1. Ist die Beschränkung eines Strafantrags auf eines von mehreren idealkonkurrierenden Delikten nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht, weil sich zwei form- und fristgerecht gestellte Strafanträge desselben Antragstellers untereinander widersprechen, ist der Strafantrag als unbeschränkter zu behandeln und umfasst den gesamten geschichtlichen Vorgang, welcher der Beschuldigung zugrunde liegt.
2. Zur Strafbarkeit der Aufzeichnung und Speicherung von Videoauf- nahmen einer Routinepolizeikontrolle.
(Leitsätze des Gerichts)
I. Sachverhalt
Polizeikontrollen gefilmt und verbreitet
Das AG hat den Angeklagten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes in zwei Fällen verurteilt. Auf seine Berufung hat ihn das LG aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Im ersten Fall führten Polizeibeamte eine Kontrolle des Motorrades des Angeklagten durch. Die beiden Polizeibeamten hatten sich vor Ort im Zusammenhang mit zwei Großdemonstrationen befunden. Die Unterredung der beiden Polizeibeamten mit dem Angeklagten während der insgesamt etwa achtminütigen Kontrolle erfolgte mit lauten und deutlich vernehmbaren Stimmen. In einem Abstand von nur etwa zwei bis drei Metern zu der Maßnahme hielten sich kurzzeitig mehrere unbekannt gebliebene Personen auf. Einer der Männer schaltete sich zudem gegen Ende der Kontrollmaßnahme mit einem eigenen Wortbeitrag in die Kommunikation zwischen den beiden Beamten und dem Angeklagten ein. Darüber hinaus passierten zahlreiche Fußgänger, Fahrrad- und Rollerfahrer in einem Abstand von wenigen Metern den unmittelbaren Nahbereich der polizeilichen Maßnahme. Einer der Beamten stellte fristgerecht Strafantrag, den er auf die Strafverfolgung wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach §§ 201, 201a Abs. 2 StGB beschränkte. In einem weiteren Fall führten Polizeibeamte eine Kontrolle des Motorrades des Angeklagten sowie weiterer Motorräder der Begleiter des Angeklagten durch. Es passierten während der Maßnahme zahlreiche unbekannt gebliebene Personen in einem Abstand von wenigen Metern das Geschehen, wobei sie teilweise zwischen den kontrollierten Motorrädern hindurchliefen und sich mehrere von ihnen interessiert dem Geschehen zuwandten. Da die Kommunikation zwischen dem Angeklagten und den beiden Beamten jeweils mit lauter und deutlich wahrnehmbarer Stimme erfolgte, befanden sich sowohl die Begleiter des Angeklagten als auch die Passanten in Hörweite des Geschehens. Einer der Beamten stellte fristgerecht Strafantrag, den er auf die Strafverfolgung wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 StGB beschränkte. Der Angeklagte nahm beide Polizeikontrollen ohne das Wissen der beiden Beamten in Wort und Bild mittels einer an seinem Motorradhelm befestigten Kamera auf und speicherte die Aufzeichnungen ab. In der Folge machte er die Aufnahmen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich, wobei er die Beamten unkenntlich machte. Die Revision der StA war hinsichtlich des zweiten Falles erfolgreich.
II. Entscheidung
Keine Strafbarkeit nach §§ 201 Abs. 1 Nr. 1, 201a Abs. 2 StGB
Zu Recht habe die Berufungskammer in beiden verfahrensgegenständlichen Fällen eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgrund einer sogenannten faktischen Öffentlichkeit (LG Kassel StV 2020, 161 = StRR 1/2020, 25 [Deutscher]; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 201 Rn 4) sowie wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201a Abs. 2 StGB verneint.
