Dieser Betrag stellt lesenswerte Entscheidungen aus dem Bereich der Tötungsdelikte vor; er schließt an die Übersicht in StRR 4/2022, 5 ff an. Berücksichtigt wurden Entscheidungen bis Ende Juli 2023.
Mord gem. § 211 StGB
Wie bereits in den vorangegangenen Rechtsprechungsübersichten behandelt das Gros der rezensierten Entscheidungen die Tatbestandsalternativen der Heimtücke, der Verdeckung und der niedrigen Beweggründe. Sämtliche anderen Alternativen des § 211 StGB führen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Nischendasein.
1. Heimtücke
a) Eine heimtückische Tötung kann vorliegen, wenn es sich um eine von langer Hand geplante und vorbereitete Tat handelt, weil der Täter Vorkehrungen ergriffen hat, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen – falls sie bei der Ausführung der Tat noch fortwirkt. Ausreichend und erforderlich ist es, dass der mit Tötungsvorsatz handelnde Täter das Tatopfer unter Ausnutzung seiner Arglosigkeit in eine Lage aufgehobener oder stark eingeschränkter Abwehrmöglichkeiten bringt und die so geschaffene Lage bis zur Tatausführung ununterbrochen fortbesteht. Es kommt nicht mehr darauf an, ob das Tatopfer zu Beginn der Tötungshandlung noch arglos war, wenn es planmäßig in einen Hinterhalt gelockt wurde oder ihm eine raffinierte Falle gestellt wurde.
In diesem Fall hatte der Angeklagte seine Freundin, mit der er eine von Konflikten beherrschte „On-off-Beziehung“ führte, in eine ehemalige Bunkeranlage gelockt und dort mit einem Stechbeitel erstochen. Das LG konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Angeklagte den Tötungsentschluss nicht erst nach Betreten des Bunkers gefasst hatte, und verurteilte ihn lediglich wegen Totschlags.
Der 6. Strafsenat des BGH hob das Urteil wegen durchgreifender Mängel der Beweiswürdigung auf. Das LG habe weder alle naheliegenden Umstände bedacht noch die erforderliche Gesamtwürdigung der Beweiszeichen vorgenommen. So deute insbesondere das Motiv des Angeklagten, anders als durch Tötung des Opfers „nicht von ihr loszukommen“, darauf hin, dass er bereits zu einem früheren Zeitpunkt den Tatentschluss gefasst hatte. Gleiches gelte für das vorherige Besichtigen der Bunkeranlage sowie den Umstand, dass der Angeklagte den Stechbeitel – sein Arbeitsgerät als Auszubildender in der Holzverarbeitung – mit sich führte, obwohl er an diesem Tag frei hatte (BGH NStZ-RR 2023, 140 f.).
b) Regelmäßig wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Frage der erforderlichen Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr durch das Opfer und dem tödlichen Angriff behandelt.
In einem vom 5. Strafsenat entschiedenen Fall hatte der Angeklagte, der mit dem Opfer seit langem gemeinsam Marihuana-Geschäfte betrieb und wegen Forderungen in Streit geraten war, diesen zu einem Treffen auf einen Spielplatz bestellt und dort mit einer Vielzahl von Messerstichen in den Rücken getötet. Das LG hatte eine heimtückische Begehungsweise u.a. mit der Begründung verneint, es sei auszuschließen, dass das – mit dem Angeklagten gut bekannte – Opfer sich bei den Stichen bewegt habe oder habe fliehen wollen, zwar könne in einer „Umarmungssituation“ Heimtücke vorliegen, aber das Opfer hätte auch angesichts des Messers in eine „Schockstarre“ gefallen sein können.
Der BGH beanstandete diese Würdigung als defizitär. Hinsichtlich der übrigen für möglich gehaltenen Tatvarianten habe das Landgericht nur unzureichende Feststellungen zu den objektiven Umständen der Tatausführung getroffen, es fehlten etwa solche zum Kräfteverhältnis zwischen Angeklagtem und Opfer, zu dessen Verteidigungs-, Ausweich- und Fluchtmöglichkeiten sowie den örtlich-zeitlichen Gegebenheiten. Diese Feststellungen wären aber erforderlich gewesen, um die Situation des Opfers bei Beginn des ersten Angriffs und seine Abwehrmöglichkeiten einschätzen zu können. Dem Urteil sei zudem nicht zu entnehmen, ob bei dem Opfer Kampf- oder Abwehrverletzungen festgestellt wurden. Das Fehlen solcher könne schon für sich genommen ein gewichtiges Beweisanzeichen für das Vorliegen von Heimtücke sein. Erst recht gelte dies hier mit Blick auf die festgestellte Bewegungslosigkeit des Opfers beim Beibringen der schweren Stichverletzungen und fehlende Fluchtversuche, womit sich das LG im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung hätte auseinandersetzen müssen.
