Sogenannte K.O.-Tropfen stellen weder für sich genommen noch bei Verabreichung in einem Getränk, in das sie vorher mit einer Pipette hineingetropft wurden, ein gefährliches Werkzeug i.S.v. § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB dar.
(Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
K.O.-Tropfen mit sexueller Absicht verabreicht
Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Am Vorabend eines Konzertes besuchten die Nebenklägerin und ihre Freundin den Angeklagten und dessen Verlobte, um bei ihnen zu übernachten. Der Austausch sexueller Handlungen war nicht vorgesehen. Im Laufe des Abends entschloss sich der Angeklagte gleichwohl, der bereits stark angetrunkenen Nebenklägerin heimlich Gamma-Butyrolacton (GBL) zu verabreichen. Er wollte sie dadurch sexuell enthemmen, um dann mit und an ihr sexuelle Handlungen zu vollziehen. Er tropfte das GBL mittels einer Pipette in ein nicht alkoholisches Getränk, das er der Nebenklägerin gab, die es nichtsahnend austrank. Dabei erkannte er und nahm billigend in Kauf, dass die Frau in einen Bewusstseinszustand bis zur Bewusstlosigkeit versetzt werden könnte, in dem sie sich gegen solche Handlungen nicht würden wehren können. Ihm war bewusst, dass die Verabreichung der Tropfen, insbesondere in Verbindung mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich barg. Das GBL zeigte die vom Angeklagten erwünschte Wirkung. Es kam zu sexuellen Handlungen. Er erkannte, dass die Nebenklägerin aufgrund der Wirkung des GBL nicht mehr in der Lage war, einen entgegenstehenden Willen zu bilden und zu äußern. Ohne die heimliche Gabe der GBL-Tropfen hätte die Nebenklägerin sich nicht auf den erheblich älteren und ihr erst seit kurzer Zeit bekannten Angeklagten eingelassen. Die Revision des Angeklagten war teilweise erfolgreich.
II. Entscheidung
K.O.-Tropfen sind kein gefährliches Werkzeug …
Es halte der materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand, dass die Strafkammer das Verabreichen von GBL mittels einer Pipette als ein Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs i.S.d. Qualifikationstatbestands des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB gewertet hat. GBL-Tropfen stellten für sich genommen kein Werkzeug dar. Eine solche Auslegung lasse sich mit dem Wortlaut der Norm nicht in Einklang bringen (BVerfG NJW 2022, 1160 Rn 96 ff. = StRR 4/2022, 36 [Deutscher]); auf die Frage der konkreten Dosierung oder der Gefährlichkeit des Mittels könne es daher nicht maßgeblich ankommen (BGH NStZ-RR 2018, 141). Bei einem Werkzeug handele es sich nach allgemeinem Sprachgebrauch um einen für bestimmte Zwecke geformten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird. Unter einem Gegenstand verstehe man gemeinhin nur feste Körper. Da Flüssigkeiten, wie hier die GBL-Tropfen, aber auch Gase keine feste Form haben, seien sie keine Gegenstände und ihnen könne damit auch keine Werkzeugqualität zukommen. Dies werde von systematischen Erwägungen gestützt. Das Merkmal des gefährlichen Werkzeugs werde auch in anderen insoweit wortlautgleichen Qualifikationstatbeständen genutzt; für denjenigen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB habe der BGH bereits entschieden, dass ein Mittel, das erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper sedierend oder narkotisierend wirkt, kein (gefährliches) Werkzeug ist (BGH NStZ-RR 2018, 141). Es seien keine Gründe ersichtlich, weshalb für § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB etwas anderes gelten sollte, zumal ein Gleichlauf dem Willen des Gesetzgebers entspreche, der den Begriff des gefährlichen Werkzeugs in § 177 StGB nicht anders verstanden haben wollte als in dem – wiederum an § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angelehnten – Qualifikationstatbestand des § 250 StGB (vgl. BT-Drucks 13/9064, S. 13, 18).
… ebensowenig die verwendete Pipette
Dass der Angeklagte die GBL-Tropfen mittels eines Gegenstandes, hier einer Pipette, in ein für die Nebenklägerin bestimmtes Getränk träufelte, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Für § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, an den die Vorschrift des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB angelehnt ist, gelte: Eine Körperverletzung werde „mittels“ einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs begangen, wenn sie unmittelbar durch ein von außen auf den Körper des Tatopfers einwirkendes potenziell gefährliches Tatmittel verursacht wird (st. Rspr.; BGHSt 63, 138, 153 = NJW 2018, 2970). Ein Gegenstand sei danach gefährlich, wenn er nach Art seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen. Dies könne beim Einsatz von Flüssigkeiten, Gasen oder auch Strahlen der Fall sein, wenn sie durch einen Gegenstand auf den Körper gerichtet und mit diesem in Verbindung gebracht werden. Voraussetzung sei indes, dass durch den Gegenstand unmittelbar von außen auf den Körper eingewirkt wird (BGH NStZ-RR 2012, 308; NStZ-RR 2011, 275, 276). Daran fehle es hier. Denn der Angeklagte habe die Pipette lediglich als Dosierungshilfe verwendet (insoweit möglicherweise weitergehend zur besonderen Form der Verabreichung eines Narkosemittels per Infusion: BGH NStZ 2019, 273). Die Pipette sei nicht geeignet gewesen, unmittelbar und von außen einwirkend eine Körperverletzung zu verursachen. Für die Tasse als bloßes Trinkgefäß, aus der die Nebenklägerin den mit GBL versetzten Apfelsaft selbstständig trank, gelte erst recht nichts anderes.
