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StRR-Kompakt 2024_01

Durchsuchung: Verhältnismäßigkeit

Sollen Einkommensverhältnisse ermittelt werden, ist eine Durchsuchung nicht allein deshalb unverhältnismäßig, aber dann, wenn es mildere, grundrechtsschonende Mittel gibt, wie z.B. die Befragung des Beschuldigten (hier: verbeamteter Lehrer) zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen oder auch eine Erkundigung bei der Besoldungsstelle sowie ggf. bei der BaFin. Durchsuchungen zur Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind grundsätzlich nur dann verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.

BVerfG, Beschl. v. 15.11.2023 – 1 BvR 52/23

Akteneinsicht: inhaftierter Mandant

Dem Beschuldigten ist in Strafverfahren mit besonders großem Aktenumfang zur effektiven Vorbereitung auf die Hauptverhandlung Akteneinsicht auch in Form von elektronischen Dokumenten, die auf einem Laptop eingesehen werden können, zu gewähren: Die Staatsanwaltschaft hat der JVA ggf. eine verschlüsselte CD-ROM mit der Akte im Pdf-Format zu übersenden und die JVA dem Beschuldigten sodann einen Laptop mit der aufgespielten elektronischen Akte in einem besonderen Haftraum zur Verfügung zu stellen.

LG Nürnberg, Beschl. v. 7.11.2023 – 13 Qs 56/23

Letztes Wort: Wiedereintritt in die Beweisaufnahme

Wird nach dem letzten Wort des Angeklagten über einen Antrag, die Beweisaufnahme wieder zu eröffnen, um dem Angeklagten die Chance einzuräumen, durch eine zumindest teilweise Anerkennung der nachträglich noch gegen ihn außerhalb der Hauptverhandlung geltend gemachten Ansprüche im Rahmen des Strafverfahrens Schadenswiedergutmachung zu leisten (§ 46 Abs. 2 StGB), verhandelt, liegt ein Wiedereintritt in die Beweisaufnahme vor, der es erfordert, dem Angeklagten erneut die Gelegenheit zum letzten Wort zu geben, und zwar auch dann, wenn der Antrag abgelehnt worden ist.

BGH, Beschl. v. 16.8.2023 – 2 StR 308/22

Berufungsbeschränkung: Wirksamkeit

Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn sich im Falle einer Verurteilung wegen Betrugs aus dem amtsgerichtlichen Urteil nicht ergibt, ob dem Getäuschten ein Schaden i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB entstanden ist. Im Falle der wirksamen Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch besteht keine Bindung des Berufungsgerichts gemäß § 327 StPO an die amtsgerichtlichen Feststellungen zum gewerbsmäßigen Handeln i.S.v. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 1. Alt. StGB. Vielmehr hat das die Berufungskammer insoweit eigene Feststellungen zu treffen.

BayObLG, Beschl. v. 12.10.2023 – 202 StRR 72/23

Berufungsbeschränkung: Wirksamkeit beim sexuellem Missbrauch eines Kindes

Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn im Falle einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern aufgrund unzulänglicher Feststellungen des Erstgerichts nicht beurteilt werden kann, ob die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB überschritten ist.

BayObLG, Beschl. v. 18.10.2023 – 202 StRR 74/23

Wiederholungsgefahr: JGG-Verfahren

Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beschuldigte zur Tatzeit Heranwachsender war und insoweit möglicherweise nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe, sondern – jedenfalls wegen schädlicher Neigungen – aufgrund des Ausmaßes der Tatvorwürfe die Verurteilung zu einer unbedingten, ein Jahr weit übersteigenden Jugendstrafe zu erwarten ist.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.10.2023 – 2 Ws 142/23

U-Haft: Fluchtgefahr

Fluchtgefahr ist auch bei Delikten der Schwerkriminalität zu verneinen, wenn aufgrund des sehr schlechten Gesundheitszustandes des Beschuldigten ausgeschlossen werden kann, dass er sich dem Verfahren durch Flucht entziehen wird.

OLG Dresden, Beschl. v. 1.11.2023 – 1 Ws 226/23

Vollzug des Haftbefehls: Spezialitätsschutz; zuständiger Richter

Dem Vollzug eines Haftbefehls steht ggf. der Spezialitätsschutz des § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG entgegen. Die Vorführung vor den zuständigen Richter i.S.d. § 115 StPO wäre möglich gewesen, wenn eine Autofahrt zwischen Ergreifungsort und Vorführungsort (nur) etwa drei Stunden gedauert hätte.

