, sondern auf die Bestimmungen zur Durchsuchung und Beschlagnahme in den §§ 94 und 110 StPO.
OLG Bremen, Beschl. v. 8.1.2025 – 1 ORs 26/24
Pflichtverteidigung: Aufhebung der Bestellung; verteidigter Mitangeklagter
Eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung kommt in Betracht, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat oder sich die für die Bestellung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben. Unter dieser Voraussetzung kann die Aufhebung auch in Betracht kommen, wenn entgegen erwarteter Anklageerhebung zum Schöffengericht tatsächlich nur zum Strafrichter angeklagt wird. In diesem Fall wird aber unter besonderer Berücksichtigung der Umstände, die zunächst die Erwartung der Anklageerhebung zum Schöffengericht begründet haben, das Vorliegen notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 2 zu prüfen sein. Von einem Fall der notwendigen Verteidigung wird regelmäßig erst ab einem Jahr drohender Freiheitsstrafe auszugehen sein. Es kann aus Gründen der Waffengleichheit die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten sein, wenn Mitangeklagte anwaltlich verteidigt werden, so etwa wenn die Angeklagten sich gegenseitig belasten oder die Gefahr gegenseitiger Belastung besteht.
LG Köln, Beschl. v. 11.12.2024 – 111 Qs 118/24
Pflichtverteidiger: Unfähigkeit der Selbstverteidigung
Für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen „Unfähigkeit der Selbstverteidigung“ muss nicht gänzliche Verteidigungsunfähigkeit gegeben sein. § 140 Abs. 2 StPO ist bereits dann anwendbar, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen. Das ist bei einer attestierten Dysarthrie (Artikulationsstörung) des Angeklagten der Fall, da dann erhebliche Zweifel bestehen, dass dieser in der Lage ist, seine Interessen selbst zu wahren und alle zur Verteidigung erforderlichen Handlungen selbst vorzunehmen.
LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 7.1.2025 – 7 Qs 80/24
Pflichtverteidiger: Beweisverwertungsverbot
Für die Beurteilung, ob die Rechtslage wegen eines behaupteten Beweisverwertungsverbotes schwierig ist, kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich von einem Verwertungsverbot auszugehen ist. Ausreichend ist vielmehr, dass fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Die sich insoweit stellenden Rechtsfragen wird ein juristischer Laie nicht beantworten können. Hinzu kommt, dass die Frage, ob von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen ist, regelmäßig ohne vollständige Aktenkenntnis nicht zu beantworten ist.
LG Regensburg, Beschl. v. 21.1.2025 – 10 Qs 8/25
Strafbefehl: Wirksamkeit der Zustellung
Die Zustellung von Strafbefehlen ist nur wirksam, wenn der des Deutschen nicht mächtige Angeklagte eine Übersetzung in seine Landessprache erhält.
AG Singen, Beschl. v. 10.1.2025 – 5 Cs 50 Js 14422/22 jug.
Urteilsgründe: Einlassung des Angeklagten
In den Urteilsgründen ist wiederzugeben ist, ob und ggf. wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat. Hat er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, so ist auch dies mitzuteilen.
BGH, Beschl. v. 30.9.2024 – 6 StR 421724
Berufungsverwerfung: genügende Entschuldigung; Vertretungsvollmacht
Nicht jede stationär behandlungsbedürftige psychische Erkrankung entschuldigt ein Fernbleiben von einem bereits seit Längerem anberaumten Gerichtstermin. Selbst ein stationärer Aufenthalt in einem Krankenhaus ist in der Regel kein Entschuldigungsgrund, wenn er aufschiebbar ist. Ein nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nachgeschobenes Vorbringen zu einer Diagnose ist nicht mehr geeignet, eine zunächst unzulässige Verfahrensrüge zu heilen. Mit einer Bestellung als Pflichtverteidiger endet eine vormals im Rahmen des Wahlmandats erteilte Vertretungsvollmacht. Will der Angeklagte sich von dem nunmehrigen Pflichtverteidiger in der Berufungshauptverhandlung vertreten lassen, muss er diesem nach der Pflichtverteidigerbestellung eine neue Vollmacht erteilen.
BayObLG, Beschl. v. 9.12.2024 – 203 StRR 591/24
Berufungsbeschränkung: Kipo-Verfahren
Eine wirksame Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt im Falle einer Verurteilung nach § 184b StGB voraus, dass sich dem Urteil hinreichende Ausführungen zum Inhalt der Abbildung entnehmen lassen. Der Verweis auf den gesetzlichen Tatbestand genügt den Anforderungen an eine Urteilsbegründung nicht. Wird ein Angeklagter wegen mehrerer selbstständiger Straftaten verurteilt, so müssen die einzelnen Taten so hinreichend dargestellt werden, dass das Revisionsgericht in Bezug auf jede einzelne Tat in der Lage ist zu prüfen, ob sie den Straftatbestand in objektiver und in subjektiver Hinsicht erfüllt.
