Eine Durchsuchung ist nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschuldigten ermittelt werden sollen. Die Anordnung einer solchen Durchsuchung ist aber unzulässig, wenn naheliegende und grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung gestanden haben, die ohne greifbare Gründe unterblieben sind. In Betracht kommen insoweit die Befragung des Beschuldigten über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, bei Beamten ggf. eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschuldigten sowie darüber hinaus eine Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin-Abfrage).
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung gegen einen Lehrer
Der Beschwerdeführer ist verbeamteter Lehrer im Schuldienst des Landes Baden-Württemberg. Die StA führte gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung. Sie warf ihm vor, am 19.6.2021 als Teilnehmer einer Kundgebung von sogenannten Querdenkern zwei dort eingesetzte Polizeibeamte als „Scheißkerle“ und „Prügelbullen“ bezeichnet zu haben. In der nach Gewährung von Akteneinsicht mit Schreiben vom 19.11.2021 durch seinen Verteidiger abgegebenen Stellungnahme beantragte dieser die Einstellung des Verfahrens. Es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht. In Rahmen der Stellungnahme teilte der Verteidiger u.a. auch mit, der Beschwerdeführer sei „Beamter im aktiven Dienst“.
Durchsuchung zur Ermittlung der Einkommensverhältnisse
Nach Eingang der Stellungnahme beantragte die StA beim AG den Erlass einer Durchsuchungsanordnung zur Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers. Das AG ordnete daraufhin die Durchsuchung u.a. der Person und der Wohnung des Beschwerdeführers an. Der Beschwerdeführer habe mit einer empfindlichen Geldstrafe zu rechnen. Die Durchsuchung sei zur Ermittlung der Tagessatzhöhe erforderlich, da der Beschwerdeführer keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht habe. Die Maßnahme stehe in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts. Der Beschluss wurde am 14.1.2022 vollzogen. Nachdem dem Beschwerdeführer von dem den Einsatz leitenden Polizeibeamten „die weitere Vorgehensweise“ erklärt worden war, gewährte er den Beamten Eintritt in seine Wohnung. Unter deren Aufsicht suchte er seine drei jüngsten Bezügemitteilungen sowie eine Einkommensteuererklärung heraus und händigte diese den Beamten aus. Weitere Durchsuchungsmaßnahmen wurden daraufhin nicht mehr durchgeführt.
Rechtsmittel erfolgslos/Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO
Rechtsmittel gegen den Durchsuchungsbeschluss und die Durchsuchungsmaßnahme blieben beim AG und LG erfolglos. Im Verfahren ist dann vom AG auf Antrag der StA ein Strafbefehl erlassen worden, gegen den Einspruch eingelegt wurde, In der Hauptverhandlung ist das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden.
Verfassungsbeschwerde
Der Beschwerdeführer hat sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss gewendet. Er hat insbesondere geltend gemacht, dass die Durchsuchungsanordnung jedenfalls unverhältnismäßig gewesen sei. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg:
II. Entscheidung
Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG
Nach Auffassung des BVerfG verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer nach Auffassung des BVerfG in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.
Durchsuchung grds. auch zur Ermittlung des Einkommens
Zwar sei die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig gewesen, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Nach § 160 S. 1 StPO haben sich die Ermittlungen der StA – unabhängig davon, ob der Erlass eines Strafbefehls beantragt oder Anklage erhoben werden soll – auch auf Umstände zu erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind; dazu zählen nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe. Durchsuchungen bei Beschuldigten nach § 102 StPO zur Ermittlung dieser Umstände seien verfassungsrechtlich daher nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.8.1994 – 2 BvR 983/94 u.a.).
Aber: Hier naheliegende und grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen nicht ergriffen
Allerdings sei die Anordnung der Durchsuchung hier unverhältnismäßig gewesen. Denn die Anordnung der Durchsuchung sei auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des BVerfG unangemessen gewesen. Den Ermittlungsbehörden hätten naheliegende und grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung gestanden, die ohne greifbare Gründe unterblieben seien. Ob diese hier ebenso wirksam gewesen wären wie eine Wohnungsdurchsuchung, also mildere Mittel im technischen Sinne dargestellt hätten (vgl. dazu BVerfGE 126, 112, 144 f.; 155, 238, 280; st.Rspr.), könne dahinstehen. Denn angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen habe eine Durchsuchung beim Beschwerdeführer jedenfalls außer Verhältnis zur Schwere der hier verfolgten Straftat gestanden.
Befragung des Beschwerdeführers?