AG Nürnberg, Beschl. v. 31.10.2023 – 58 Gs 12014/23

Führungsaufsicht: Bestimmtheit einer Meldeweisung

Eine im Rahmen der Führungsaufsicht erteilte strafbewehrte Meldeweisung nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 StGB genügt den Anforderungen an die Bestimmtheit der Weisung, wenn in dem anordnenden gerichtlichen Beschluss dem Verurteilten aufgegeben wird, innerhalb eines eng bemessenen Zeitraums von einem Monat mindestens einmal, höchstens dreimal nach näherer Bestimmung durch den Bewährungshelfer Termine in dessen Sprechstunde wahrzunehmen.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.10.2023 – 2 Ws 310/23

Strafaussetzung zur Bewährung: Widerruf nach einer Exequaturentscheidung

Wurde eine bedingte Freiheitsstrafe im Rahmen einer rechtskräftigen Exequaturentscheidung für vollstreckbar erklärt, obschon eine solche nach dem ausländischen Urteil tatsächlich nicht verhängt worden war, kommt ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung jedenfalls dann nicht gemäß § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht, wenn der Verurteilte die neue Straftat vor der Exequaturentscheidung begangen hat.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 9.10.2023 – 7 Ws 155/23

Gesamtstrafenbeschluss: Einziehungsmaßnahme

Die versehentliche Nichtaufrechterhaltung einer Einziehung in einem Gesamtstrafenbeschluss ist der versehentlichen Nichtanordnung der Einziehung nicht gleichzusetzen.

LG Amberg, Beschl. v. 31.10.2023 – 12 Qs 74/23

Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter: Fahrverbot

Auch wenn weiterhin in Fällen folgenloser nächtlicher Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern davon auszugehen ist, dass nicht eine Regelfahrerlaubnisentziehung nach § 69 Abs. 1 und 2 StGB stattfinden muss, ist bei einer vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs im Rahmen einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter und einem tatsächlichen erheblichen Schadenseintritt von einer Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen. Zudem ist in einem solchen Fall ein Fahrverbot nach § 44 StGB zu verhängen, um Fahrten mit gleichartigen (fahrerlaubnisfreien) Kraftfahrzeugen zu verhindern und hierdurch eine entsprechende Denkzettelwirkung zu entfalten.

AG Dortmund, Urt. v. 2.11.2023 – 729 Ds-124 Js 946/23-114/23

Beleidigung: Bezeichnung einer Frau als „Schlampe“

Die Bezeichnung einer Frau als „Schlampe“ stellt regelmäßig eine Formalbeleidigung dar, bei der die Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten hinter den Ehrenschutz der Verletzten zurücktritt, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf. Eine Schmähung des Opfers, die ebenfalls eine Einzelfallabwägung entbehrlich macht, ist dann anzunehmen, wenn die Äußerung keinen nachvollziehbaren Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es dem Angeklagten nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Bestreitet der Angeklagte vollständig das strafbare Verhalten, ist es rechtsfehlerhaft, wenn das Tatgericht bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten von einem „Teilgeständnis“ ausgeht.

BayObLG, Beschl. v. 6.11.2023 – 202 StRR 80/23

Falsche Versicherung an Eides Statt: Umfang der Angaben

Der Schuldner hat im Rahmen der nach §§ 156 und 161 Abs. 1 StGB strafbewehrten Auskunftserteilung nach § 802c ZPO auch solche Konten anzugeben, welche dauerhaft überzogen und mit Schuldzinsen belastet sind (debitorische Bankkonten). Auf die Frage, ob dem Schuldner ein vertraglich vereinbarter Kontokorrentkredit eingeräumt ist oder es sich lediglich um eine geduldete Kontoüberziehung handelt, kommt es nicht an. Geht der Schuldner im Rahmen der Vermögensauskunft irrtümlich davon aus, dass er bei der Frage über vorhandene Konten solche nicht anzugeben braucht, die ständig im Negativsaldo geführt wurden (debitorische Konten), so handelt es sich nicht um einen Irrtum über Tatumstände (§ 16 Abs. 1 StGB), sondern um einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB).

OLG Celle, Beschl. v. 12.10.2023 – 1 ORs 4/23

Volksverhetzung: Verwendung des sog. Judensterns

Es ist im Wege der Auslegung durch den Tatrichter festzustellen, ob sich die Verwendung eines sog. Judensterns mit der Aufschrift „Ungeimpft“ in sozialen Medien über die Gleichstellung der für Ungeimpfte mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie einhergehenden Einschränkungen mit den durch die nationalsozialistische „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1.9.1941 verbundenen Beschränkungen hinaus auch als Verharmlosung des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes i.S.d. § 6 VStGB darstellt.

