1. Die Verfahrensgebühr für Tätigkeiten bei der Einziehung wird auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst.
2. Der Gegenstandswert bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der/des Angeklagten an der Abwehr der Einziehung. Maßgeblich ist der Nominalwert der titulierten Einziehungsforderung.
(Leitsätze des Verfassers)
I. Sachverhalt
Einziehung von Wertersatz in Höhe von 113.800.000 EUR beantragt
Die Rechtsanwälte waren in einem Verfahren mit dem Vorwurf des schweren Bandendiebstahls u.a. tätig. In der vom LG unverändert zugelassenen Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft u.a. auch beantragt, gemäß §§ 73, 73c StGB die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 113.800.000 EUR gegen die Angeklagten als Gesamtschuldner anzuordnen. Das LG hat das Verfahren über die Einziehung von Wertersatz abgetrennt, im Übrigen aber die Angeklagten zum Teil zu Haftstrafen verurteilt, ein Angeklagter ist freigesprochen worden. Nach Einreichung eines Kostenfestsetzungsantrags durch die Verteidiger des Freigesprochenen hat der Bezirksrevisor beim LG die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Einziehungsverfahren beantragt. Das LG hat den Gegenstandswert gemäß § 33 RVG auf 113.800.00 EUR festgesetzt.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Bezirksrevisors. Er ist der Auffassung, der Gegenstandswert sei zum einen kopfteilig auf die Angeklagten aufzuteilen. Zum anderen sei zu berücksichtigen, dass die Angeklagten wirtschaftlich nicht leistungsfähig seien. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
II. Entscheidung
Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG
Nach Nr. 4142 VV RVG fällt eine besondere Verfahrensgebühr als Wertgebühr an, wenn der Rechtsanwalt eine auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen bezogene gerichtliche oder außergerichtliche Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt. Die Verfahrensgebühr werde auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr sei eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten. Das werde immer der Fall sein, wenn Fragen der Einziehung naheliegen. Es komme weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig sei, noch darauf, ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehle, noch sei erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden sei. Es genüge, dass sie nach Lage der Sache ernsthaft in Betracht komme (OLG Dresden, Beschl. v. 14.2.2020 – 1 Ws 40/20). Danach hat das OLG hier (inzidenter) das Entstehen einer Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG bejaht.
Gegenstandswert
Zum Gegenstandswert führt das OLG aus: Der Gegenstandswert bemesse sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Angeklagten an der Abwehr der Einziehung. Maßgeblich sei – wie bei Festsetzung der Kosten im Zivilprozess – der Nominalwert der titulierten Einziehungsforderung. Eine Verringerung des Gegenstandswerts wegen fehlender Durchsetzbarkeit des Zahlungsanspruchs sei generell weder im Streitwert- noch Kostenfestsetzungsverfahren vorgesehen. Es komme daher nicht darauf an, dass wegen der (vermuteten) Vermögenslosigkeit der Angeklagten erhebliche Zweifel an der Werthaltigkeit der Einziehungsforderung bestehen (vgl. BGH, Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 471/18, RVGreport 2018, 431 = StRR 9/2019, 28; Beschl. v. 29.6.2020 – 1 StR 1/20).
Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unerheblich
Für eine Festsetzung des Gegenstandswerts nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Angeklagten fehle es im Übrigen auch an objektiv nachvollziehbaren, allgemeingültigen Kriterien, was letztlich zu willkürlichen Festlegungen führen würde. Das alleinige Abstellen auf den Gegenstandswert für die Berechnung der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG mag im Einzelfall zu ungerechtfertigt hohen Ansprüchen führen, hier korrigierend einzugreifen bleibt aber dem Gesetzgeber überlassen (so schon BGH NStZ 2007, 341 m. abl. Anm. Burhoff, RVGreport 2007, 313).
Anzahl der Täter und deren wirtschaftliches Interesse unerheblich
Bei der Feststellung des Gegenstandswerts kommt es des Weiteren auch nicht auf die Anzahl der Täter und das wirtschaftliche Interesse jedes einzelnen Täters an der Abwendung der Einziehung an. Das subjektive Interesse des Täters bleibt bei der Bestimmung des objektiven Verkehrswerts einer Sache im Rahmen der Nr. 4142 VV RVG außer Betracht. Deshalb könne bei mehreren Tätern auch nicht der auf einen Täter fallende Anteil an der Beute, bzw. dessen Wert, für die Bestimmung des objektiven Verkehrswerts maßgebend sein (OLG Bamberg JurBüro 2007, 201). Die Angeklagten haften im Übrigen hinsichtlich der Einziehungsforderung auch gesamtschuldnerisch.
III. Bedeutung für die Praxis
Gegenstandswert zutreffend
1. Mal wieder – oder besser: noch einmal – eine Entscheidung zur Nr. 4142 VV RVG. Das OLG löst die aufgeworfenen Fragen, bei denen es vor allem um die Höhe des Gegenstandswerts ging, zutreffend auf der Grundlage der dazu vorliegenden Rechtsprechung und Literatur (vgl. die Zusammenstellung bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4142 VV Rn 29 ff.). Dem ist nichts hinzuzufügen, außer:
„Grünes Gewölbe“ in Dresden
2. Bei dem zugrunde liegenden Verfahren dürfte es sich um den Einbruch in das „Grüne Gewölbe“ im Residenzschloss Dresden im Jahr 2019 handeln, bei dem als Beute wertvoller Schmuck entwendet worden ist bzw. sein soll. Aus Sicht der Staatskasse ist das Bemühen, den Gegenstandswert möglichst gering zu halten, nachvollziehbar, wobei man allerdings nicht verkennen sollte, dass es die Staatsanwaltschaft ist, die sich für das Land Sachsen eines Einziehungsanspruchs in Höhe von 113.800.00 EUR berühmt hat. Und es gilt nun mal der Grundsatz: Wer die Musik – hier die Einziehung – bestellt, der muss sie auch bezahlen. Und zu bezahlen ist hier ggf. einiges. Nicht unbedingt an gesetzlichen Gebühren der Pflichtverteidiger. Denn insoweit rettet die Staatskasse die sich aus § 49 RVG ergebende Beschränkung des Gegenstandswerts auf 50.000 EUR. Aber: Bei dem Freigesprochenen dürfte sich ein weitaus höherer Betrag ergeben. Denn im Rahmen der Kostenerstattung sind auch die Gebühren nach Nr. 4142 VV RVG zu erstatten. Zu erstatten sind sie der Höhe nach nach der Tabelle zu 13 RVG, also ohne Beschränkung aus § 49 RVG (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4142 VV Rn 40), aber immerhin mit der aus § 22 Abs. 2 S. 1 RVG auf 30.000.000 EUR. Da nach Nr. 4142 Anm. 3 VV RVG zwei Gebühren – erster Rechtszug und im Zweifel Rechtsmittelverfahren – angefallen sein dürften, dürfte es hier um erhebliche Beträge gehen, die das Rechtsmittel der Staatskasse gegen die zutreffende Festsetzung des Gegenstandswerts durch das LG verständlich machen. Den Angeklagten – und ggf. seine(n) Verteidiger, wenn nach § 43 RVG abgetreten worden ist – dürften die Erstattungsforderungen hingegen freuen.