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Falsche Anzeige einer vermeintlich bevorstehenden Tat

1. Die vorsätzlich falsche Anzeige einer angeblich bevorstehenden Trunkenheitsfahrt eines anderen bei der Polizei über deren Festnetzanschluss ist allenfalls als Beleidigungsdelikt verfolgbar.

2. Gegenstand der falschen Verdächtigung gem. § 164 Abs. 1 StGB muss eine bereits unternommene Straftat bzw. entsprechende Amtspflichtverletzung sein.

3. Ein missbräuchlicher Notruf i.S.v. § 145 StGB setzt entweder einen entsprechenden Kommunikationsinhalt oder seine Absetzung über einen Notrufanschluss nach § 164 TKG und NotrufV voraus.

(Leitsätze des Gerichts)

AG Calw, Urt. v. 5.11.20248 Cs 32 Js 18114/24

I. Sachverhalt

Angeblich bevorstehende Trunkenheitsfahrt angezeigt

Das AG hat die Angeklagte vom Vorwurf der falschen Verdächtigung und des Missbrauchs von Notrufen aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Am Tattag rief sie über die normale Festnetznummer beim örtlichen Polizeirevier an. Sie gab an, dass der Zeuge stark alkoholisiert und im Begriff sei, mit seinen zwei Kindern mit dem Auto nach Hause zu fahren. Dabei gab sie ihren früheren Nachnamen und das der Alkoholfahrt zuzuordnende amtliche Kennzeichen an und wusste, dass der Zeuge weder alkoholisiert noch unmittelbar im Begriff war, Auto zu fahren. In ihren Äußerungen gegenüber den Polizeibeamten brachte sie durch nichts zum Ausdruck, dass bereits die Fahrt unter Alkoholeinfluss auf öffentlichen Straßen unternommen worden sei. Wie beabsichtigt, wurde wegen des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt gegen den Zeugen ermittelt. Der angezeigte Zeuge hat die Frist zur Stellung eines Strafantrags verstreichen lassen.