Gleiches gelte für Feststellungen zu einem Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten. Die vom LG zugrunde gelegte Spontaneität des Tatentschlusses stünde einem solchen jedenfalls nicht entgegen. Keine der in Betracht genommenen Ausführungsvarianten des Tathergangs schließe eine heimtückische Tötung aus. Auch ein unmittelbar dem Zustechen vorausgehendes Anpacken des Opfers am Kragen wäre mit einem heimtückischen Handeln vereinbar. Heimtücke erfordere kein „heimliches“ Vorgehen. Das Opfer könne auch dann arglos (und deshalb wehrlos) sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentrete, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz sei, dass keine Möglichkeit bleibe, dem Angriff zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung sei die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Das LG habe nicht erkennbar bedacht, dass die Stiche das Opfer vermutlich von hinten trafen (in Nacken, Rücken und Kopf), was für dessen Überrumpelung und gegen die Tatvarianten eines offen geführten Angriffs sprechen könnte (BGH NStZ-RR 2022, 277 ff.).
c) Während in der vorstehend zitierten Entscheidung die Aufhebung wegen der nicht ausreichenden Feststellungen zu den Tatbestandsmerkmalen der Heimtücke erfolgte, kam der 1. Strafsenat hinsichtlich einer ähnlichen Fragestellung zu einem gegenteiligen Ergebnis:
Das LG hatte den Angeklagten, der die ihm bis dahin vollkommen unbekannte Geschädigte auf der Straße angesprochen, am Arm festgehalten und ihr dann sogleich tödliche Stichverletzungen zugefügt hatte, wegen heimtückischen Mordes verurteilt. Der BGH hob das Urteil auf die Revision des Angeklagten hin auf.
Zwar könne das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt. Die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz sei, dass keine Möglichkeit bleibe, dem Angriff zu begegnen. Dies sei der Fall, wenn das Opfer daran gehindert sei, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder in sonstiger Weise auch durch verbale Äußerungen auf den Täter einzuwirken, um den Angriff zu beenden.
Die zum Mordmerkmal der Heimtücke getroffenen Feststellungen würden durch die Beweiswürdigung nicht belegt. Das Gericht konnte gerade nicht aufklären, wie sich der für die Beurteilung des Mordmerkmals der Heimtücke maßgebliche erste Angriff des Angeklagten mit Tötungsvorsatz auf das Opfer zugetragen habe.
Zwar sei nach den Feststellungen davon auszugehen, dass das Opfer zum Zeitpunkt des ersten Angriffs auf dem Weg zur nahegelegenen Haltestelle nicht mit einem Angriff auf sein Leben rechnete, was eine Arglosigkeit begründen könne. Es bleibe aber völlig offen, ob den ersten Stichen durch den Angeklagten ein Streit zwischen beiden vorausgegangen sei, wie dies nach Zeugenaussagen nicht auszuschließen sei. Unklar bleibe auch, ob für das Opfer aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten eine Möglichkeit bestand, zu fliehen, um Hilfe zu rufen oder sonst auf den Täter einzuwirken. Das Vorbeifahren verschiedener Fahrzeuge im weiteren Verlauf zeige gerade, dass sich Personen in der Nähe des Tatortes befanden. Auch habe das LG nicht näher gewürdigt, ob sich aus einer Arglosigkeit des Opfers auch eine Wehrlosigkeit ergeben habe. Allein das vom Landgericht eingestellte schmale Zeitfenster, innerhalb dessen der Angeklagte die Tat begangen haben soll, genüge zur Begründung einer Wehrlosigkeit des Opfers nicht. Die beim Opfer festgestellten Abwehrverletzungen sprächen gegen eine Arg- und Wehrlosigkeit (BGH NStZ-RR 2022, 307f. = StV 2023, 319 f.)
