Beitrag

Abrechnung der Beiordnung in sog. Abschiebehaftfällen

I.

Problemstellung

Neue gesetzliche Regelungen bringen neue gebührenrechtliche Probleme/Fragen. Denn häufig, wenn nicht sogar in der Regel, regelt der (Bundes-)Gesetzgeber sie nicht. Dabei soll dahingestellt bleiben, ob bewusst oder unbewusst. Jedenfalls überlässt man diese Frage doch lieber der Praxis, die sich damit dann aber häufig schwertut.

Eine solche Konstellation ist derzeit in Zusammenhang mit dem neuen § 62d AufenthG eingetreten. Der ist durch das „Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz)“ vom 21.2.2024 (BGBl I Nr. 54), das am 27.2.2024 in Kraft getreten ist, in das „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet“, kurz AufenthG, eingefügt worden. Vorgesehen ist in § 62d AufentG die „Bestellung eines anwaltlichen Vertreters“. In der Vorschrift heißt es: „Zur richterlichen Entscheidung über die Anordnung von Abschiebungshaft nach § 62 und Ausreisegewahrsam nach § 62b bestellt das Gericht dem Betroffenen, der noch keinen anwaltlichen Vertreter hat, von Amts wegen für die Dauer des Verfahrens einen anwaltlichen Vertreter als Bevollmächtigten.“

II.

Fragen und Antworten

Offen bleibt die Frage, wie dieser anwaltliche Vertreter seine Tätigkeiten abrechnet; dazu finden sich in den Gesetzesmaterialien auch keine Hinweise. Dazu muss man folgende Fragen stellen und beantworten:

1. Welcher Teil des VV ist für die Abrechnung heranzuziehen?

Bei den Abschiebe(haft)sachen handelt es sich nicht um Verfahren nach Teil 3 VV RVG oder Teil 4 VV RVG, da weder ein Zivilverfahren noch eine Strafsache i.S.d. Teil 4 VV RVG (zum Begriff Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. Teil 4 VV Rn 7) vorliegt. Letzteres folgt im Übrigen auch aus den Gesetzesmaterialien zu dem neuen § 62d AufentG (vgl. BT-Drucks 20/10090, S. 18). Dort heißt zu der Neuregelung: „Mit der Regelung wird dem Ausländer zur richterlichen Entscheidung über die Anordnung von Abschiebungshaft nach § 62 AufenthG und Ausreisegewahrsam nach § 62c AufenthG ein anwaltlicher Vertreter verpflichtend durch das Gericht bestellt. Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam stellen eine Freiheitsentziehung dar und damit einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 des Grundgesetzes. Die Pflichtbestellung im Abschiebungshaftverfahren und Verfahren des Ausreisegewahrsams dient dazu, es dem Ausländer zu ermöglichen, mithilfe eines anwaltlichen Vertreters seine Rechte in dem für ihn in der Regel unbekannten Verfahren der Anordnung der Abschiebungshaft bzw. des Ausreisegewahrsams geltend zu machen. Aufgrund der Komplexität der Materie und der Bedeutung des Eingriffs wird es sich hierbei um einen fachkundigen Rechtsanwalt handeln müssen. Dabei wird im Regelfall ein Anwalt aus einem entsprechenden Verzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer zu wählen sein. Da es sich bei der Abschiebungshaft und dem Ausreisegewahrsam nicht um eine Strafhaft handelt, sind die Regelungen in §§ 140 ff. StPO nicht anwendbar. Daher wurde eine eigenständige Regelung geschaffen, welche zur besseren Sichtbarkeit direkt in das Aufenthaltsgesetz bei den Vorschriften zur Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam aufgenommen wurde.“

Bei den Abschiebe(haft)sachen handelt es sich vielmehr um sog. Freiheitsentziehungssachen nach § 415 FamFG, sodass Teil 6 Abschnitt 3 VV RVG anwendbar ist (BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – V ZB 309/10, AGS 20212, 472 = RVGreport 2012, 302 = NJW-RR 2021, 959). Es sind also die Gebühren aus Teil 6 Abschnitt 3 VV RVG heranzuziehen.

2. Welche Gebühren können entstehen?

Ist damit geklärt, welche Gebührentatbestände des VV RVG grundsätzlich heranzuziehen sind, stellt sich die weitere Frage, welche Gebühren der anwaltliche Beistand ggf. geltend machen kann.

