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Nochmals: Terminsvertreter des Pflichtverteidigers bei der Haftbefehlseröffnung

1. Der dem Beschuldigten für die Haftbefehlseröffnung bestellte Pflichtverteidiger kann Grundgebühr, Verfahrensgebühr, Terminsgebühr abrechnen.

2. Grundgebühr und Verfahrensgebühr fallen immer nebeneinander an.

(Leitsätze des Verfassers)

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 7.6.20231 Ws 105/23

I. Sachverhalt

Der Angeklagte wurde am 17.3.2022 vorläufig festgenommen. Das AG hat gegen ihn am 18.3.2022 Haftbefehl erlassen, der am selben Tag eröffnet worden ist. In dem Termin ist der Rechtsanwalt anwesend gewesen. Der Angeklagte hat von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Das AG hat den Haftbefehl aufrechterhalten und in Vollzug gesetzt. Weiterhin hat es durch Beschluss erlassen, den Rechtsanwalt, „als Pflichtverteidiger für den heutigen Haftbefehlseröffnungstermin gern. §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 4 StPO“ beizuordnen. Außerdem hat es ihm einen anderen Rechtsanwalt „gem. §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 4 StPO beigeordnet“.

Der Rechtsanwalt hat für seine Tätigkeit bei der Haftbefehlseröffnung Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG sowie die Terminsgebühr Nr. 4109 VV RVG abgerechnet. Der Rechtspfleger des AG hat nur eine Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG festgesetzt. Auf die dagegen gerichtete Erinnerung hat das AG dann die Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG und die Terminsgebühr Nr. 4109 VV RVG festgesetzt. Dagegen haben sowohl die Landeskasse als auch der Rechtsanwalt Rechtsmittel eingelegt. Das LG hat das Rechtsmittel des Rechtsanwalts verworfen und auf die Beschwerde der Landeskasse als Pflichtverteidigervergütung die Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG sowie die Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG festgesetzt. Die dagegen gerichtete – zugelassene – weitere Beschwerde des Rechtsanwalts hatte Erfolg. Das OLG hat auch die Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG festgesetzt.

II. Entscheidung

Umfang der OLG-Prüfung

Das OLG verweist darauf, dass es den angefochtenen Beschluss umfassend rechtlich zu überprüfen habe. Ein Verschlechterungsverbot gelte nicht; denn weder in der StPO noch im RVG sei ein solches für das Beschwerdeverfahren vorgesehen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.5.1990 – 1 Ws 300/90; OLG Hamburg, Beschl. v. 2.8.2010 – 2 Ws 95/10; LG Zweibrücken, Beschl. v. 2.12.2020 – 1 Qs 33/20, AGS 2021, 81).

Verfahrensgebühr Nrn. 4104, 4105 VV RVG

Nach Auffassung des OLG war auch die Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG festzusetzen.

Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG

1. Zutreffend sei das LG davon ausgegangen, dass der Rechtsanwalt seine Tätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnen könne. Diese Gebührentatbestände – und nicht diejenigen in Anlage Teil 4 Abschnitt 3 VV – würden nach ganz überwiegender Auffassung, der sich der Senat anschließe, auch für den Verteidiger gelten, dessen Beistandsleistung sich auf einen einzelnen Termin beschränkt (a.A. im Falle eines Hauptverhandlungstermins unter bestimmten Umständen: OLG Rostock, Beschl. v. 15.9.2011 – 1 Ws 201/11). Die Zulässigkeit der Vertretung des Pflichtverteidigers und die Frage, welche Gebührentatbestände des Abschnitts 1 der Verteidiger, der für den verhinderten Pflichtverteidiger einen Termin wahrnimmt, abrechnen könne, seien umstritten (OLG Bamberg, Beschl. v. 21.12.2010 – 1 Ws 700/10; OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.8.2009 – 2 Ws 111/09; KG, Beschl. v. 29.6.2005 – 5 Ws 164/05 zum Beistand; OLG Celle, Beschl. v. 19.12.2008 – 2 Ws 365/08; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2008 – III-1 Ws 318/08; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.7.2008 – 3 Ws 281/08; OLG Köln, Beschl. v. 26.3.2010 – 2 Ws 129/10; OLG München, Beschl. v. 27.2.2014 – 4c Ws 2/14; OLG Jena, Beschl. v. 8.12.2010 – 1 Ws 318/10). Diese Fragen konnten nach Auffassung des Senats allerdings hier dahinstehen. Der Rechtsanwalt sei in dem Termin zur Eröffnung des Haftbefehls nicht als Vertreter des anderen Rechtsanwalts/Pflichtverteidigers tätig geworden.

