1. Das Strafprozessrecht sieht eine Fortführung der Nebenklage durch Angehörige nicht vor. Ein „Eintreten“ in die Nebenklage oder eine „Fortführung“ derselben Nebenklage durch Angehörige des verstorbenen Nebenklägers ist nicht möglich.
2. Eine Anschlusserklärung ist nach dem Versterben des einzigen Nebenklägers nicht mehr möglich, wenn nur dieser Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil eingelegt hatte.
3. Die zu Lebzeiten erteilte Vertretungsvollmacht wirkt über den Tod des Vollmachtgebers hinaus fort und ermächtigt den Vertreter jedenfalls zur Stellung von Kosten- und Auslagenerstattungsanträgen sowie zur Einlegung von Beschwerden gegen ablehnende Entscheidungen.
(Leitsätze des Gerichts)
I. Sachverhalt
Nebenkläger verstirbt während des Berufungsverfahrens
Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen. Ihm war vorgeworfen worden, als Autofahrer die Vorfahrt des mit einem Fahrrad fahrenden späteren Nebenklägers missachtet und diesem hierdurch schwere Verletzungen zugefügt zu haben, die zu einer gänzlichen Lähmung führten. Gegen das freisprechende Urteil hat der durch seinen Rechtsanwalt vertretene Nebenkläger Berufung eingelegt. Noch bevor es zur Berufungshauptverhandlung gekommen ist, ist der Nebenkläger am 24.6.2023 verstorben. Der Rechtsanwalt hat dies dem Berufungsgericht mitgeteilt und zugleich – schriftlich – beantragt, den Angeklagten nunmehr wegen „Körperverletzung mit Todesfolge bzw. fahrlässiger Körperverletzung zu verurteilen“. Hiernach hat der Rechtsanwalt die Vertretung des Sohnes des verstorbenen Nebenklägers angezeigt und erklärt, dass „dieser die Nebenklage nach dem Tod des Nebenklägers fortführt“. Weiter hat er beantragt, diesen „als Nebenkläger zuzulassen in dem Sinne, dass dieser die Position des verstorbenen Nebenklägers übernimmt und die Berufung mit den in der Berufungsschrift gestellten Anträgen fortführt“.
LG legt Kosten dem verstorbenen Nebenkläger auf
Das LG hat festgestellt, dass die Anschlusserklärung durch den Tod des Nebenklägers ihre Wirkung verloren habe. Durch denselben Beschluss sind dem verstorbenen Nebenkläger die Kosten der Berufung mit der Folge auferlegt worden, dass sie aus dessen Nachlass zu erstatten seien. Der Rechtsanwalt hat „sofortige Beschwerde“ gegen den gesamten Beschluss eingelegt. Das Rechtsmittel stellt sich nach Auffassung des KG als sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers gegen die Kostenentscheidung sowie als Beschwerde des Sohnes gegen die Versagung der Zulassung als Nebenkläger dar. Beide Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
II. Entscheidung
Keine Fortführung der Nebenklage durch Angehörige
Ein „Eintreten“ in die Nebenklage oder eine Fortführung durch Angehörige des verstorbenen Nebenklägers sei, so das KG, durch die StPO nicht vorgesehen (vgl. BGH NStZ 2009, 174; KK/Allgayer, StPO, 9. Aufl., § 402 Rn 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 402 Rn 4). Eine solche Sukzession normiere zwar § 383 Abs. 2 StPO für die Privatklage. Für die Nebenklage fehle eine entsprechende Regelung indes. Mit dem Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 habe der Gesetzgeber die Verweisung in § 397 Abs. 1 a.F. StPO auf Vorschriften der Privatklage vielmehr bewusst beseitigt, sodass eine analoge Anwendung nicht mehr in Betracht komme (vgl. MüKo/Valerius, StPO, § 402 Rn 8). Etwas anderes ergebe sich auch nicht, wenn der Tod des Nebenklägers, was hier keinesfalls fernliegt, durch die zu seinem Anschluss berechtigende Straftat herbeigeführt worden sei (vgl. MüKo/Valerius, a.a.O.).