OLG Oldenburg, Urt. v. 16.10.2023 – 1 ORs 46/23

Verbotenes Rennen: Einzelrennen

Vor dem Hintergrund einer tatsächlich sehr kurzen gefahrenen Strecke ist allein die Absicht des Angeklagten maßgeblich, die nach seinen Vorstellungen unter den konkreten situativen Gegebenheiten (Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse) maximal mögliche Geschwindigkeit auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke zu erreichen.

KG, Beschl. v. 12.6.2023 – 3 ORs 30/23 – 161 Ss 74/23

Geldstrafe: Bemessung der Tagessatzhöhe

Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe einer Geldstrafe muss das Tatgericht auch in ausreichender Weise erkennen lassen, dass es sich möglicher entsozialisierender Wirkungen der Geldstrafe bewusst gewesen ist.

BayObLG, Beschl. v. 6.11.2023 – 204 StRR 470/23

Festsetzung der Tagessatzhöhe: fehlende Mitteilung der Schätzgrundlagen

Im Falle der Verhängung einer Geldstrafe hält die Schätzung der Tagessatzhöhe nach § 40 Abs. 3 StGB der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, wenn das tatrichterliche Urteil die konkreten Schätzgrundlagen nicht mitteilt.

BayObLG, Beschl. v. 18.10.2023 – 202 StRR 76/23

Rettungsgasse: autobahnähnlich ausgebaute innerörtliche Straße

Es überschreitet die Grenzen zulässiger Auslegung, entgegen dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 StVO die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse auf einer autobahnähnlich ausgebauten innerörtlichen Straße anzunehmen.

BayObLG, Beschl. v. 26.9.2023 – 201 ObOWi 971/23

Fahrverbot: Absehen vom Fahrverbot bei Trunkenheitsfahrt

Ein Absehen vom gesetzlichen Regelfahrverbot nach den §§ 24a Abs. 1 (i.V.m. Abs. 3), 25 Abs. 1 S. 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV kann nur in einem Härtefall ganz außergewöhnlicher Art in Betracht kommen oder dann, wenn wegen besonderer Umstände äußerer oder innerer Art das Tatgeschehen ausnahmsweise derart aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG herausfällt, dass die Anordnung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre. Die Indizwirkung des Regelbeispiels nach den §§ 25 Abs. 1 S. 2, 24a StVG wird nicht allein dadurch entkräftet, dass bei einer nur wenige Minuten andauernden Alkoholfahrt eine Wegstrecke von lediglich 200 m zurückgelegt wurde. Dies gilt erst recht, wenn der Atemluftgrenzwert nach § 24a Abs. 1 StVG von 0,25 mg/l nicht nur geringfügig überschritten war, sondern die Alkoholkonzentration nahe zum Grenzwert der (absoluten) Fahruntüchtigkeit i.S.v. § 316 Abs. 1 StGB lag.

BayObLG, Beschl. v. 28.9.2023 – 202 ObOWi 780/23

Geldbuße: mathematische Berechnung der Bußgeldhöhe

Bei der Bemessung der Geldbuße sind verwaltungsinterne Bußgeldrichtlinien für die Gerichte nicht von maßgeblicher Bedeutung. Eine mathematische Berechnung der Bußgeldhöhe sieht das geltende Recht nicht vor. Vielmehr hat das Tatgericht die Bußgeldhöhe aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte zu bestimmen. Die Berücksichtigung des wirtschaftlichen Vorteils i.S.d. § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG bei der Bemessung der Bußgeldhöhe setzt voraus, dass das Tatgericht konkrete Feststellungen dazu trifft, welche Vorteile der Täter aus der Begehung der Ordnungswidrigkeit tatsächlich gezogen hat.

BayObLG, Beschl. v. 6.11.2023 – 202 ObOWi 1122/23

Verfahrensgebühr für die Einziehung: Beratung; Gegenstandswert

Die Verfahrensgebühr für Tätigkeiten bei der Einziehung wird auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr ist eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten. Das wird immer dann der Fall sein, wenn Fragen der Einziehung naheliegen. Der Gegenstandswert bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der/des Angeklagten an der Abwehr der Einziehung. Maßgeblich ist der Nominalwert der titulierten Einziehungsforderung. Es kommt daher nicht darauf an, dass wegen einer (vermuteten) Vermögenslosigkeit der Angeklagten erhebliche Zweifel an der Werthaltigkeit der Einziehungsforderung bestehen. Bei der Feststellung des Gegenstandswertes kommt es des Weiteren auch nicht auf die Anzahl der Täter und das wirtschaftliche Interesse jedes einzelnen Täters an der Abwendung der Einziehung an.

OLG Dresden, Beschl. v. 26.10.2023 – 3 Ws 66/23

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