d) Mit der subjektiven Seite der Heimtücke, dem Ausnutzungsbewusstsein, beschäftigt sich eine Entscheidung des 2. Strafsenats. In dieser lauerte der Angeklagte seiner Ex-Partnerin, gegenüber der er bereits in der Vergangenheit gewalttätig geworden war, auf und drohte damit, sich selbst umzubringen, sollte sie nicht zu ihm zurückkehren. Gemeinsam mit dem Angeklagten ging das spätere Opfer auf seinen Wunsch hin ein Küchenmesser kaufen. Unmittelbar nach dem Kauf drohte der Angeklagte mit dem Messer in der Hand erneut, sich selbst umzubringen, was die Geschädigte jedoch nicht beeindruckte. Aus Enttäuschung und Wut über die von ihm empfundene Kälte fasste der Angeklagte spontan den Entschluss, nicht sich, sondern die Geschädigte zu töten. Für diese überraschend begann er, auf sie einzustechen, woran sie trotz Gegenwehr kurz darauf verstarb.
Das LG hatte Heimtücke mit der Begründung verneint, dass das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein nicht hätte festgestellt werden können, so habe der Angeklagte sein Opfer nicht von hinten angegriffen oder an einen weniger öffentlichen Ort gelockt, zudem habe er sich angesichts der endgültigen Trennung in einer psychisch extrem angespannten Verfassung befunden. Diese Ablehnung halte rechtlicher Prüfung nicht stand, so der BGH. Ausreichend sei, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasse, dass er sich bewusst sei, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff auf Leib und Leben schutzlosen Menschen zu überraschen. Das Ausnutzungsbewusstsein könne im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter zur Tatzeit auf der Hand liege. Das gelte in objektiv klaren Fällen selbst dann, wenn der Täter die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen habe.
Bei erhaltener Fähigkeit zur Unrechtseinsicht sei auch die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt. Anders könne es zwar bei heftigen Gemütsbewegungen liegen, jedoch sprechen auch eine Spontaneität des Tatentschlusses sowie eine affektive Erregung des Angeklagten nicht zwingend gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Bereits die Ausgangsüberlegung des LG, dem Ausnutzungsbewusstsein stehe entgegen, dass der Angeklagte die Geschädigte nicht in einen Hinterhalt gesteuert und sie bis dahin in Sicherheit gewiegt habe, begegne rechtlichen Bedenken. Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genüge es nämlich, dass der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführt oder bestärkt, worauf die Arglosigkeit des Angegriffenen beruht, ist ohne Belang (BGH NStZ 2022, 541 ff.)
2. Sonstige niedrige Beweggründe
a) Der 1. Strafsenat hatte in einem Verfahren zu entscheiden, in dem das LG zwar einen (versuchten) Heimtückemord bejaht, das Handeln aus niedrigen Beweggründen jedoch verneint hatte. Der Angeklagte hatte seiner ehemaligen Freundin, die er nach der Trennung mehrfach misshandelt hatte, weswegen sowohl ein gerichtliches Kontaktverbot erlassen als auch ein Strafverfahren (inkl. mehrmonatiger U-Haft) gegen ihn geführt worden war, auf deren Grundstück aufgelauert und ihr mehrere Messerstiche in den Kopf- und Halsbereich versetzt. Das LG hatte sich außerstande gesehen, das Tatmotiv des – sich schweigend verteidigenden – Angeklagten sicher festzustellen.
Beweggründe sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat niedrig sind und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren. Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen nach der Rechtsprechung in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehren. Bei einem Motivbündel beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist.
Unter Beachtung dieser Grundsätze leide das Urteil an einem Erörterungsmangel, so der BGH. Die Beschränkung im Urteil auf die bloße Darstellung der in Betracht gezogenen Motive, die als solche auch nicht gewichtet würden, genüge nicht. Insbesondere aber ließen die Ausführungen des Landgerichts jegliche Würdigung vermissen, ob die von ihm dargestellten möglichen Tatmotive als niedrige Beweggründe zu bewerten seien. Hinsichtlich beider vom LG in Betracht gezogenen Beweggründe, der Rache wegen der vorausgegangenen Trennung durch die Geschädigte und der Rache wegen der erlittenen Untersuchungshaft, komme grundsätzlich eine Bewertung als niedrig i.S.d. Tatbestands des Mordes in Betracht. Auch das Vortatgeschehen, welches durch zahlreiche Todesdrohungen und körperliche Angriffe durch den Angeklagten geprägt gewesen sei, hätte Anlass geboten, die Tatmotive umfassend aufzuklären (BGH, Urt. v. 25.1.2023 – 1 StR 284/22, bei juris).