Hier ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Verfügung des AG, dass der Rechtsanwalt für den Vorführungstermin als weiterer Pflichtverteidiger beigeordnet und nicht zum Vertreter des für das weitere Verfahren beigeordneten Verteidigers bestellt werden sollte. Eine bloße Vertretung des Pflichtverteidigers würde auch der Bedeutung des Termins nicht gerecht. Im Übrigen lasse sich die vorliegende Fallkonstellation auch nicht mit dem Fall der Vertretung eines Pflichtverteidigers in einem Termin einer aus mehreren Terminen bestehenden Hauptverhandlung vergleichen. Zu Recht verweise das LG in diesem Zusammenhang schließlich auf § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO; diese Vorschrift zeige, dass der Gesetzgeber der Verteidigung des Beschuldigten in einem Termin, in dem er zur Entscheidung über Haft vorgeführt werden soll, besonderes Gewicht beigemessen hat.

Umfang der Tätigkeiten des Rechtsanwalts

2. Welche Gebühren entstehen, ist nach Auffassung des OLG vom Umfang der Tätigkeit des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger abhängig.

Die Verfahrensgebühr entstehe für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG). Durch die Verfahrensgebühr sei die gesamte Tätigkeit eines Rechtsanwalts im jeweiligen Verfahrensabschnitt abgegolten, soweit hierfür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind. Die Verfahrensgebühr entstehe aber nicht erst dann, wenn der Abgeltungsbereich der Grundgebühr überschritten sei (so noch zum früheren Rechtszustand OLG Bamberg a.a.O.; KG, Beschl. v. 20.1.2009 – 1 Ws 361/08; OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Köln, Beschl. v. 17.1.2007 – 2 Ws 8/07 und Beschl. v. 26.3.2010 – 2 Ws 129/10). Mit der Änderung des Gebührentatbestands durch das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23.7.2013 (BGBl 12013, S. 2586) sei bestimmt worden, dass die Grundgebühr grundsätzlich nicht allein anfällt, sondern regelmäßig neben einer Verfahrensgebühr (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, VV 4100 Rn 9; Enders, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, Rn 67; Knaudt, in: BeckOK-RVG VV 4104 Rn 8). Eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr entstehe für die Tätigkeit in jedem gerichtlichen Verfahren, so auch in Strafsachen. Die Grundgebühr solle lediglich den zusätzlichen Aufwand entgelten, der für die erstmalige Einarbeitung anfällt. Sie habe daher den Charakter einer Zusatzgebühr, die den Rahmen der Verfahrensgebühr erweitert (BT-Drucks 17/11471, S. 281). Von der Verfahrensgebühr nicht erfasst werde die Teilnahme an gerichtlichen Terminen. Dafür sehe das RVG die Terminsgebühr vor. Die Terminsgebühr erhalte der Rechtsanwalt für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen. Das Entstehen der Terminsgebühr bei Haftbefehlseröffnungen setze allerdings voraus, dass in dem Termin mehr geschehen sei als eine reine Verkündung des Haftbefehls (BT-Drucks 15/1971, S. 223). Es reiche aus, wenn der Verteidiger gegenüber dem Gericht für den Beschuldigten in der Weise tätig geworden sei, dass er Erklärungen oder Stellungnahmen abgegeben oder Anträge gestellt hat, die dazu bestimmt gewesen seien, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden (KG, Beschl. v. 23.6.2006 – 4 Ws 62/06).