1. Tat: Antrag betr. § 42 BDSG fehlt
Ebenso zutreffend habe die Strafkammer hinsichtlich einer Strafbarkeit gem. § 42 BDSG wegen der ersten Tat ein Verfahrenshindernis angenommen. Nach § 42 Abs. 3 S. 1 BDSG handelt es sich bei den Straftatbeständen nach § 42 Abs. 1 und 2 BGSG jeweils um absolute Antragsdelikte. Der Zeuge habe seinen Strafantrag wirksam auf die Straftatbestände der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201 und § 201a Abs. 2 StGB beschränkt. Grundsätzlich gelte der Strafantrag bei idealkonkurrierenden Delikten für sämtliche in der Handlungseinheit verwirklichte Antragsdelikte (KG StV 2022, 474 Ls.). Eine Beschränkung auf eine von mehreren zusammentreffenden Gesetzesverletzungen (§ 52 StGB) sei jedoch zulässig (KG a.a.O. m.w.N.). Ist eine Beschränkung der gewünschten Strafverfolgung weder erklärt noch sonst eindeutig erkennbar, umfasse der Strafantrag den gesamten geschichtlichen Vorgang, welcher der Beschuldigung zugrunde liegt (BGHSt 33, 114, 116 = NJW 1985, 1175). Aufgrund der ausdrücklichen Beschränkung sei für eine Auslegung dahin, dass die Strafverfolgung wegen aller in Betracht kommender Delikte und damit auch solcher nach dem BDSG oder KunstUrhG gewünscht wird, kein Raum.
2. Tat: Antrag betr. § 42 BDSG liegt vor
Etwas anderes gelte für die zweite Tat. Der Zeuge habe nicht nur Strafantrag wegen § 201 StGB gestellt, sondern zusätzlich ein Strafantragsformular unterzeichnet, das seinem Wortlaut nach unbeschränkt ist. Damit widersprächen sich die beiden gestellten Strafanträge untereinander, sodass sich eine Beschränkung der gewünschten Strafverfolgung auf das Delikt der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes dem Antrag jedenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen lasse. Die bloße Hervorhebung einzelner tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte stelle noch keine Antragsbeschränkung dar.
2. Tat: Keine hinreichenden Feststellungen zu § 42 BDSG
Hiernach sei das LG hinsichtlich der 2. Tat zu Unrecht vom Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung im Hinblick auf über § 201 StGB hinausgehende Straftatbestände ausgegangen und habe folgerichtig lediglich Feststellungen zum (objektiven) Tatbestand des § 201 Abs. 1 StGB getroffen. Das angefochtene Urteil entspreche daher insoweit nicht den sich aus § 267 Abs. 5 S. 1 StPO ergebenden Anforderungen an die Begründungspflicht bei freisprechenden Urteilen. Nach § 42 Abs. 2 Nr. 1 BDSG macht sich strafbar, wer personenbezogene Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, ohne hierzu berechtigt zu sein verarbeitet und hierbei gegen Entgelt oder in der Absicht handelt, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen. Der Begriff der personenbezogenen Daten als Schlüsselbegriff des Datenschutzrechts sei nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO auszulegen. Das von einer Kamera aufgezeichnete Bild einer Person falle unter den Begriff „personenbezogene Daten“ i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO, sofern es die Identifikation der betroffenen Person ermöglicht (EuGH NJW 2019, 2451). Die personenbezogenen Daten seien nicht allgemein zugänglich gewesen. Die Verarbeitung werde als einer der zentralen Begriffe der DSGVO in Art. 4 Nr. 2 DSGVO legaldefiniert. Das Aufnehmen und Speichern von Bildern identifizierbarer Personen auf einer kontinuierlichen Speichervorrichtung stelle eine Verarbeitung personenbezogener Daten i.S.v. Art. 4 Nr. 2 DSGVO dar (vgl. EuGH a.a.O.; BGHSt 58, 268 = NJW 2013, 