Kein eigenes Anschlussrecht des Sohnes
Auch habe sich der Sohn des verstorbenen Nebenklägers nach dem Tod des Nebenklägers nicht mehr aus eigenem Recht wirksam der erhobenen öffentlichen Anklage anschließen können. Zwar stehe diese Befugnis im Grundsatz auch dem Kind eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten zu (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Dies gelte jedoch dann nicht, wenn der Verstorbene sich der öffentlichen Klage noch zu Lebzeiten als Nebenkläger angeschlossen hatte. Denn nach § 402 StPO verliere die Anschlusserklärung durch den Tod des Nebenklägers ihre Wirkung. Da die Nebenklage mit dem Versterben beendet sei (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 402 Rn 6) und die vom Nebenkläger eingelegte Berufung als zurückgenommen gilt (vgl. OLG Celle NJW 1953, 1726; KK/Allgayer, a.a.O., § 402 Rn 5), wird das zunächst angefochtene Urteil in der juristischen Sekunde des Versterbens rechtskräftig. Angesichts der durch das Versterben des Nebenklägers eingetretenen Rechtskraft des Freispruchs habe auch der Beschwerdeführer nicht mehr den Anschluss nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO erklären können. Im Zeitpunkt der Anschlusserklärung habe es die durch § 395 Abs. 1 StPO vorausgesetzte öffentliche Klage nicht mehr gegeben.
Sofortige Beschwerde gegen Kostenentscheidung zulässig, aber unbegründet
Die sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers gegen die vom LG für das Berufungsverfahren getroffene Kostengrundentscheidung sei zulässig, jedoch nicht begründet.
Tod steht Zulässigkeit nicht entgegen
Dass der Nebenkläger verstorben sei, stehe der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen. Zwar sei umstritten, ob die zu Lebzeiten erteilte Vertretungsvollmacht über den Tod des Vollmachtgebers hinaus fortwirke und den Vertreter jedenfalls zur Stellung von Kosten- und Auslagenerstattungsanträgen sowie zur Einlegung von Beschwerden gegen ablehnende Entscheidungen ermächtige (bejahend OLG Hamburg NJW 1971, 2183; 1983, 464; OLG Celle NJW 2002, 3720; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2002, 246; OLG Hamm NJW 1978, 177; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Vor § 137 Rn 7; Kühl, NJW 1978, 977, 980 [allesamt den Verteidiger betreffend]; a.A. OLG Hamburg wistra 2004, 39).
Das KG geht jedoch mit der wohl herrschenden Meinung von einem solchen Fortbestehen aus. Nach § 168 BGB bestimme sich das Erlöschen der Vollmacht nämlich nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, hier also nach dem zwischen dem Nebenkläger und seinem Vertreter bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB). Auf diesen sei § 672 BGB anzuwenden, wonach der Auftrag im Zweifel nicht durch den Tod des Auftraggebers erlösche. Dieses Ergebnis sei hier auch sachgerecht, weil nach dem Tod des Nebenklägers noch über die Verfahrenskosten und die Tragung der notwendigen Auslagen zu entscheiden gewesen sei. Die durch diese Konstellation erzeugte Interessenlage lege es nahe, dass der Vertreter die Interessen des Verstorbenen (und damit „indirekt“ die der Erben) auch weiterhin vertritt (vgl. Kühl, NJW 1978, 977).
Unbegründet
Die sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers war jedoch nach Auffassung des KG unbegründet. Denn nach § 402 StPO habe die Anschlusserklärung des Nebenklägers durch dessen Tod ihre Wirkung verloren. Damit sei die Nebenklage beendet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 402 Rn 6) und das ausschließlich vom Nebenkläger eingelegte Rechtsmittel, die Berufung, gelte als zurückgenommen (vgl. OLG Celle NJW 1953, 1726; KK-StPO/Allgayer, a.a.O., § 402 Rn 5).
Die Kosten eines zurückgenommenen Rechtsmittels treffen nach § 473 Abs. 1 S. 1 StPO aber grundsätzlich denjenigen, der es eingelegt hat. Nach § 473 Abs. 1 S. 3 StPO gelte dies auch ausdrücklich für die Nebenklage. Damit habe das LG dem verstorbenen Nebenkläger zutreffend die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Freigesprochenen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt. Gleichfalls zutreffend hat das LG formuliert, dass dies zur Folge hat, dass die auferlegten Kosten „aus dem Nachlass zu erstatten sind“ (vgl. OLG Celle NJW 1953, 1726; OLG Jena MDR 1995, 1071; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 402 Rn 6).
III. Bedeutung für die Praxis
Zutreffend
1. Angesichts der vom KG mitgeteilten Verfahrensumstände ein in der Sache sicherlich unbefriedigendes Ergebnis, an dem aber wegen der Regelung in § 402 StPO kein Weg vorbei führt.
Vertretungsvollmacht
2. Zutreffend ist auch die Auffassung des KG, wonach die Vertretungsvollmacht über den Tod des Mandanten hinaus fortwirkt. Das ist in der Vergangenheit in der Rechtsprechung zum Teil anders gesehen worden (vgl. die weiteren Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Vor § 137 Rn 7). Diese Auffassung dürfte aber durch BGHSt 45, 108 überholt sein.