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Zulässigkeit der Berufungsbeschränkung in Strafsachen

1. Entscheidende Prüfsteine für die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung sind der legitime Gestaltungswille des Angeklagten sowie das Gebot eines bewussten und verständigen Umgangs mit justiziellen Ressourcen („Prozesswirtschaftlichkeit“).

2. Es erscheint überfürsorglich und letztlich paternalistisch-etatistisch, wenn die Justiz im Bereich der Strafrechtspflege über den erklärten Willen des Angeklagten, eine für ihn nachteilige Entscheidung hinzunehmen, ohne dringenden Grund hinweggeht.

3. Die Berufungsbeschränkung ist nur unwirksam, wenn die erstinstanzlichen Feststellungen abschließend und nicht behebbar unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen.

4. Der dabei anzuwendende Prüfungsmaßstab ergibt sich nicht aus dem Revisionsrecht.

5. Nicht beschränkungshindernd ist im Grundsatz ein dem Tatgericht unterlaufener Subsumtionsfehler. Ein solcher liegt u.a. vor, wenn das tatsächlich festgestellte Tatverhalten den nicht angefochtenen Schuldspruch nicht trägt.

6. Von dem Grundsatz der Unbeachtlichkeit von Subsumtionsfehlern ist auch nicht abzuweichen, wenn der Schuldspruch einen höheren Strafrahmen vorgibt als das tatsächlich festgestellte Verhalten bei zutreffender Subsumtion (entgegen OLG Köln NStZ-RR 2000, 49).

(Leitsätze des Gerichts)

KG, Beschl. v. 31.7.20243 ORs 50/24 – 161 Srs 70/24

I. Sachverhalt

Beschränkung auf Rechtsfolgenausspruch

Das AG hat den Angeklagten wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen stieß der Angeklagte den Geschädigten „anlässlich einer verbalen Auseinandersetzung … von vorne, sodass dieser zu Boden ging“. Er entnahm der Brusttasche der Jacke des Geschädigten mindestens 365 EUR Bargeld und weitere Gegenstände. Ausführungen zur inneren Tatseite des Raubs fehlen. Der Angeklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, die er in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Das LG hat die Beschränkung für wirksam erachtet und den Angeklagten zu einer geringeren Strafe verurteilt. Seine Revision blieb erfolglos.

II. Entscheidung

Grundlagen zur Beschränkung

Im Rahmen einer zulässigen Revision habe das Revisionsgericht auf die Sachrüge von Amts wegen zu prüfen, ob das LG zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung nach § 318 S. 1 StPO und damit von einer Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist (BGHSt 27, 70). Nach dem Rechtsmittelsystem der StPO habe der Angeklagte bei der Entscheidung, ob und inwieweit er ein gegen ihn ergangenes Urteil angreifen will, eine weitreichende Dispositionsbefugnis. Die aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit dem Rechtsmittelberechtigten eingeräumte Verfügungsmacht verlange es deshalb, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren (BGHSt 47, 32). Das Rechtsmittelgericht könne und dürfe diejenigen Entscheidungsteile nicht infrage stellen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Teil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbstständig geprüft und beurteilt werden kann (BGHSt 38, 362; 29, 359). Dies gelte auch dann, wenn der Angeklagte einen ungünstigen Schuldspruch hinnimmt (BGH NStZ-RR 2022, 290). Für ein solches Prozessverhalten könne es vielfältige Gründe geben, die das Revisionsgericht nicht zu hinterfragen hat. Bereits dies mache deutlich, dass die Beurteilung der Frage, ob der Entscheidung eines Angeklagten, den gegen ihn ergangenen Schuldspruch zu akzeptieren, die vom Ausgangsgericht getroffenen Feststellungen gegen sich gelten zu lassen und in der Rechtsmittelinstanz lediglich den Strafausspruch überprüfen zu lassen, Geltung zu verschaffen ist, nicht nach denselben Maßstäben erfolgt wie die revisionsgerichtliche Überprüfung eines vom Angeklagten angefochtenen Schuldspruchs nach § 344 StPO (KG StV 2014, 78). Allerdings sei auch anerkannt, dass den Grundsätzen der Dispositionsfreiheit und der Prozesswirtschaftlichkeit Grenzen gesetzt sind. Unwirksam erschienen Berufungsbeschränkungen nach diesen Maßgaben, wenn die dem amtsgerichtlichen Schuldspruch zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (BGHSt 62, 155 = NJW 2017, 2482 = VRR 8/2017, 12 = StRR 10/2017, 14 [Burhoff]). Diese Einschränkung der Dispositionsbefugnis wiederum begrenzend sei zu berücksichtigen, dass Lücken bei den Urteilsfeststellungen in aller Regel durch das Berufungsgericht geschlossen werden können (BGHSt a.a.O.). Daraus ergebe sich zweierlei: Aus Lücken der erstinstanzlichen Entscheidung folge nicht ohne Weiteres die Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch. Auf der anderen Seite könne von Unvollständigkeiten der Berufungsentscheidung nicht ohne Weiteres auf die Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung geschlossen werden. Für die Prüfung der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung bleibe damit zentral, ob die erstinstanzlichen Feststellungen abschließend und nicht behebbar „unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen“ (BGHSt a.a.O.).