Danach habe das LG die Erfüllung der Gebührentatbestände der Grund- und der Terminsgebühr zu Recht angenommen. Die Annahme, die Verfahrensgebühr sei (noch) nicht angefallen, gehe allerdings fehl (vgl. zur Beurteilung einer entsprechenden Fallgestaltung nach neuem Recht: LG Magdeburg, Beschl. v. 19.3.2018 – 25 Qs 14/18). Die Überlegungen des LG zum Abgeltungsbereich der Grundgebühr einerseits und der Verfahrensgebühr anderseits treffen zwar zu, beträfen aber nur die Bemessung der beiden Gebühren; bemessen werden die Gebühren aber nur beim Wahlverteidiger, während für den Pflichtverteidiger eine Festgebühr gelte.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist zutreffend.

1. Das gilt zunächst hinsichtlich der Frage, ob nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG oder nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG abgerechnet wird. So haben – zutreffend – auch entschieden: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159 = JurBüro 2023, 195; LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20; LG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 27.4.2023 – 1 Qs 76/23; LG Magdeburg RVGreport 2018, 257 = StRR 5/2018, 24 = StraFo 2018, 314 = AGS 2018, 341; Beschl. v. 16.7.2021 – 21 Qs 53 u. 54/21, AGS 2021, 427; LG Tübingen, Beschl. v. 6.2.2023 – 9 Qs 25/23, AGS 2023, 238; AG Halle (Saale), Beschl. v. 20.5.2022 – 398 Gs 540 Js 594/22 (259/22), AGS 2022, 311 = RVG prof. 2022, 170; AG Ludwigshafen, Beschl. v. 3.3.2023 – 4a Ls 5227 Js 9474/22 (nur Grundgebühr), AGS 2023, 217 = StRR- Sonderausgabe 5/2023, 32; AG Tiergarten, Beschl. v. 14.10.2022 – (278 Ds) 265 Js 277/22 (110/22), AGS 2022, 513. Unzutreffend a.A. waren OLG Celle RVGreport 2019, 17 = StraFo 2018, 534 = JurBüro 2018, 580, OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.1.2023 – 4 Ws 13/23, AGS 2023, 162 und das LG Leipzig RVGreport 2019, 338 = StraFo 2019, 439.

2. Das gilt auch für die Frage, in welchem Verhältnis zueinander Grundgebühr und Verfahrensgebühr stehen: Die fallen, was das OLG zutreffend sieht, immer nebeneinander an (OLG Saarbrücken RVGreport 2015, 64 = StRR 2015, 117; LG Amberg RVGreport 2020, 141 = JurBüro 2020, 358; LG Chemnitz RVGreport 2015, 265 = StRR 2015, 319 = AGS 2015, 379; LG Duisburg VRR 2014, 319 = AGS 2014, 330 = zfs 2014, 468 = StRR 2014, 360 = RVGreport 2014, 427; LG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 27.4.2023 – 1 Qs 76/23, AGS 2023, 219; LG Oldenburg RVGreport 2014, 470 = zfs 2014, 648 = AGS 2014, 552 = StRR 2015, 80; LG Saarbrücken RVGreport 2015, 221 = StRR 2015, 239 = AGS 2015, 389; LG Wuppertal RVGreport 2020, 221 = JurBüro 2020, 357). Zum Teil wird aber auch – ohne nähere Begründung – die a.A. vertreten (OLG Celle, Beschl. v. 26.1.2022 – 2 Ws 19/22, AGS 2022, 206; OLG Nürnberg RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29 = StRR 2015, 118 = NStZ-RR 2015, 95 [Ls.]; LG Saarbrücken AGS 2015, 379; LG Saarbrücken StRR 2015, 119 = RVGreport 2015, 182 = AGS 2015, 388).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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