Anmerkung
In derselben Entscheidung weist der BGH zudem darauf hin, dass die strafmildernde Berücksichtigung des Umstands, der Angeklagte sei nur geringfügig vorbestraft gewesen, rechtlichen Bedenken begegne. Nur das Fehlen von Vorstrafen sei strafmildernd zu berücksichtigen, wohingegen Vorverurteilungen zulasten des Täters wirkten.
b) Mit einem sehr ähnlich gelagerten Fall (versuchte Tötung der ehemaligen Partnerin) befasste sich der 5. Strafsenat. Auch in diesem Verfahren hatte das LG das Vorliegen niedriger Beweggründe unter Hinweis auf BGH 1 StR 150/19 sowie 3 StR 149/03 verneint, wonach zu berücksichtigen gewesen sei, dass die Trennung von der Geschädigten ausgegangen war, die dem Angeklagten zuletzt unmissverständlich deutlich gemacht hatte, dass ihre Beziehung zu Ende sei.
Der BGH beanstandete das Fehlen einer Gesamtwürdigung der Tatumstände, der Lebensverhältnisse des Angeklagten und seiner Persönlichkeit. Ergebe sich das Tötungsmotiv aus einer Trennung vom Ehe-, Lebens- oder Intimpartner, könne für einen niedrigen Beweggrund sprechen, dass der Täter dem anderen Teil aus übersteigertem Besitzdenken das Lebensrecht abspreche, den berechtigten Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben bestrafen wolle oder dass er handele, weil er die Trennung nicht akzeptiere und eifersüchtig sei. Gegen das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes könne dagegen sprechen, dass die Trennung zu tatbestimmenden und tatauslösenden Gefühlen der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit geführt hat. Zu bedenken könne dabei auch sein, dass nicht selten der Täter die Trennung selbst maßgeblich zu verantworten habe (BGH NStZ 2023, 231 f.).
c) Wegen ebenfalls mangelhafter Gesamtwürdigung der festgestellten Umstände hob der BGH ein Urteil des LG auf, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:
Die beiden Angeklagten waren vom späteren Opfer nach einer Sachbeschädigung an Autos gestellt worden. Nachdem der eine Angeklagte zunächst vom Opfer festgehalten wurde, rang dieser ihn nieder, wogegen sich das Opfer wiederum zur Wehr setze. Dies veranlasste den anderen Angeklagten, dem Opfer mehrere wuchtige Faustschläge gegen den Kopf zu versetzen, ebenso den erstgenannten Angeklagten, der sich zwischenzeitlich aus dem Griff des Opfers hatte befreien können. Das Opfer verstarb infolge von Schädel-Hirn-Verletzungen und Aspiration von Erbrochenem.
Das LG hatte die niedrigen Beweggründe mit der Begründung verneint, es habe sich um eine Spontantat gehandelt, bei der die alkoholisierten Angeklagten erregt auf das Erscheinen des Opfers reagiert hätten. Das Fehlen eines nachvollziehbaren Grundes für den Gewaltausbruch stelle für sich genommen keinen niedrigen Beweggrund dar. Dies sei vorliegend anders zu sehen, so der BGH. Die von den im Kraft- bzw. Kampfsport geübten Angeklagten brutal ausgeführte Tat sei durch ein unerträgliches Missverhältnis zwischen Anlass und Erfolg geprägt. Nach ständiger Rechtsprechung sei bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung regelmäßig die Vorgeschichte der Tat von entscheidender Bedeutung, darunter das Verhalten des Opfers und das Verschulden des Täters an der zur Tat führenden Konfliktlage. Dabei gehe es zu Lasten des Täters, wenn sich seine Wut oder Verärgerung infolge der Reaktion des Opfers auf eine an ihm begangene Straftat steigere. Das LG hätte gewichten müssen, dass die Angeklagten das Einschreiten des Tatopfers durch die Sachbeschädigungen auf dem Hotelparkplatz in allein ihnen vorwerfbarer Weise herausgefordert hatten. Außerdem sei zu beachten, dass die Eskalation des Geschehens, indem er sich gewaltsam zu befreien versuchte, obwohl das Verhalten des Geschädigten, der ihn bis zum Erscheinen der Polizei festhalten wollte, gemäß § 127 StPO von der Rechtsordnung gebilligt gewesen sei (BGH, U. v. 25.6.2022 – 6 StR 23/22, bei juris).
