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Freiwilligkeit beim Rücktritt vom beendeten Versuch

Zur Freiwilligkeit beim Rücktritt vom beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB).

(Leitsatz des Gerichts)

BGH, Urt. v. 10.1.20246 StR 324/23

I. Sachverhalt

Panische Angst

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der Angeklagte entwickelte eine Vorliebe für Pornographie mit Gewaltbezug sowie mit nekrophilen Inhalten. Den Angeklagten stimulierte das Gefühl von Macht und Kontrolle. Am Tattag war ihm von seinem Arbeitgeber der Austausch eines Fensters in der Wohnung der Nebenklägerin aufgetragen worden. Er entschloss sich, die Nebenklägerin mit einem Hammer zu töten, um anschließend an ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Er schlug ihr von hinten einmal wuchtig mit der stumpfen Schlagseite des Hammers auf den Kopf. Die hiervon überraschte Nebenklägerin stürzte verletzt zu Boden und versuchte zu entkommen. Dies unterband der Angeklagte, indem er sie festhielt und ihr noch elf weitere wuchtige Hammerschläge gegen den Kopf versetzte. Seine durch die Schläge aufgetretene Erektion ließ angesichts des für ihn unerwartet massiven Verletzungsbildes nach und er ließ von der Nebenklägerin ab, ohne sexuelle Handlungen vorzunehmen. Dabei ging er davon aus, dass die Nebenklägerin ohne sofortige Hilfe an ihren schweren Verletzungen versterben werde. Er geriet in einen Schockzustand und verließ die Wohnung. Spontan kam ihm die Idee, den Tatverdacht auf einen vermeintlichen Einbrecher zu lenken und dessen Verfolgung vorzutäuschen. Sodann forderte er aus panischer Angst um seine Zukunft zwei Zeuginnen auf, für eine von einem Einbrecher verletzte Frau Hilfe zu holen; diese benötige einen Krankenwagen. Dabei handelte er indes nicht aus „freien Stücken“, sondern in einem Schockzustand, wobei ihm der gefühlte „innere seelische Druck keine andere Handlungsalternative ließ“. Anschließend unterrichtete er seinen Arbeitgeber telefonisch davon, dass jemand mit einem Hammer auf die Nebenklägerin eingeschlagen hätte und er jemanden verfolge. Wenige Minuten später nahm er wahr, dass Zeugen die Nebenklägerin aus dem Gebäude führten und versorgten. Der Angeklagte begab sich sodann in den Einfahrtsbereich des Grundstücks und wies die auf den Notruf hin eintreffenden Polizei- und Rettungskräfte vor Ort ein. Seine Revision bleib erfolglos.

II. Entscheidung

Keine Freiwilligkeit

Das LG habe einen Rücktritt des Angeklagten vom beendeten Mordversuch mit rechtsfehlerfreien Erwägungen abgelehnt. Für den unbeendeten Versuch i.S.v. § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB sei anerkannt, dass ein Rücktritt dann nicht strafbefreiend wirkt, wenn der Täter meint, den Erfolg theoretisch noch herbeiführen zu können, er sich jedoch infolge übermächtiger Angst, eines Schocks, einer psychischen Lähmung oder einer vergleichbaren seelischen Erschütterung praktisch außerstande sieht, eine weitere auf die Tatbestandsverwirklichung ausgerichtete Handlung vorzunehmen (BGHSt 7, 296, 298; 9, 48, 53; 35, 184, 186; BGH NStZ-RR 2012, 239, 240; NStZ 2023, 599). Dabei komme es darauf an, ob sich der betreffende Umstand für den Täter als ein „zwingendes Hindernis“ darstellt (BGH MDR 1982, 969; 1986, 271; BGHSt 35, 184 186). Für die Bewertung einer freiwilligen Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB) seien grundsätzlich dieselben rechtlichen Maßstäbe anzulegen (BGHSt 33, 295, 301; BGHR StGB § 24 Abs. 1 S. 1 Versuch, beendeter 5). Entscheidend sei auch in diesen Fällen, ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt und auf der Grundlage einer willensgesteuerten Entscheidung die Vollendung der Tat verhindert. Daran könne es im Ausnahmefall fehlen, wenn gerade die seelische Erschütterung des Täters ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintritts war (vgl. zu § 46 Nr. 2 StGB a.F. BGHSt 21, 216, 217). So liege es hier. Bei der zum Zeitpunkt der Ansprache von Zeugen vorliegenden akuten Belastungsreaktion hatte sich eine so große panische Angst und ein so großer innerer Druck aufgebaut, dass er zu selbstbestimmtem Handeln nicht mehr in der Lage war.

III. Bedeutung für die Praxis

Gleichbehandlung überzeugt

Der Rücktritt vom Versuch einschließlich der Beurteilung der Freiwilligkeit hat schon Scharen an Examenskandidaten in Angst und Schrecken versetzt. Auch die Tatgerichte stolpern nicht selten in diesen Fragen beim BGH. Die Frage der Freiwilligkeit stellt sich in der Praxis in erster Linie bei unbeendeten Versuchen. Der 6. Senat überträgt die in der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze auch auf den beendeten Versuch. Das ist überzeugend. Denn die Rücktrittsperspektive des Täters dazu, ob er schon alles für den Erfolgseintritt getan hat (beendeter Versuch) oder nicht, diesen aber noch erreichen kann (unbeendeter Versuch), ist unabhängig von der Frage der Freiwilligkeit des Rücktritts zu sehen, bei der es nur darum geht, ob der Täter noch Herr seiner Entschlüsse war oder nicht. Fälle wie der vorliegende sind sicherlich die Ausnahme. Nur selten wird eine Situation festzustellen sein, in der der Täter gänzlich zu selbstbestimmtem Handeln nicht mehr in der Lage war. Jedenfalls wird diese Entscheidung von der Praxis in einschlägigen Fällen zu berücksichtigen sein.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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