Zu fragen ist zunächst, ob ggf. eine Grundgebühr entsteht. Eine solche ist in Teil 6 Abschnitt 3 VV RVG nicht vorgesehen. Damit kommt nur die analoge Anwendung eines der anderen im RVG vorgesehenen Grundgebührentatbestände in Betracht, also den Nrn. 4100, 5100 und 6200 VV RVG. Die Frage nach der analogen Anwendung zu stellen, heißt m.E., sie gleich zu verneinen. Eine analoge Anwendung einer dieser Gebührentatbestände scheidet nämlich aus. Diese Grundgebühren sind ausdrücklich für bestimmte Verfahrensarten/-abschnitte bestimmt, damit kann man sie nicht auch auf andere Verfahrenskonstellationen anwenden (vgl. zur analogen Anwendung der Nr. 4100 VV RVG im Strafvollstreckungsverfahren KG NStZ-RR 2009, 31 = JurBüro 2009, 83 = StRR 2009, 156; OLG Schleswig AGS 2005, 120 = JurBüro 2005, 252 = StV 2006, 206; LG Berlin AGS 2007, 562 = StRR 2007, 280; a.A. – allerdings ohne Begründung – OLG Frankfurt am Main AGS 2015, 451).

Für den anwaltlichen Beistand entsteht daher zunächst (nur) eine Verfahrensgebühr Nr. 6300 VV RVG. Die entsteht nach Vorbem. 6 Abs. 2 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Das ist die Formulierung, die das RVG grundsätzlich für den Abgeltungsbereich aller Verfahrensgebühren verwendet. Das bedeutet, dass alle vom anwaltlichen Bevollmächtigten erbrachten Tätigkeiten erfasst werden. Wegen der Einzelheiten kann auf Burhoff/Volpert/Volpert, RVG (dort Nr. 6300 VV Rn 32 ff. m.w.N.) und die Darstellung zur Verfahrensgebühr Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG verwiesen werden (dazu Burhoff, AGS 2022, 1).

Da ein (Haft-)Zuschlag in Teil 6 Abschnitt 3 VV RVG nicht vorgesehen ist, werden durch die allgemeine Verfahrensgebühr auch die durch die Inhaftierung des Mandanten ggf. entstehenden Erschwernisse mit abgedeckt.

Nach der Anm. zur Nr. 6300 VV RVG entsteht die Verfahrensgebühr für jeden Rechtszug. Das entspricht der Regelung in § 17 Nr. 1 RVG, sodass die Gebühr auch in sich ggf. ergebenden Beschwerde- und in Rechtsbeschwerdeverfahren (noch einmal) entsteht. Es gelten die allgemeinen Regeln (Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Nr. 6300 VV Rn 36 m.w.N.).

Für den gerichtlich bestellten Rechtsanwalt entsteht eine Festgebühr in Höhe von 224 EUR

Für den anwaltlichen Beistand entsteht ggf. außerdem eine Terminsgebühr Nr. 6301 VV RVG. Die entsteht nach Vorbem. 6 Abs. 3, Nr. 6301 VV RVG für die Teilnahme des Rechtsanwalts an gerichtlichen Terminen. Das ist die Formulierung, die das RVG grundsätzlich für den Abgeltungsbereich von Terminsgebühren verwendet. Das bedeutet, dass alle vom anwaltlichen Bevollmächtigten erbrachten Teilnahmen an Gerichtsterminen erfasst werden. Nimmt der Bevollmächtigte also an mehreren Terminen teil, erhält er gleichwohl nur eine Terminsgebühr (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 6301 VV Rn 10 m.w.N.). Wegen der Einzelheiten zur Terminsgebühr kann auf Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG (dort Nr. 6301 VV Rn 6 ff. m.w.N.) und die Darstellung der Terminsgebühr Vorbem. 4 Abs. 3 VV RVG verwiesen werden (dazu Burhoff, AGS 2022, 97 u. 193).

Da ein (Haft-)Zuschlag in Teil 6 Abschnitt 3 VV RVG nicht vorgesehen ist, werden durch die allgemeine Terminsgebühr auch die durch die Inhaftierung des Mandanten ggf. entstehenden Erschwernisse bei Terminen mit abgedeckt.

Für den gerichtlich bestellten Rechtsanwalt entsteht eine Festgebühr in Höhe von 224 EUR

In Abschiebehaftsachen können auch Auslagen entstehen, die sind nach Teil 7 VV RVG abzurechnen. Ggf. entsteht eine Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG.

3. Wo und wie werden die Gebühren festgesetzt?

Die Festsetzung der anwaltlichen gesetzlichen Vergütung erfolgt gem. § 45 Abs. 3 RVG – „sonst gerichtlich bestellt oder beigeordnet“ (Schneider/Volpert, RVG, 9. Aufl. 2021, § 45 Rn 25 f.; Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Teil A Rn 2385) und gem. § 55 RVG (BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – V ZB 309/10, AGS 20212, 472 = RVGreport 2012, 302 = NJW-RR 2021, 959). Zuständig ist also das (erstinstanzliche) Gericht.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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