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Neufestsetzung einer Strafe nach dem KCanG

1. Die Feststellung, ob eine Tat i.S.d. Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB nicht mehr strafbar ist, ist allein anhand der Urteilsfeststellungen zu treffen.

2. Steht nach den Urteilsfeststellungen die fehlende Strafbarkeit einer einer Einheitsjugendstrafe zugrunde liegenden Tat nach neuem Recht nicht fest, ist eine Neufestsetzung der Einheitsjugendstrafe nach Art. 313 Abs. 4 S. 2 i.V.m. Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB, § 66 JGG nicht veranlasst.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Saarbrücken, Beschl. v. 9.9.20241 Ws 92/24

I. Sachverhalt

Verurteilung wegen Betäubungsmitteldelikten

Gegen den Verurteilten war wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 35 Fällen, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sowie wegen Besitzes von Betäubungsmitteln (insgesamt 61,61 Gramm Cannabis) eine Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren verhängt worden.

Keine Neufestsetzung der Strafe nach Inkrafttreten des KCanG

Mit Beschluss vom 25.4.2024 stellte die Jugendkammer fest, dass eine Änderung des Schuldspruchs oder eine Neufestsetzung der verhängten Jugendstrafe auch nach Inkrafttreten des KCanG zum 1.4.2024 nicht veranlasst sei. Der abgeurteilte Besitz von 61,61 Gramm Cannabis sei weiterhin strafbar. Im Übrigen schloss die Jugendkammer aus, dass sie selbst bei entfallendem Schuldspruch wegen Besitzes von BtM für die verbleibenden Handelsdelikte auf eine insgesamt niedrigere Jugendstrafe erkennen würde.

Sofortige Beschwerde erfolglos

Gegen diesen Beschluss wandte sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde. Zur Begründung trug er unter anderem vor, dass die Jugendkammer gehalten gewesen sei, aufzuklären, ob dem besessenen Cannabis anderes Material wie etwa Pfefferminzstängel beigemischt war. Das OLG hat das Rechtsmittel als unbegründet verworfen.

II. Entscheidung

Straflosigkeit muss sich aus dem rechtskräftigen Urteil ergeben

1. Der Senat führt aus, dass die Neufestsetzung einer rechtskräftig wegen mehrerer Straftaten einheitlich festgesetzten Jugendstrafe dann vorzunehmen sei, wenn eine der zugrunde liegenden Taten nach dem Inkrafttreten des KCanG nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht ist. Die Prüfung der Sanktionsfreiheit nach neuem Recht habe dabei ausschließlich auf Grundlage der Feststellungen des in seinem Schuldspruch rechtskräftigen Urteils zu erfolgen. Belegten diese eine Straflosigkeit nach dem KCanG nicht, sei für eine Strafneufestsetzung kein Raum. Art. 313 Abs. 4 EGStGB erlaube eine Durchbrechung der Urteilsrechtskraft ausschließlich hinsichtlich des Strafausspruchs, nicht aber hinsichtlich des Schuldspruchs und der ihn tragenden Feststellungen; inhaltliche Änderungen oder sachliche Ergänzungen des rechtskräftigen Urteils seien nicht zulässig.

Unterschreiten der Strafbarkeitsgrenze nicht feststellbar

Hiervon ausgehend könne ein nach Inkrafttreten des KCanG erlaubter Besitz von Cannabis nicht angenommen werden. Denn die Feststellungen des Urteils belegten einen solchen erlaubten Cannabisbesitz nicht. Die Beimischung anderer Stoffe lasse sich den Urteilsgründen auch in ihrer Gesamtschau nicht entnehmen.

Keine Anwendung des Zweifelssatzes

2. Es sei auch nicht von Verfassung wegen veranlasst gewesen, von einem Unterschreiten der Strafbarkeitsgrenze auszugehen. Der Zweifelssatz bedinge in Fällen, in denen sich anhand des Urteils die Voraussetzungen einer Straflosigkeit nach neuem Recht weder bejahen noch verneinen lassen, keine Annahme eines Straferlasses zugunsten des Verurteilten und keine daran anknüpfende Strafneufestsetzung nach Art. 313 Abs. 4 EGStGB; es gehe, vergleichbar dem strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren, nicht um die Verurteilung oder die Erneuerung einer Verurteilung. Vermöge ein Gericht die Straffreiheit nach neuem Recht als Voraussetzung eines Straferlasses nicht festzustellen, liege darin ebenso wie bei Ablehnung einer Rehabilitierung kein erneuter Ausspruch eines strafrechtlichen Unwerturteils, der mit dem Schuldprinzip unvereinbar wäre, soweit dieses die Zulässigkeit eines strafrechtlichen Vorwurfs an strafrechtliche Schuld im Sinne einer Vorwerfbarkeit knüpft und verbietet, schuldloses Verhalten mit Strafe zu bedrohen oder zu belegen.

Keine analoge Anwendung von Art. 316p EGStGB

3. Schließlich gebiete auch der Umstand, dass die Tat nach neuem Recht mit niedrigeren Strafen als zuvor bedroht wäre, keine Neufestsetzung der Jugendstrafe. Denn Art. 316p i.V.m. Art. 313 EGStGB eröffne nicht, auch nicht in entsprechender Anwendung, die Möglichkeit, Strafen für solche Taten zu ermäßigen oder neu festzusetzen, die nach dem BtMG verhängt wurden und nach dem KCanG weiterhin strafbar sind.

III. Bedeutung für die Praxis

Keine nachträgliche Überprüfung rechtskräftiger Schuldsprüche

Der Senat stellt klar, dass das Inkrafttreten des KCanG nicht die Möglichkeit eröffnet, rechtskräftig getroffene Feststellungen in einer Art Wiederaufnahmeverfahren oder „nachträglicher Revision“ nochmals überprüfen zu lassen. Das Begehren nach dem Erlass oder zumindest der Herabsetzung einer nach altem Recht verhängten Strafe kann deshalb nicht darauf gestützt werden, dass das seinerzeit erkennende Tatgericht seiner Aufklärungspflicht nicht oder nicht vollumfänglich nachgekommen sei.

Ist die Tathandlung auch nach neuem Recht strafbar, insbesondere also das Handeltreiben, versprechen auch Anträge nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 EGStGB keinen Erfolg, denn diese Vorschrift ist in solchen Konstellationen weder direkt noch entsprechend anwendbar (so auch OLG Hamm, Beschl. v. 20.8.2024 – 5 Ws 230/24).

RiOLG Thomas Hillenbrand, Stuttgart

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