Auswirkung von Subsumtionsfehlern

Im hier zu überprüfenden Fall weise das amtsgerichtliche Urteil Rechtsfehler in Bezug auf die Rechtsanwendung auf, da die Feststellungen nur die Annahme eines Diebstahls, aber nicht eines Raubes trügen, weil ein finaler Zusammenhang zwischen der Gewaltanwendung und der Wegnahme nicht festgestellt worden sei. Allerdings ergebe sich der hier anzuwendende Prüfungsmaßstab nicht aus dem Revisionsrecht. Ob und wie sich derartige sachlich-rechtliche Rechtsanwendungsfehler des erstinstanzlichen Urteils auf die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung auswirken, werde in Rechtsprechung und Literatur unter dem Begriff „Subsumtionsfehler“ erörtert. Der BGH hat hierzu entschieden: „Etwaige Subsumtionsfehler des erkennenden Gerichts und daraus resultierende Mängel des Schuldspruchs berühren die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung, die den Schuldspruch von einer Beanstandung ausnimmt, nicht“ (BGH NStZ-RR 2022, 290). In der Rechtsprechung werde dem namentlich durch das OLG Köln nicht, jedenfalls nicht konsequent gefolgt. Es nehme die Fälle aus, bei denen der fehlerhafte Schuldspruch zu Lasten des Angeklagten einen höheren Strafrahmen vorgibt (OLG Köln NStZ-RR 2000, 49). Neuerdings erweitere das OLG Köln diese Auffassung auf den Fall, dass die richtige Subsumtion nur hypothetisch-fakultativ zu einem milderen Strafrahmen geführt haben könnte (OLG Köln, Beschl. v 16.4.2024 – III-1 ORs 62/24 [vollendeter Diebstahl statt Versuch]). Wendete man die Rechtsprechung des OLG Köln auf den hiesigen Fall an, so wäre die Beschränkung unwirksam. Eine solche Verengung widerspreche namentlich der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Es sei auszuschließen, dass dem BGH bei seinen Entscheidungen der wohl naheliegendste Fall eines sich zuungunsten des Angeklagten auswirkenden Subsumtionsfehlers, nämlich die Eröffnung eines erhöhten Strafrahmens, außer Blick geraten sein könnte. Auch missachte die Judikatur des OLG Köln den legitimen Gestaltungswillen des Angeklagten ebenso wie das Gebot eines bewussten und verständigen Umgangs mit justiziellen Ressourcen („Prozesswirtschaftlichkeit“, wird ausgeführt). Ohne Bedeutung sei in diesem Zusammenhang gleichfalls, dass die amtsgerichtlichen Feststellungen auch daran leiden, dass sie zur inneren Tatseite des Raubs nichts enthalten. Es könne aber nicht einleuchten, fehlende Feststellungen (hier: zur inneren Tatseite) anders zu beurteilen als den – von höchstrichterlicher Rechtsprechung für nicht beschränkungskritisch gehaltenen – Subsumtionsfehler. Denn im Kern lägen beide Fälle gleich.

Keine unbehebbaren Lücken

Auch sind die erstinstanzlichen Feststellungen nicht anderweitig unbehebbar „unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen“ (BGHSt a.a.O.). Bei diesem vom BGH formulierten Erfordernis gehe es nicht um die Strafbegründungsschuld (schuldhafte Verwirklichung des Tatbestands), sondern um die (die Höhe der Strafe determinierende) Strafzumessungsschuld (wird ausgeführt).

III. Bedeutung für die Praxis

Umsetzung der Vorgaben

Der Tendenz der Revisionsgerichte, bei einer Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch recht hohe Anforderungen an die zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen zu stellen, sind durch die Entscheidung BGHSt 62, 155 = NJW 2017, 2482 = VRR 8/2017, 12 = StRR 10/2017, 14 (Burhoff) zu den notwendigen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis Grenzen gezogen worden. Gleiches gilt für die Behandlung von Subsumtionsfehlern (BGH NStZ-RR 2022, 290). Diese Vorgaben hat das KG hier zusammengefasst und überzeugend umgesetzt. Solange der Schuldspruch nicht anderweitig unbehebbar unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig ist, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen, er also schlicht unkorrigierbar unbrauchbar ist, muss die Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelführers beachtet werden. Eine vergleichbare Entwicklung zeigt sich auch bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch (OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2023, 188 = VRR 3/2023, 21 = StRR 5/2023, 34 [jew. Burhoff]; OLG Rostock DAR 2022, 578; OLG Jena, Beschl. v. 16.9.2024 – 1 ORbs 371 SsBs 96/24, demnächst in VRR [Deutscher]).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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