BayObLG, Beschl. v. 16.12.2024 – 203 StRR 589/24
Ersatzeinreichung per Fax bei technischer Störung des beA
§ 130d S. 2 ZPO enthält keine unmittelbare Verpflichtung zur Ersatzeinreichung; kann eine Frist im Wege der Ersatzeinreichung aber noch gewahrt werden, scheidet eine Wiedereinsetzung aus. Das Ausweichen auf eine andere als die gewählte Übermittlungsart kann geboten sein, wenn der Zusatzaufwand geringfügig und zumutbar ist und diese von dem Prozessbevollmächtigten in der Vergangenheit bereits aktiv zum Versand von Schriftsätzen genutzt wurde, er also mit ihrer Nutzung vertraut ist.
OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 3.1.2025 – 9 U 75/24
KCanG und Pflichtverteidiger: Neufestsetzung der Strafe nach dem KCanG
Ist im Vollstreckungsverfahren zu prüfen, ob eine Freiheitsstrafe – als freiheitsentziehende Straftatfolge von zwei Jahren und sechs Monaten – unter Anwendung der Art. 313, 316p EGStGB i.V.m. Art. 13 CanG neu festzusetzen bzw. zu ermäßigen wäre, und ist die Rechtslage aufgrund divergierender gerichtlicher Entscheidungen zur Neufestsetzung bzw. Ermäßigung in Fällen, in denen der gleichzeitige Besitz verschiedener Betäubungsmittel den Tatbestand des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nur einmal verwirklicht, schwierig, ist dem Verurteilten ein Pflichtverteidiger zu bestellen.
LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 10.1.2025 – 7 Qs 3/25
Einziehung: Vollstreckungslösung
Eine Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells ist in § 199 Abs. 3 S. 1 GVG ausschließlich für immaterielle Schäden des Beschuldigten, nicht aber der übrigen Verfahrensbeteiligten, wie z.B. für Einziehungsbeteiligte, vorgesehen (Anschluss an BGH, Urt. v. 30.11.2023 – 3 StR 192/18).
BGH, Beschl. v. 7.1.2025 – 1 StR 393/23
KCanG: Herstellen von Cannabis
Die Ernte und das anschließende Auslegen zur Trocknung der Marihuanapflanzen (vgl. § 1 Nr. 8 KCanG) ist Herstellen von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG). Das Herstellen umfasst in Anlehnung an die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 4 BtMG das Gewinnen, Anfertigen, Zubereiten, Be- oder Verarbeiten, Reinigen und Umwandeln. Der Begriff umfasst damit eine Palette von Tätigkeiten. Gewinnen ist die Entnahme von Pflanzen, Pflanzenteilen oder Pflanzenerzeugnissen aus ihrer natürlichen (wildwachsenden) oder künstlich angelegten Umgebung. Die Ernte von Marihuanablättern stellt ein Gewinnen im Sinne der Vorschrift und damit eine Form des Herstellens dar.
BGH, Beschl. v. 23.10.2024 – 2 StR 411/24
Klimaktivisten: Teilnahme an einer Straßenblockade
Die Teilnahme an gezielten Verkehrsblockaden zum Zweck des Protests gegen den Klimawandel kann nach § 240 StGB strafbar sein. Zur Feststellung der Verwerflichkeit bedarf es dabei einer an den Umständen des Einzelfalls orientierten Abwägung. In der Wahrunterstellung von Tatsachen liegt nicht die Zusage einer bestimmten rechtlichen Bewertung. Das Gericht setzt sich deshalb nicht mit der Wahrunterstellung von möglichen Auswirkungen des Klimawandels in Widerspruch, wenn es diese nicht bei der Verwerflichkeitsprüfung, sondern erst bei der Strafzumessung berücksichtigt. Im Hinblick auf die sog. Zweite Reihe-Rechtsprechung des BGH muss das Tatsachengericht Feststellungen dazu treffen, ob die an der Weiterfahrt gehinderten Verkehrsteilnehmer in der ersten Reihe vor den Demonstrationsteilnehmern oder in einer der folgenden Reihen standen. Nach der Rechtsprechung des BGH kommen nur die an der Weiterfahrt gehinderten Verkehrsteilnehmer in der zweiten und den folgenden Reihen als Geschädigte in Betracht.
BayObLG, Beschl. v. 12.11.2024 – 203 StRR 250/24
KCanG: Grenzwert für nicht geringe Menge von Cannabis
Der Grenzwert der nicht geringen Menge von Cannabis liegt (nach wie vor) bei 7,5 g Tetrahydrocannabinol.