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer insoweit freiwillige Angaben verweigert hätte und seine Befragung daher aussichtslos gewesen wäre, hätten nicht vorgelegen. Zwar habe sich der Beschwerdeführer im Rahmen der ihm von der StA nach § 163a Abs. 1 S. 2 StPO eingeräumten Möglichkeit, sich zu dem Tatvorwurf schriftlich zu äußern, darauf beschränkt, das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts zu bestreiten. Allein daraus habe jedoch nicht geschlossen werden können, dass er auf konkrete Nachfrage hin freiwillige Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert hätte, denn Angaben dazu seien zu diesem Zeitpunkt aus seiner Sicht nicht veranlasst gewesen und hätten dem Ziel seiner ersten Einlassung, eine Verfahrenseinstellung zu erreichen, widersprochen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlusts, die nur durch eine Wohnungsdurchsuchung hätte abgewendet werden können, habe nicht bestanden. Eine Nachfrage beim Beschwerdeführer hätte daher im Streitfall aus der Ex-ante-Perspektive mit einer realistischen Wahrscheinlichkeit zu den auch mittels einer Wohnungsdurchsuchung zu erlangenden Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen geführt. Im Hinblick auf diese insofern naheliegende und gegenüber einer Wohnungsdurchsuchung grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahme stelle sich die Durchsuchungsanordnung daher jedenfalls angesichts der geringen Schwere der vorgeworfenen Straftat als unangemessen dar.
Anfrage bei der Besoldungsstelle
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 160 Rn 18; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 40 Rn 16, 1.5.2023). Nachdem der Wohnort des Beschwerdeführers bekannt gewesen sei und dieser sich dahingehend eingelassen hatte, er sei „Beamter im aktiven Dienst“, wäre dessen Besoldungsstelle unschwer in Erfahrung zu bringen gewesen (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 1.6.2015 – 2 BvR 67/15). Durch eine solche Anfrage seien zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften eines Beschuldigten zu erlangen. § 40 Abs. 3 StGB erfordere aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität (vgl. BVerfG a.a.O.) – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 16.8.1994 – 2 BvR 983/94 u.a.), wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung vorliegen (vgl. BGH, Beschl. v. 25.4.2017 – 1 StR 147/17). Hinzu komme, dass es sich bei der Festlegung der Tagessatzhöhe um einen wertenden Akt richterlicher Strafzumessung handele, der dem Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belasse (vgl. BGH a.a.O.). Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten seien daher grundsätzlich nur dann verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich sei (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 30.1.2007 – 1 Ws 15/07 u.a.; OLG Jena, Beschl. v. 12.2.2009 – 1 Ss 160/08; OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.11.2009 – 1 Ss 104/09).
BaFin-Ab- und Anfrage
Hätten sich StA und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, hätten darüber hinaus durch eine Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin-Abfrage) aber auch die Bankkonten und Bankdepots in Erfahrung gebracht werden können, bezüglich derer der Beschwerdeführer wirtschaftlich Berechtigter sei (vgl. § 24c Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Kreditwesengesetz). Durch Anfragen bei den entsprechenden Banken und Instituten hätten Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers angefordert werden können. Auch insoweit hätte es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung im Grundsatz um eine grundrechtsschonende Maßnahme gehandelt. Zwar stelle eine BaFin-Abfrage und anschließende Bankanfragen angesichts des Umfangs der damit verbundenen Erhebung ggf. auch sensibler Daten einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar (vgl. BVerfGE 118, 168, 185 f.). Bankanfragen wären dennoch meist weniger grundrechtsintensiv als die Anordnung einer einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellenden Wohnungsdurchsuchung (zur Verhältnismäßigkeit einer BaFin-Abfrage zur Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch beim Verdacht nur geringfügiger Straftaten OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.2.2015 – 4 Ws 19/15; Sackreuther, in: BeckOK-StPO, § 160 Rn 20, 1.4.2023).
III. Bedeutung für die Praxis
Nur schwer verständlich
1. Wenn man es liest, mag man es nicht glauben. Bei einem Beamten wird zur Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse die Durchsuchung angeordnet? Und das, obwohl man ja nun wohl gerade bei einem Beamten durch die einfache Einsicht in Besoldungstabellen, die frei zugänglich sind, das Monatseinkommen ohne Weiteres ermitteln kann? Auf die Idee kommt die StA nicht, das AG auch nicht und das LG macht sich offenbar insoweit auch keine Gedanken. Selbst der GBA sieht bei einem verbeamteten Lehrer diese Möglichkeit nicht bzw. nur eingeschränkt. Daher muss es dann das BVerfG richten und den beteiligten Stellen erklären, wie man die wirtschaftlichen Verhältnisse aufklärt bzw. hätte aufklären können und müssen. Wie gesagt: nur schwer verständlich.
Retourkutsche?
Ich vermute einen ganz anderen Grund, nämlich die Durchsuchung als Retourkutsche für den offenbar der „Querdenker-Szene“ angehörenden oder mit ihr sympathisierenden Lehrer. Aber: So kann man doch nicht mit diesen Leuten umgehen. Das ist doch nur Wasser auf deren Mühlen. Unfassbar.
Ständige Rechtsprechung des BVerfG
2. Im Übrigen liegt die Entscheidung auf der Linie der ständigen Rechtsprechung des BVerfG zur Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung zur Ermittlung der Einkommenshöhe eines Beschuldigten (s. die Zitate; zur Durchsuchung zur Einkommensermittlung im Bußgeldverfahren LG Hagen, Beschl. v. 17.12.2018 – 46 Qs 85/18, VRR 10/2019, 19 = StRR 5/2019, 25).