d) Ebenfalls mit dem Spannungsverhältnis zwischen Anlass und Tat beschäftigt sich eine Entscheidung des 5. Strafsenats. Dort war der Angeklagte von dem 13 Jahre alten späteren Tatopfer versehentlich beinahe angerempelt worden, woraus ein Streit mit gegenseitigen Beleidigungen entstand. Der sehr aufgebrachte erwachsene Angeklagte erkannte, dass er seinen Kontrahenten nicht mit verbalen Mittel „besiegen“ konnte, und zog ein Messer, um das Kind zum Rückzug zu bewegen. Aufgrund seiner aggressiven Stimmung und eventuell in drogeninduzierter Selbstüberschätzung wollte das spätere Opfer indes nicht klein beigeben, sodass sich die gegenseitigen Beschimpfungen fortsetzten, woraufhin der Angeklagte mit dem Messer zustach und das Opfer tödlich verletzte.
Das LG verneinte die niedrigen Beweggründe, denn bewusstseinsdominantes Tatmotiv sei die Wut des Angeklagten über das beleidigende Verhalten des Opfers gewesen, die Tötung hätte daher nicht in dem erforderlichen krassen Missverhältnis zum Anlass gestanden. Nach der Entscheidung des BGH habe das LG rechtsfehlerhaft ausgeblendet, dass der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen dem Kind durch den tödlichen Messerstich „eine Lektion erteilen und als Sieger vom Platz gehen“ wollte, weil – so der Angeklagte nach der Flucht zu seiner Begleiterin – der „kleine arabische Hurensohn“ keinen Respekt gezeigt habe, weshalb „dessen Mutter weinen“ solle. Aufgrund dessen hätte das Schwurgericht sich zu der Erörterung gedrängt sehen müssen, dass die Tat von dem Motiv des Angeklagten getragen gewesen sein könnte, das kindliche Opfer für dessen aus seiner Sicht respektloses Verhalten mit dem Tod zu bestrafen. Dies lege die Annahme eines niedrigen Beweggrundes nahe. Dies gelte umso mehr, als der Angeklagte das von ihm als respektlos angesehene Verhalten erst ausgelöst hatte sowie das Ausmaß der Eskalation bestimmte und es sich bei dem Opfer um ein – vom Angeklagten als „Junge“ wahrgenommenes – 13-jähriges Kind handelte.
3. Verdeckung
Der Angeklagte hatte das Opfer, eine Prostituierte, um ihren Lohn geprellt, woraufhin diese ihn lautstark beschimpfte. Der Angeklagte sicherte die Bezahlung am nächsten Tag zu und bat das spätere Opfer, sich zu beruhigen und nicht laut zu schreien, andere Menschen könnten sie hören. Als das Opfer weiter schrie, umschlang der Angeklagte ihren Hals mit seinem Arm und drückte ca. eine Minute zu, wobei er nach den Feststellungen des LG mit der Möglichkeit ihres Ablebens rechnete und sich damit abfand. Das LG verurteilte den Angeklagten wegen Mordes in Verdeckungsabsicht.
Der BGH hob das Urteil in Bezug auf die Feststellungen zur subjektiven Tatseite auf, da das LG nur unzureichende Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten getroffen habe. Denn nach den Urteilsausführungen bleibt offen, ob der Angeklagte eine Aufdeckung seiner zum Nachteil der Geschädigten begangenen Betrugstat allein durch etwaige umstehende Personen oder auch durch das Tatopfer selbst befürchtete. Zu den einer Verdeckung zugänglichen Tatumständen gehöre insbesondere die eigene Beteiligung an der vorangegangenen Tat. Schon begrifflich scheide eine Tötung zur Verdeckung einer Straftat dagegen aus, wenn diese bereits aufgedeckt sei. Für die Beurteilung dieser Frage komme es nicht auf die objektiv gegebene Sachlage, sondern ausschließlich auf die subjektive Sicht des Täters an. Solange der Täter subjektiv davon ausgehe, dass die Umstände der Tat noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang bekannt seien, komme eine Tötung mit Verdeckungsabsicht in Betracht. Auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgehende Täter könne mit Verdeckungsabsicht handeln.