2530 = StRR 2014, 26 [Schillo]). Bei der Verwendung einer Digitalkamera handele es sich um eine Videoaufzeichnung von Personen auf einer kontinuierlichen Speichervorrichtung, dem Speicher der Kamera (EuGH a.a.O.). Daneben stelle die Veränderung von Daten, d.h. das inhaltliche Umgestalten gespeicherter Daten (z.B. durch Bildbearbeitung) eine weitere Form der Datenverarbeitung dar (BGH a.a.O.). Die Verarbeitung personenbezogener Daten sei nur dann befugt, wenn der Betroffene wirksam seine Einwilligung erklärt oder wenn die DSGVO, das BDSG oder eine andere Rechtsvorschrift eine Erlaubnis beinhalten oder gar eine Anordnung zur Erhebung, Speicherung, Verarbeitung oder Weitergabe personenbezogener Daten enthalten (BGH a.a.O.). Vorliegend fehle es insbesondere an der Einwilligung der betroffenen Beamten. Soweit § 19 BlnDSG auf der Grundlage von Art. 85 Abs. 2 DSGVO die Anwendbarkeit der Verordnung bei einer Datenverarbeitung zu journalistischen Zwecken einschränkt, bedürfe deren Vorliegen einer sorgfältigen Prüfung. Journalistische Zwecke lägen – auch unter Beachtung der im Erwägungsgrund 153 DSGVO geforderten weiten Auslegung – (nur) dann vor, wenn die Veröffentlichung für einen unbestimmten Personenkreis beabsichtigt ist, ein Informationsinteresse der Allgemeinheit besteht und die meinungsbildende Wirkung der Veröffentlichung prägender Bestandteil ist. Es könne nicht davon ausgegangen werde, dass jegliche im Internet veröffentlichte Information, die sich auf personenbezogene Daten bezieht, unter den Begriff der „journalistischen Tätigkeiten“ fällt (EuGH a.a.O.). Zwar könne ein im Internet veröffentlichtes Video über eine Polizeimaßnahme als journalistische Tätigkeit anzusehen sein, wenn damit auf angeblich rechtswidrige Praktiken der Polizei aufmerksam gemacht werden soll. An einem – wie hier – alltäglichen Routinepolizeieinsatz bestehe indes kein derartiges Interesse, dass er in den Medien hätte verbreitet werden müssen (LG Bonn MMR 2021, 992). Zu beachten sei auch, dass die Mehrzahl von Fotoveröffentlichungen im Internet, z.B. auf Websites, Blogs oder Social-Media-Plattformen, zwar Ausdruck von persönlichen Ansichten ist oder der Selbstdarstellung diene. Journalistische Zwecke würden damit jedoch nicht verfolgt.
Keine Strafbarkeit nach § 33 KunstUrhG
Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verstoßes gegen § 33 KunstUrhG durch das Hochladen und Veröffentlichen des bei der Tat 2 aufgenommenen Videos scheide demgegenüber aus. Wegen der Unkenntlichmachung fehle es an einem Bildnis (wird ausgeführt). Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen im Fall 2 der Urteilsgründe zu ermöglichen, hebt der Senat die Feststellungen zu Fall 2 der Urteilsgründe insgesamt auf.
III. Bedeutung für die Praxis
Überzeugend
Etwas verwickelt durch die vorrangige Frage eines wirksamen Strafantrags hat das KG zu dem zweiten Fall nahezu lehrbuchartig die Voraussetzungen der Strafbarkeit nach § 42 BDSG durchgespielt und sein Ergebnis überzeugend begründet (zur faktischen Öffentlichkeit als Ausschlusskriterium bei § 201 StGB LG Kassel StV 2020, 161 = StRR 1/2020, 25 [Deutscher]; zu einem Beweisverwertungsverbot bei Materialien für Social-Media-Kanälen wegen vermeintlicher journalistischer Tätigkeit LG Würzburg StV-S 2022, 146 = StRR 10/2022, 21 [Deutscher]). Der Fall zeigt, dass es für alle Verfahrensbeteiligten sinnvoll ist, Strafanträge nicht nur hinsichtlich der fristgemäßen Stellung, sondern auch bezüglich ihrer Reichweite einer näheren Prüfung zu unterziehen.