Die Rahmengebühr eines Strafverteidigers i.S.d. § 14 Abs. 1 RVG ist nicht zu mindern, wenn die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädiert. Die Staatsanwaltschaft stellt ihren Antrag erst am Ende der Hauptverhandlung und dieser bindet das erkennende Gericht nicht. Deswegen hat ein gewissenhafter Strafverteidiger die Hauptverhandlung einschließlich seines eigenen Schlussvortrags mit demselben Aufwand vorzubereiten und zu halten wie bei jedem anderen Antrag der Staatsanwaltschaft auch.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Freispruch des Angeklagten
Dem ehemaligen Angeklagten ist das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung gem. §§ 86a Abs. 1 Nr. 4, 86a Abs. 1 Nr. 1, 130 Abs. 3, 52 StGB vorgeworfen worden. Nach Einspruch gegen den gegen ihn erlassenen Strafbefehl hat beim AG die Hauptverhandlung stattgefunden, und zwar zunächst am 1.3.2023 von 11:02 Uhr bis 11:16 Uhr und dann noch am 22.3.2023 von 14:52 Uhr bis 15:00 Uhr. In der Hauptverhandlung haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung beantragt, den Angeklagten freizusprechen. Dem ist das AG gefolgt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.
Mittelgebühr geltend gemacht
Der Angeklagte hat die Erstattung der bei ihm entstandenen Verteidigergebühren beantragt. Geltend gemacht worden sind auch bei der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG die Mittelgebühren. Der Vertreter der Staatskasse hat geltend gemacht, diese seien niedriger anzusetzen. Zu berücksichtigen sei u.a. auch, dass die Staatsanwaltschaft ebenfalls einen Freispruch gefordert habe. Dem ist das AG gefolgt hat bei der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG nur 170,00 EUR und bei der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG nur 140 EUR festgesetzt. Die u.a. dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten hatte Erfolg. Das LG hat die vom Verteidiger angesetzte Mittelgebühr festgesetzt.
II. Entscheidung
Bemessung der Rahmengebühren
Die erstattungsfähige Gebühr innerhalb des Rahmens des Vergütungsverzeichnisses des RVG hänge von den in § 14 RVG aufgeführten Umständen ab. Die Angemessenheit der von dem Verteidiger bestimmten Gebühr werde im Kostenfestsetzungsverfahren überprüft (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 464b Rn 3). Der Rechtsanwalt dürfe zwar nicht ohne Abwägung der Bemessungskriterien stets die Mittelgebühr abrechnen. Denn die Mittelgebühr sei lediglich Ausgangspunkt der Ermessensausübung des Rechtsanwalts. Soweit eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG von dem Durchschnitt abweiche, sei dies Anlass für den Rechtsanwalt, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen. Dem sei aber hier nicht so.
Abwägung
Dabei hat das LG berücksichtigt, dass es sich um eine Sache vor dem AG gehandelt hat. Dort sei der Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zwar leicht überdurchschnittlich bedeutsam, nicht jedoch im für die Mittelgebühr maßgeblichen Vergleich auch mit Verfahren vor dem OLG und LG. In Anbetracht der Umstände hat die Kammer die Ansetzung der Mittelgebühr gleichwohl gemäß § 14 RVG als angemessen angesehen. Die Schwere der dem ehemaligen Angeklagten vorgeworfenen Delikte – Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung – begründe eine überdurchschnittliche Bedeutung des Falles. Die Komplexität, insbesondere die Klärung der von Mobiltelefonnummern geführten Gespräche sowie die Bewertung einer Zeugenaussage habe einen erhöhten Arbeitsaufwand für den Verteidiger bedeutet. In der Gesamtschau der dargelegten Gründe erweise sich die Mittelgebühr als sachgerecht und den Erfordernissen des Falles entsprechend.
Freispruchantrag der Staatsanwaltschaft
Der von der Staatsanwaltschaft beantragte Freispruch stand dem nach Auffassung der Kammer nicht entgegen. Zwar sei das deutsche Strafverfahren nicht kontradiktorisch ausgestaltet und die Staatsanwaltschaft als objektive Behörde gem. § 160 Abs. 2 StPO ermittle auch entlastende Umstände zugunsten der Beschuldigten. Ihren Antrag stellt die Staatsanwaltschaft indes erst am Ende des Verfahrens. Bereits deswegen sei ein erst zu diesem Zeitpunkt erkennbarer Anknüpfungspunkt ungeeignet, um eine angeblich geringere Komplexität des Verfahrens aus Verteidigersicht bis dahin rückwirkend zu rechtfertigen. Soweit auf den Schlussvortrag abzustellen sei, habe diesen ein gewissenhafter Strafverteidiger beim Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft schon im Wesentlichen vorbereitet. Zudem entfalte auch ein übereinstimmender Antrag von Staatsanwaltschaft und Verteidigung keine Bindungswirkung für das Gericht, sodass ein gewissenhafter Strafverteidiger auch dann noch umfassend vortragen werde.
III. Bedeutung für die Praxis
Zutreffend
Die Sicht des LG ist zutreffend. Denn würde man bei der Bemessung der Verteidigergebühren auch auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Freispruchantrag der Staatsanwaltschaft abstellen, würde man das Pferd von hinten aufzäumen. Denn der von der Staatsanwaltschaft am Ende des Verfahrens gestellte Antrag sagt nichts über die Schwierigkeit des Verfahrens und den erforderlichen Umfang der Tätigkeiten des Verteidigers aus. Der muss davon ausgehen, dass die Staatsanwaltschaft einen Verurteilungsantrag stellen wird, und muss sich, worauf das LG zutreffend hinweist, entsprechend vorbereiten. Dieser Aufwand fällt nicht (nachträglich) dadurch weg, dass die Staatsanwaltschaft dann Freispruch beantragt.