Die Anordnung einer Durchsuchung ist unverhältnismäßig, wenn die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck steht. Gegen die Angemessenheit der Maßnahme sprechen können insbesondere fehlende Schwere von Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Auffindens der erhofften Beweismittel und deren untergeordnete Bedeutung für das Strafverfahren.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Erster Vorfall Mai 2019
Am 13.5.2019 wurde die ehemalige Beschuldigte von zwei Polizisten dabei beobachtet, wie sie mit einer weiteren Person einen Schaukasten öffnete, um das dortige Werbeplakat der Bundeswehr abzuhängen und durch ein optisch sehr ähnliches, aber verfälschtes Plakat zu ersetzen. Der ursprüngliche Text des Plakats war in sinnentstellender Weise so verändert worden, dass es, dem Werbezweck des Plakats zuwider, Kritik an der Bundeswehr und einem Rüstungsunternehmen zum Ausdruck brachte. Die Polizisten unterbanden den Versuch und stellten das Werkzeug und das mitgebrachte verfremdete Plakat sicher. Das Originalplakat wurde wieder im Schaukasten aufgehängt.
Weiteres Adbusting im Juni 2019
Im Juni 2019 stellte die Polizei weitere, auf die bereits beschriebene Weise veränderte Werbeplakate der Bundeswehr fest. Nach Auffassung der Polizei waren Parallelen zum Fall der Beschuldigten zu erkennen.
AG/LG: Durchsuchungsmaßnahmen rechtmäßig
Mit Beschluss vom 17.7.2019 ordnete das AG die Durchsuchung der Wohnung der Beschuldigten an. Die Beschuldigte sei wegen des Geschehens am 13.5.2019 u.a. des besonders schweren Falles des Diebstahls verdächtig. Am 6.9.2019 wurde der Durchsuchungsbeschluss vollstreckt. Daraufhin legte die Beschuldigte gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde ein, die das LG als unbegründet verwarf. Der Anfangsverdacht einer Straftat habe vorgelegen, weil das Verhalten der Beschuldigten als versuchter Diebstahl und Sachbeschädigung einzustufen sei. Die Durchsuchung sei auch nicht unzulässigerweise im Hinblick auf andere Fälle des sog. Adbustings erfolgt, sondern zur Untermauerung des Tatverdachts in dem konkret gegen die Beschuldigten geführten Verfahren. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei noch gewahrt worden.
Verfassungsbeschwerde erfolgreich
Mit ihrer gegen die Beschlüsse des AG und des LG gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschuldigte insbesondere die Verletzung ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Verfassungsbeschwerde war begründet.
II. Entscheidung
Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG
Die angegriffenen Beschlüsse des AG und des LG verletzen die Beschuldigte in ihrem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG.
Zwar Tatverdacht …
Zwar habe im Zeitpunkt der Durchsuchung der Verdacht bestanden, dass die Beschuldigten eine Straftat begangen hatten. Vor diesem Hintergrund sei die Beschuldigte zumindest verdächtig, am 13.5.2019 einen versuchten (einfachen) Diebstahl begangen zu haben, weil sie dabei beobachtet worden war, wie sie aus einem Schaukasten ein Werbeplakat entnommen hatte. Der Anfangsverdacht hinsichtlich der Begehung einer vollendeten Sachbeschädigung an dem mitgebrachten, verfremdeten Plakat erweise sich hingegen allenfalls als schwach.
… aber nur schwach
Die Durchsuchungsbeschlüsse entsprechen nach Auffassung des BVerfG jedoch nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Anordnung der Durchsuchung sei unangemessen gewesen, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck stehe. Im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung, die die hohe Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 2 GG) in den Blick nehme, sprächen der allenfalls schwache Anfangsverdacht der vollendeten Sachbeschädigung, die fehlende Schwere der Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Auffindens der erhofften Beweismittel und deren untergeordnete Bedeutung für das Strafverfahren gegen die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnungen.
Durchsuchungsanordnung beschränkt Durchsuchungszweck
Zudem haben sich – so das BVerfG – die angegriffenen Entscheidungen nicht mit der Schwere der Taten und der zu erwartenden Strafe hinreichend auseinandergesetzt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit könne lediglich berücksichtigt werden, welche Strafe hinsichtlich der konkreten Tat zu erwarten gewesen sei, die durch die Durchsuchung aufgeklärt werden sollte. Die Durchsuchungsanordnung beschränke den Durchsuchungszweck auf die Aufklärung der Geschehnisse vom 13.5.2019. Ob die Durchsuchung zur Aufklärung bislang ungeklärter Fälle des Adbustings hätte beitragen können, müsse bei der Frage nach der Schwere der Tat daher außer Betracht bleiben. Die zu erwartende Strafe – hätte sich der Tatverdacht des versuchten Diebstahls und der vollendeten Sachbeschädigung im Rahmen der Durchsuchung bestätigt – wäre voraussichtlich niedrig ausgefallen.
Auffinden von Beweismitteln unwahrscheinlich
Zudem sei äußerst unwahrscheinlich, dass die Durchsuchung tatsächlich zum Auffinden von Beweismitteln geführt hätte, die den Verdacht hinsichtlich der Vorgänge vom 13.5.2019 hätten erhärten können. Selbst wenn in der Wohnung der Beschuldigten andere Werbeplakate, Werkzeuge zum Öffnen der Schaukästen, Schablonen und sonstige Materialien zur Umgestaltung von Plakaten sowie Mobiltelefone oder Tablets, die die Umgestaltung der Plakate dokumentierten, gefunden worden wären, so hätten diese Gegenstände allenfalls belegen können, dass die Beschuldigte wohl für die Adbusting-Szene aktiv sei. Einen Rückschluss darauf, dass die Beschuldigte am 13.5.2019 in Zueignungsabsicht gehandelt habe, ließen diese Gegenstände hingegen kaum zu.
III. Bedeutung für die Praxis
Immer wieder Mahnung des BVerfG
1. Eine der doch recht zahlreichen Beschlüsse, mit denen das BVerfG immer wieder Durchsuchungsmaßnahmen wegen der fehlenden oder nicht ausreichend beachteten Verhältnismäßigkeit beanstandet (vgl. dazu gerade erst auch BVerfG, Beschl. v. 15.11.2023 – 1 BvR 52/23, StRR 2/2024, 2). Das BVerfG mahnt deren Beachtung immer wieder an. Man hat allerdings den Eindruck, dass das bei den AG und LG kaum jemanden interessiert. Sonst würde es eben nicht immer wieder entsprechende Beschlüsse des BVerfG geben müssen (zur Verhältnismäßigkeit eingehend auch Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 1818 ff.).
Keine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 oder 3 GG
2. Stellung genommen hat das BVerfG im Übrigen auch zu der mit der Verfassungsbeschwerde ebenfalls gerügten Verletzung der Grundrechte der Beschuldigten auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG). Insoweit hat es einen Verstoß verneint. Insbesondere sei nicht ersichtlich, warum die Meinungs- oder die Kunstfreiheit, sofern denn deren Schutzbereiche überhaupt eröffnet sein sollten, einer je nach Begehungsweise in Betracht kommenden Strafbarkeit des Adbustings durchgreifend entgegenstehen sollten. Eventuell abschreckende Wirkungen einer strafprozessualen Ermittlungsmaßnahme müssten im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in Art. 13 Abs. 1 GG berücksichtigt werden; sie begründen nach Auffassung des BVerfG aber keine eigenständigen Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG.