Wurde die letzte Verwaltungsentscheidung in einem wegen Cannabis-Konsums geführten Fahrerlaubnis-Entziehungsverfahren vor dem 1.4.2024 erlassen, sind die Änderungen der Fahrerlaubnis-Verordnung durch das Inkrafttreten des CanG am 1.4.2024 ebenso unerheblich wie die Änderungen des § 24a StVG durch das am 22.8.2024 in Kraft getretene Sechste Gesetz zur Änderung des StVG und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften.
(Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen „THC-Fahrt“ im August 2021
Der 1995 geborene Kläger wendet sich gegen die Versagung von PKH für eine am 27.4.2022 erhobene Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 28.3.2022 über die kostenpflichtige Entziehung der Fahrerlaubnis (u.a.) der Klasse B. Dieser Bescheid wurde seinen Verfahrensbevollmächtigten am 30.3.2022 zugestellt. Nach einer Kraftfahrt vom 4.8.2021 unter dem Einfluss von Cannabis (Konzentrationen im Blutserum: THC: 1,0 ng/ml und THC-Carbonsäure: 12,2 ng/ml) hatte der Kläger die daraufhin ergangene und am 12.2.2022 zugestellte Anordnung des Beklagten vom 9.2.2022 nicht befolgt, sich binnen acht Tagen nach Zustellung dieser Anordnung einer ärztlichen Begutachtung mit Drogenscreening zu unterziehen und das daraufhin zu erstellende ärztliche Gutachten binnen 28 Tagen vorzulegen. Der Beklagte sah ihn deshalb gestützt auf die §§ 46 und 11 Abs. 8 FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen an und entzog ihm kostenpflichtig unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Die Anordnung des Sofortvollzuges hat das VG am 18.5.2022 aufgehoben, weil sie entgegen § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO nicht begründet worden war. Es hat allerdings mit seinem nunmehr angegriffenen Beschluss vom 27.2.2024 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage abgelehnt.
Beschwerde erfolglos
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers blieb erfolglos. Mit dem VG sieht auch das OVG nicht die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung des Klägers (§ 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 114 S. 1 ZPO).
II. Entscheidung
Die Änderungen der Fahrerlaubnis-Verordnung durch das Inkrafttreten des CanG (BGBl 2024 I Nr. 109) am 1.4.2024 seien für den vorliegenden Fall ebenso unerheblich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.6.2024 – BVerwG 3 B 11.23) wie die Änderungen des § 24a StVG – namentlich in Gestalt der Einfügung eines Abs. 1a – durch das am 22.8.2024 in Kraft getretene Sechste Gesetz zur Änderung des StVG und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (BGBl I Nr. 266).
Maßgeblicher Zeitpunkt grundsätzlich derjenige des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung
In Verfahren über Anfechtungsklagen gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis sei der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt grundsätzlich derjenige des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.6.2024 – BVerwG 3 B 11.23), hier also derjenige des Erlasses der Entziehungsverfügung vom 28.2.2022 durch deren Zustellung am 30.3.2022. In Fällen, in denen die Fahrerlaubnisentziehung – wie hier – auf einer Verneinung der Fahreignung des Betroffenen nach Anwendung der Beweisregel des § 11 Abs. 8 S. 1 FeV (i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV) beruhe, gelte allerdings die Besonderheit, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der nicht befolgten behördlichen Begutachtungsanordnung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt von deren Erlass ankommt (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.4.2024 – 12 ME 19/24 m.w.N.) und d.h. im vorliegenden Fall: auf den Zeitpunkt der Zustellung dieser Anordnung am 12.2.2022. Sei eine Begutachtungsanordnung zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig gewesen, sei in Anwendung der Beweisregel des § 11 Abs. 8 S. 1 FeV zu beurteilen, ob unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung gegebenen gesamten Sachlage, insbesondere der damals für die Nichtvorlage des geforderten Gutachtens maßgeblichen Gründe, deshalb auf eine Nichteignung des Betroffenen geschlossen werden konnte, weil sich in der Nichtbeibringung des Gutachtens seine aktuelle Weigerung manifestierte, den notwendigen eigenen Teil zur Sachaufklärung beizutragen. Da es dabei im Kern um die Beurteilung einer Tatsachenfrage gehe, nämlich derjenigen, ob ein nicht kooperatives Verhalten des Betroffenen vorgelegen habe, das als ein – kraft der Beweisregel als entscheidend definiertes – Indiz für das Vorliegen der von der Behörde befürchteten Eignungsmängel spreche, müsse diese Beurteilung vor ihrem damaligen rechtlichen Hintergrund erfolgen. Es wäre dagegen unhistorisch – und deshalb ein Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung –, rückwirkend die Maßstäbe auszutauschen, anhand derer sich entscheide, ob ein Betroffener hinreichend kooperiert habe.