OLG Hamm, Beschl. v. 14.1.2025 – 4 ORs 172/24
Geldstrafe: Bemessung bei einkommensschwachen Personen
Bei besonders einkommensschwachen Personen ist in besonderer Weise zu prüfen und sicherzustellen, dass die sich aus der rechnerischen Bestimmung einer Geldstrafe ergebende absolute Belastung nicht unverhältnismäßig ist. Daher kann es geboten sein, zusätzlich zur Bewilligung der nach § 42 S. 1 StGB möglichen und von Amts wegen zu prüfenden Zahlungserleichterungen auch die Tagessatzhöhe unterhalb eines Dreißigstels des monatlichen Nettoeinkommens abzusenken.
KG, Beschl. v. 17.1.2025 – 2 ORs 38/24
Einstellung nach § 153a StPO: insolvenzrechtliche Anfechtung von Zahlungen
Erfüllt ein Schuldner im Rahmen eines Strafverfahrens eine von der Strafjustiz beschlossene Geldauflage i.S.v. § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Abs. 2 StPO, kann der Insolvenzverwalter diese unter den Voraussetzungen des § 131 InsO gegenüber dem Land auch dann anfechten, wenn nicht die Landeskasse, sondern eine gemeinnützige Einrichtung die Empfängerin der Zahlung war. Den in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannten Geldzahlungsverpflichtungen sind im Rahmen des § 131 InsO die von der Strafjustiz beschlossenen Geldauflagen gleichgestellt. Solche Geldauflagen sind als unvollkommene Verbindlichkeiten zu qualifizieren, welche ein Land als Insolvenzgläubiger nicht zu beanspruchen hat (§ 131 Abs. 1 Alt. 1 InsO).
OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.1.2025 – 4 U 137/23
Rechtsmittelverwerfung: Wartezeit; Erreichbarkeit des Gerichts
Hat der Verteidiger seine Verspätung gegenüber dem Gericht angekündigt und sich dabei auf ein unvorhersehbares Ereignis – beispielsweise einen Verkehrsstau – berufen, kann es geboten sein, auch über den an sich sonst üblichen Zeitraum von 15 Minuten hinaus auf sein Eintreffen zu warten. Werden Hauptverhandlungen durchgeführt, hat das Gericht für eine Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten erreichbar zu sein und entsprechende Telefonanrufe entgegenzunehmen
OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.12.2024 – 1 ORbs 62/24
Vernehmungsterminsgebühr: Erörterungstermin nach § 81 StPO
Die Teilnahme des Verteidigers an einem Anhörungstermin zur Erörterung der wegen wiederholten Nichterscheinens zur gerichtlich angeordneten Exploration bei dem Sachverständigen erwogenen vorübergehenden Unterbringung zur Vorbereitung des Gutachtens gemäß § 81 StPO unterfällt dem Tatbestand von Nr. 4102 S. 1 Nr. 3 VV RVG.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 6.1.2025 – 1 Ws 136/24 (S)
Vergütungsvereinbarung: Zusatzvereinbarung in Textform
Nach dem Wortlaut und Wortsinn liegt eine Vergütungsvereinbarung i.S.v. § 3a RVG vor, wenn mit der Vereinbarung für erbrachte anwaltliche Tätigkeit – wenn auch zusätzlich – entlohnt, mithin vergütet werden soll. Auch für eine solche Zusatzvereinbarung gilt das Formerfordernis der Textform, und zwar auch dann, wenn zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten nach Abschluss des Mandats ein wie auch immer gestalteter Zuschlag oder Bonus vereinbart wird.
LG Koblenz, Urt. v. 27.11.2024 – 15 O 97/24
Haftbefehlseröffnung: Pflichtverteidiger
Die von einem Rechtsanwalt im Rahmen der Wahrnehmung eines Haftverkündungstermins entfalteten Handlungen sind nicht lediglich als Einzeltätigkeit i.S.d. Teils 4 Abschnitt 3 RVG, namentlich nicht als Beistandsleistung bei einer richterlichen Vernehmung nach dessen Nr. 4301 VV RVG, anzusehen, sondern als Tätigkeit eines Verteidigers nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG. Ihm stehen daher Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr zu.
LG Regensburg, Beschl. v. 14.1.2025 – 10 Qs 5/25
Haftbefehlseröffnung: Pflichtverteidiger
Auch für den Pflichtverteidiger, der dem Beschuldigten nur für die Vertretung in einem Termin zur Eröffnung eines Haftbefehls beigeordnet worden ist, entstehen die Grundgebühr und die jeweilige Verfahrensgebühr.
AG Schweinfurt, Beschl. v. 27.12.2024 – 6 Ds 2 Js 9719/23