II. Entscheidung

Keine falsche Verdächtigung

Der Tatbestand des § 164 StGB sei nicht erfüllt. Vorliegend komme nur die Alternative der Verdächtigung einer rechtswidrigen Tat in Betracht. Dies setze bei gebotener Auslegung zwingend voraus, dass der Inhalt der Bezichtigung eine (vermeintlich) bereits begangene und nicht bloß bevorstehende Straftat ist (ohne nähere Begründung BGH NStZ 2004, 33). Der Wortlaut des § 164 Abs. 1 StGB sei insoweit nicht eindeutig, da nach ihm nur „einer rechtswidrigen Tat verdächtigt“ werden muss, ohne dass gesetzgeberisch klargestellt wäre, dass die Erklärung des verdächtigenden Täters sich auf eine bereits angeblich bzw. mutmaßlich begangene Tat als historisch fassbares Geschehen beziehen muss. Die letztere enge Interpretation liege allerdings sprachlich näher, da eine „Tat“, naheliegend etwas (zumindest angeblich existierendes) „Getanes“, Gegenstand der vermittelten Verdächtigung sein muss. Systematisch auffallend sei die Stellung direkt hinter den Delikten zum Schutz vor falschen Aussagen in gerichtlichen (oder gleichgestellten) Verfahren. Weiter ergebe sich nicht nur ausdrücklich der Verweis auf § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, dass die rechtswidrige Tat den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen muss. Vor allem liege neben der ausdrücklichen Verbindung in § 154e StPO der klare sprachliche Verweis auf den Verdacht i.S.d. StPO nahe, mithin (etwa §§ 81a Abs. 2 S. 2, 81g Abs. 1 S. 1, 81h Abs. 1 S. 1, 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 S. 1, 95a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1, 97 Abs. 2 S. 2, 112 Abs. 1 S. 1, 131 Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 2 StPO usw.) auf eine mutmaßlich begangene Straftat (allerdings vereinzelt anders, wie etwa §§ 104 Abs. 1 Nr. 4, 127 Abs. 1 S. 1, 138a Abs. 1 StPO) sowie namentlich § 160 Abs. 1 StPO. Die genannten Vorschriften konkretisierten Beeinträchtigungen für den Betroffenen und Ermittlungsaufwand und knüpften diese, namentlich die Einleitung eines Strafverfahrens nach dem Legalitätsgrundsatz, an den Verdacht einer Straftat. Dazu müsse § 145d StGB als ergänzende Vorstufe des § 164 Abs. 1 StGB und § 126 Abs. 1 und 2 StGB erkannt werden. In Letzteren werde ein eindeutiger Bezug auf eine potenzielle, zukünftige Straftat vorgenommen, wobei damit die Begriffe vor allem des „Androhens“ und des „Bevorstehens“ verbunden werden. Die klare Zweiteilung mutmaßlich begangener und mutmaßlich bevorstehender Taten werde in den beiden Nummern von § 145d Abs. 1 bzw. 2 StGB deutlich. Hier werde auch klar, dass eine Bestrafung wegen Behauptungen zu einer (angeblich) bevorstehenden Tat nur für solche besonders gefährlichen und schwerwiegenden im Rahmen des Katalogs des § 126 StGB gelten soll. Diese Auslegung ergebe sich auch aus der Gesetzeshistorie bis zurück zum kanonischen Recht (wird eingehend ausgeführt). In der rechtsstaatlichen Vorgeschichte und Geschichte seien (Sanktions-)Vorschriften zum Schutz vor rein zukünftigen Gefahren im Rahmen des Polizei- und Verwaltungsrechts und zu dem der dazu berufenen Verfahren und Organe grundsätzlich gesondert geblieben. Darin liege auch heute der Sinn und Zweck von § 164 Abs. 1 StGB. Er diene sowohl dem Schutz des Einzelnen gegen konkrete „Missgriffe irregeleiteter Behörden“ als auch, vorrangig, der staatlichen Rechtspflege und vergleichbarer Verfahren. Seine Wurzel liege dabei ausdrücklich als ein Vergehen gegen die Strafrechtspflege darin, diese durch Irreführung zu gefährden und eine Person eben der Verfolgung durch diese bzw. einer vergleichbaren disziplinarischen Sanktion auszusetzen; mithin gehe es im Kern nicht um eine spezielle Form der Beleidigung in Bezug zu amtlichen Verfahren. Eine solche (doppelte) Gefährdung liege nur vor, soweit die Erklärungen tatsächlich bereits strafrechtlich relevante Sachverhalte, d.h. jedenfalls bereits teilweise verwirklichte Straftaten betreffen, die somit jedenfalls dieses Stadium, bei Strafbarkeit des Versuchs das des unmittelbaren Ansetzens, und sonst der Vollendung erreicht haben müssen. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Im Raum habe eine Trunkenheitsfahrt gem. § 316 Abs. 1 oder 2 StGB gestanden. Deren Beginn liege nicht im Berauschen, sondern setzt das Führen des Kraftfahrzeugs im öffentlichen Verkehr voraus (BGHSt 35, 390). Der Versuch des § 316 Abs. 1 StGB sei im Übrigen nicht strafbar. Für eine implizite Behauptung des § 323a Abs. 1 StGB fehle es ebenfalls im Erklärungsinhalt an der begangenen rechtswidrigen Tat.