Einklang mit früherer Rechtsprechung
Dies stehe im Einklang mit früherer Rechtsprechung zu der Einordnung von ätzender Säure, die dem Opfer ins Gesicht gegossen wird, als gefährliches Werkzeug (BGHSt 1, 1; BGH NJW 1994, 1166); zur rechtlichen Bewertung eines Pfeffersprayeinsatzes (BGH NStZ 2012, 648). Denn anders als bei der Beibringung der Tropfen vermittelt über ein Getränk könnten die mit einem Gegenstand von außen auf den Körper gebrachten Stoffe unmittelbar zu erheblichen Körperverletzungen führen. Es handele sich bei der Variante „Begehung mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch nicht um den „Oberbegriff“ zur Variante der Begehung durch „Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen“ in § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit der Folge, dass ein gesundheitsschädlicher Stoff stets auch ein gefährliches Werkzeug wäre; § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB sei nicht lex specialis zu § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Für die Auslegung des Merkmals des gefährlichen Werkzeugs in § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB könne nichts anderes gelten.
Abweichender Auslegung bedarf es nicht
Die von der Strafkammer angestellten teleologischen Erwägungen, nach der angesichts vergleichbarer Gefährlichkeit die Gleichbehandlung der Verwendung von sedierend wirkenden Substanzen und beispielsweise „Holzknüppeln“ geboten sei, negierten die aufgezeigten Ergebnisse der grammatikalischen, historischen und systematischen Auslegung; allein auf Gerechtigkeitserwägungen gestützt könne insbesondere nicht die Wortlautgrenze und damit letztlich der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG außer Acht gelassen werden. Ungeachtet dessen habe es der von der Strafkammer vorgenommenen Auslegung des Werkzeugbegriffs auch nicht bedurft, um zu einer schuldangemessenen Ahndung von Fällen der Verabreichung sedierender Substanzen im Rahmen des § 177 StGB zu kommen. Denn es ist dem Tatgericht unbenommen, solche Umstände wie hier bei der Strafzumessung entsprechend zu würdigen. Der Gesetzgeber hat bei den Strafobergrenzen in den Strafrahmen des § 177 Abs. 7 und 8 StGB keinen Unterschied gemacht (§ 38 Abs. 2 StGB).
Keine bloße Schuldspruchabänderung
Obschon der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen durch das Verwenden des K.O.-Mittels zugleich § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit § 224 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5 StGB verwirklichte, sehe sich der Senat daran gehindert, den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst abzuändern. Denn nach den Feststellungen liege es jedenfalls nicht fern, dass der Angeklagte auch die Qualifikation des § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB (Herbeiführung einer konkreten Todesgefahr für das Opfer) verwirklichte. Das Verböserungsverbot stehe einem Austausch des Qualifikationsmerkmals – gegebenenfalls nach entsprechenden Hinweisen (§ 265 Abs. 1 StPO) – nicht entgegen (BGH NStZ-RR 2021, 116).
III. Bedeutung für die Praxis
Sauber und fundiert
Nicht ohne Grund gilt besonders für Frauen die Warnung, ihr Getränk in der Öffentlichkeit niemals unbeaufsichtigt zu lassen. Es hat den Anschein, dass die verdeckte Verabreichung von K.O.-Tropfen zu sexuellen Zwecken zunimmt. Vor diesem Hintergrund mag die vorliegende Entscheidung für Nichtjuristen auf den ersten Blick befremdlich erscheinen. Der 5. Senat hat jedoch in dem für BGHSt vorgesehenen Beschluss sauber und fundiert anhand von Wortlaut, Systematik und Gesetzeshistorie begründet, weshalb weder die Tropfen selbst noch die zur Dosierung benutzte Pipette ein gefährliches Werkzeug gem. § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB darstellen. Ein unerträgliches Strafdefizit entsteht nicht, da die Art der Tatbegehung nicht nur bei der Strafzumessung im Rahmen des § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB strafschärfend berücksichtigt werden kann, sondern auch § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB (konkrete Todesgefahr) vorliegen kann. Wem das nicht genügt, muss den Gesetzgeber auffordern, ausdrücklich eine entsprechende Regelung etwa ähnlich dem § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu schaffen.