Auch Oralverkehr des Opfers an dem Täter fällt unter § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB, wenn das Opfer zuvor seine ablehnende Haltung eindeutig zum Ausdruck gebracht hat. Aus der Vornahme aktiver sexueller Handlungen allein kann nicht auf Einvernehmlichkeit geschlossen werden.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Verfahren wegen Vergewaltigung
Nachdem die beiden Angeklagten vom AG vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden waren, hatte die Jugendkammer am LG auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und gegen die beiden Angeklagten Jugendstrafen verhängt.
Oralverkehr von § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB erfasst?
Gegen dieses Urteil wendeten sich die Angeklagten jeweils mit der Revision. Im Rahmen der Sachrüge trugen sie unter anderem vor, dass Oralverkehr des Opfers an dem Täter nicht unter § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB fallen könne, da Oralverkehr aktives Handeln erfordere und dabei stets dem natürlichen Willen des Opfers entspreche.
Revisionsangriffe gegen den Schuldspruch erfolglos
Die Revision eines der beiden Angeklagten erzielte einen Teilerfolg dahingehend, dass das KG das Urteil unter Verwerfung der weitergehenden Revision im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben hat. Das Rechtsmittel des Mitangeklagten blieb erfolglos.
II. Entscheidung
Aktive sexuelle Handlung bedeutet nicht zwangsläufig Freiwilligkeit
Das KG setzt sich mit der Auffassung der Verteidigung hinsichtlich des Oralverkehrs, die teilweise auch in der Lit. vertreten wird, ausführlich auseinander und erteilt ihr schließlich eine klare Absage. Das Opfer müsse zwar einen eigenen Willen äußern, wenn sexuelle Handlungen unerwünscht sind. Wurde ein solcher Wille aber eindeutig geäußert, ehe das Opfer dennoch aktiv eine sexuelle Handlung vorgenommen hat, bedeute dies nicht zwangsläufig, dass dies nunmehr dem eigenen Willen entspricht. Nach Auffassung des Senats wäre es verfehlt, allein von der Vornahme aktiver Körperbewegungen darauf zu schließen, dass kein entgegenstehender Wille vorgelegen hat. Andernfalls wären sexuelle Übergriffe nur gegenüber passiv duldenden Opfern möglich, was offensichtlich dem Wortlaut des § 177 Abs. 1 StGB widerspreche, der eindeutig auch Handlungen des Opfers an dem Täter einbeziehe.
Wille des Gesetzgebers
Für diese Auslegung spreche letztlich vor allem der gesetzgeberische Wille. Es erschließe sich nicht, weshalb zusätzlich eine Drohung, Gewalt oder eine schutzlose Lage erforderlich sein sollte, wenn das Opfer seinen entgegenstehenden Willen wie in § 177 Abs. 1 StGB verlangt eindeutig zum Ausdruck gebracht hat.
Nachhaltige Ablehnung des Opfers wirkt fort
Hiervon ausgehend genüge es für die Verwirklichung des § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB, dass eine vor der Tathandlung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung des Opfers so nachhaltig ist, dass sie die Kraft hat, den durch die Vornahme der sexuellen Handlung entstehenden Eindruck der „Freiwilligkeit“ zu überwinden.
III. Bedeutung für die Praxis
Richtige Entscheidung
1. Der Senat hat richtig entschieden. Insbesondere überzeugt der Verweis auf den Wortlaut des § 177 Abs. 1 StGB, der ausdrücklich auch sexuelle Handlungen erfasst, die der Täter von dem Opfer an sich vornehmen lässt. Der Gesetzgeber wollte also gerade nicht nur rein passive Opfer unter den Schutz des Strafrechts stellen. Ohnehin ist die der Gegenauffassung zugrunde liegende Annahme, dass Aktivität mit Freiwilligkeit gleichzusetzen sei, abwegig. Dies zeigt schon der vorliegende Fall, war doch die Nebenklägerin vor dem Oralverkehr wegen ihrer geäußerten Ablehnung von einem der Angeklagten in Gegenwart des Mitangeklagten geschlagen worden. Auch nahm sie den Penis eines Angeklagten schließlich weinend in den Mund. Hier von Freiwilligkeit auszugehen, liegt fern.
Eigene Beweiswürdigung des Revisionsführers
2. Darüber hinaus erinnert die Entscheidung an einen Umstand, der von nicht wenigen Revisionsführern übersehen wird und auch vorliegend übersehen wurde: Im Rahmen der Sachrüge kann der Revisionsführer nicht mit der Behauptung gehört werden, das Tatgericht habe sich mit einer bestimmten Aussage einer Beweisperson nicht auseinandergesetzt, wenn sich diese Aussage nicht aus dem Urteil selbst ergibt; eine eigene Beweiswürdigung mittels urteilsfremden Vorbringens ist stets zum Scheitern verurteilt. Stattdessen hilft allenfalls eine den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügende Verfahrensrüge, insbesondere eine Aufklärungsrüge. Eine solche haben die Angeklagten nicht erhoben, sodass ihr Angriff auf die Beweiswürdigung ins Leere gehen musste.