Kein Missbrauch von Notrufen

Die Angeklagte habe keinen Notruf missbraucht i.S.d. § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheit müsse der Begriff des „Notrufs“ präzise und damit eng ausgelegt werden. Nach zumindest ständiger Rechtsprechung erfülle zwar auch ohne Rücksicht auf den Inhalt der konkreten Kommunikation das (absichtlich oder wissentlich) missbräuchliche Wählen einer anerkannten Notrufnummer, namentlich der Kurzwahlen 110 und 112, den Tatbestand des § 145 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB (BGHSt 34, 4; OLG Bamberg NStZ 2012, 156). Dabei sei indes beachtlich, dass das Telekommunikationsrecht eine gesonderte Notrufinfrastruktur voraussetzt, welche vorzuhalten ist. Auch nach der insoweit weiten h.M. unabhängig von dem Inhalt der Kommunikation als solcher könne nur sie als bestimmter Teil der umfassenden Telekommunikationsnetze gegen Missbrauch gem. § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB geschützt sein (BGHSt 34, 4 Rn 12 ff.). Denn nur sie versetze die Polizeileitstelle bei eingehenden Anrufen auch dann, wenn sich der Anrufer nicht meldet oder sich nicht mehr verständlich machen kann, ohne Weiteres in die Lage, notwendig erscheinende Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Notrufverbindungen in diesem Sinn seien legaldefiniert und ausgestaltet in § 164 TKG. Auf Grundlage von mittlerweile § 164 Abs. 5 TKG gestalte dies die Verordnung über Notrufverbindungen (NotrufV) weiter aus. Gemäß § 2 Nr. 3 NotrufV ist ein „Notrufanschluss“ der „Anschluss einer Notrufabfragestelle an ein Telekommunikationsnetz, der je nach technischer Ausgestaltung ausschließlich genutzt wird für die Entgegennahme a) von Notrufverbindungen einschließlich der zugehörigen Daten oder b) der den Notruf begleitenden Daten“. Es müsse sich mithin um eine ausschließliche Nutzung für Notfälle gesondert ausgewiesener Anschlüsse und dahinterstehender Infrastrukturen (vgl. §§ 3 ff. NotrufV) handeln, die etwa unentgeltlich genutzt werden können (§ 4 NotrufV). Damit liege hier ebenfalls kein Missbrauch eines Notrufs vor. Der von der Angeklagten gewählte öffentlich verbreitete Telefonanschluss der örtlichen Polizeidienststelle sei nicht Teil der gesonderten Notrufinfrastruktur, nicht unter einer intern zugewiesenen generellen überörtlichen Nummer oder unentgeltlich erreichbar, sondern Teil der allgemeinen örtlichen Kommunikationsmöglichkeit in vielfältigsten Belangen mit der Polizei.

Keine anderen Straftatbestände

Aus den genannten Gründen ergebe sich auch keine Strafbarkeit nach §§ 145d oder 126 Abs. 2 StGB, da die angeblich bevorstehende Trunkenheitsfahrt als Straftat gem. § 316 StGB nicht in den Katalog des § 126 Abs. 1 StGB fällt. Für eine Verfolgung der möglicherweise ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen gem. §§ 185 ff. StGB fehle es bereits an einem gem. § 193 StGB zwingend erforderlichen Strafantrag.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

Zu meiner Studienzeit hätte man diesen Sachverhalt als klassische Lehrbuchkriminalität bezeichnet. Aber wie man sieht: Life is stranger than fiction. Die Begründung des AG wirkt etwas verschwurbelt und des umfangreichen Rückgriffs auf das kanonische Recht (!) hätte es auch nicht bedurft. Aber die vom AG vertretenen Ansichten sind zutreffend. § 164 Abs. 1 StGB schützt nur die repressive Strafrechtspflege, nicht aber die präventiv-polizeiliche Gefahrenabwehr und ist daher bei der Anzeige zukünftiger Straftaten nicht anwendbar (so bereits BGH NStZ 2004, 33). Auch bei § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB weist schon der Wortlaut „Notrufe“ und die ergangene Rechtsprechung (BGHSt 34, 4; OLG Bamberg NStZ 2012, 156; OLG Oldenburg NJW 1983, 1573; OLG Düsseldorf MDR 1985, 693) darauf hin, dass nur das Anwählen der Notrufnummern wie 110 oder 112, nicht aber Anrufe auf dem Festnetzanschluss hiervon erfasst sind. Nur in solchen Fällen ist das Rechtsgut der Vorschrift strafwürdig gefährdet, die wirkungsvolle Hilfe in plötzlichen Notsituationen zu gewährleisten.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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