Keine Anwendung von § 4 Abs. 3 OWiG
Anders als wohl im Bußgeldverfahren (vgl. OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.8.2024 – 2 ORbs 95/24, VRR 9/2024, 27 = StRR 9/2024, 29) sei daher nicht etwa der Rechtsgedanke des § 4 Abs. 3 OWiG, wonach in dem Fall, in dem ein Gesetz, dass bei der Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert wird, das mildeste Gesetz anzuwenden ist, in der Weise heranzuziehen, dass darauf abzuheben wäre, ob auch nach dem zwischenzeitlich geänderten Recht ein hinreichender Anlass für die (nicht befolgte) Anordnung einer Begutachtung bestanden hätte. Denn ein betroffener Fahrerlaubnisinhaber habe in der Vergangenheit seine Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung selbstverständlich nur an der damaligen Rechtslage ausrichten können und müssen. Seine mangelnde Bereitschaft zu einer ihm damals obliegenden Mitwirkung verliere ihre indizielle Bedeutung aber nicht, wenn nach aktuellem Recht eine entsprechende Mitwirkung nicht (mehr) eingefordert würde. Die Richtigkeit dieser Sichtweise werde durch die Überlegung bestätigt, dass unter den aufgrund mangelnder Mitwirkung des Fahrerlaubnisinhabers behördlich nicht aufklärbaren Tatsachen (gerade) auch solche fahreignungsrelevanten Umstände sein können, die nach dem – ihm allerdings günstigeren – aktuellen Recht ebenfalls einen Fahreignungsmangel begründet hätten.
Keine Übergangsregelung = altes Recht gilt weiter
Da der Normgeber – anders als etwa im Strafrecht mit dem durch Art. 13 CanG eingefügten Art. 316p EGStGB – eine Übergangsregelung, aus der sich eine Rückwirkung der hier in Rede stehenden Rechtsänderungen ergäbe, nicht geschaffen habe, seien diese Änderungen für den vorliegenden Fall nicht relevant. Auf der Grundlage der nach den vorstehenden Ausführungen jeweils maßgeblichen vormaligen Rechtslage sei dem VG darin zu folgen, dass gegen den angefochtenen Bescheid aller Voraussicht nach nichts zu erinnern ist. Das gelte insbesondere mit Blick auf den von dem Kläger hervorgehobenen Umstand, dass das in seinem Blutserum nachgewiesene Cannabis (THC) lediglich in einer Konzentration von 1,0 ng/ml vorgefunden wurde, was – seines Erachtens – kein Beleg für eine unzureichende Trennung von Cannabiskonsum und Fahren ist. Entgegen der Auffassung des Klägers habe aber vor der jüngsten Änderung des § 24a StVG (unter Einfügung des neuen Abs. 1a) – und daher erst recht zuvor am 12.2.2022 – keine Veranlassung bestanden, von dem nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung maßgeblichen sogenannten analytischen Nachweisgrenzwert für THC bzw. Cannabisprodukte von 1 ng/ml THC im Blutserum abzuweichen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 2.5.2024 – 202 ObWi 374/24, VRR 6/2024, 2 = StRR 6/2024, 37 m.w.N.). Der Beklagte sei daher bei dem Erlass seiner hiesigen Begutachtungsanordnung zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zumindest einmalig, nämlich am 4.8.2021, gegen das Gebot (§ 24a Abs. 2 S. 2 StVG a.F. sowie Nr. 9.2.2 der Anlage 4 a.F. zu den §§ 11, 13 und 14 FeV) verstoßen habe, zwischen Cannabiskonsum und Fahren zu trennen; denn dieser analytische Nachweisgrenzwert war während seiner Kraftfahrt in seinem Blutserum erreicht worden.
III. Bedeutung für die Praxis
Nicht überzeugend
Nun ja. Das kann man m.E. auch anders sehen und den Rechtsgedanken des § 4 Abs. 3 OWiG doch heranziehen. Denn es wird nun die Fahrerlaubnis aufgrund der Verneinung der Fahreignung des Betroffenen nach Anwendung der Beweisregel des § 11 Abs. 8 S. 1 FeV entzogen, obwohl die Voraussetzungen für die Anwendung der Beweisregel nach derzeitiger neuer Rechtslage gar nicht mehr vorliegen. Man sanktioniert also verwaltungsrechtlich einen Verstoß des Betroffenen, der nach neuer Rechtslage gar kein Verstoß mehr wäre. Ein wenig hat man den Eindruck, dass das OVG damit auch den Umstand kaschieren will, dass das Verfahren zwei Jahre beim VG geschlummert hat, bevor man es nun endlich weiterbearbeitet hat. Mich überzeugt die Entscheidung des OVG nicht (zum KCanG und zu den Änderungen des StVG Deutscher, StRR 9/2024, 6).