Dies setze allerdings voraus, dass der Täter davon ausgehe, die Aufdeckung der vorangegangenen Straftat durch die mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführte Tathandlung als solche unabhängig vom Eintritt eines Todeserfolgs verhindern zu können. Halte er dagegen den erstrebten Verdeckungserfolg nur durch den Tod des Opfers für erreichbar, seien bedingter Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht nicht miteinander in Einklang zu bringen. Denn der zielgerichtete Wille, eine Straftat gerade durch Herbeiführung eines Todeserfolgs zu verdecken, und die bloße Billigung einer nur als möglich erkannten Todesfolge schlössen sich gegenseitig aus.
Der mit bedingtem Tötungsvorsatz geführte Würgeangriff auf das Tatopfer wäre nach den allein maßgeblichen Tätervorstellungen nur dann ein taugliches Mittel zur Verdeckung der vorangegangenen, zum Nachteil des Opfers begangenen Betrugstat gewesen, wenn der Angeklagte eine Aufdeckung der Tat ausschließlich durch etwaige umstehende Personen, nicht aber durch das Tatopfer selbst befürchtete. Rechnete er dagegen mit der Möglichkeit, dass sein strafbares Tun auch durch das Tatopfer selbst bekannt werde, wäre ein intendierter Verdeckungserfolg aus seiner Perspektive nur durch den Tod des Opfers erreichbar gewesen (BGH NStZ 2022, 476 f. = StV 2023, 322 ff.).
4. Gemeingefährliche Mittel
In einer knapp begründeten Entscheidung zu der Amokfahrt in den Rosenmontagszug in Volkmarsen hat der BGH zur Abgrenzung zwischen Mord mit gemeingefährlichen Mitteln und der „bloßen Mehrfachtötung“ Stellung genommen. Die Verurteilung auch wegen Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln (neben heimtückischer Begehungsweise) sei nicht zu beanstanden. Das Tatbestandsmerkmal sei erfüllt, wenn der Täter ein Tötungsmittel einsetze, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden könne, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt habe. Dabei sei nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters. Von dem Mordmerkmal tatbestandlich nicht erfasst werde eine „schlichte“ Mehrfachtötung; eine solche liege dann vor, wenn sich der Täter mit Tötungsabsicht gegen eine Mehrzahl von ihm individualisierter Opfer richte und darüber hinaus keine Zufallsopfer in Kauf genommen würden.
Der Angeklagte hatte vor Augen, dass er während des insgesamt nur wenige Sekunden dauernden Tatgeschehens die Ausdehnung der durch die Fahrt verursachten Gefahren nicht in der Hand haben werde.
Insbesondere hatte er, wie er wusste und in Kauf nahm, keine Kontrolle darüber, welche der vielen sich nur in der Nähe des gewählten Fahrweges befindlichen Personen durch umherfliegende Gegenstände in Lebens- und Leibesgefahr geraten würden. Auch wenn es ihm darauf angekommen sei, möglichst viele Teilnehmer des Rosenmontagszugs zu töten, liege damit kein Fall einer versuchten Mehrfachtötung vor. Die von dem Angeklagten durchgeführten Lenkmanöver zeigten vielmehr, dass er seine Tötungsabsicht auf die vor ihm befindlichen, also in dem Bereich des von ihm gewählten Fahrwegs stehenden Personen individualisierte. Dabei führte das Befahren der linken Fahrbahn der Straße dazu, dass er die auf der gegenüberliegenden rechten Seite in Zweier- bzw. Dreierreihen stehenden Besucher nicht mehr mit dem Fahrzeug erfassen konnte. Diese nicht im Bereich seines Fahrwegs befindliche und insofern nicht individualisierte unbestimmte Anzahl weiterer Personen waren von ihm in Kauf genommene Zufallsopfer (BGH StV 2023, 317 ff. = NStZ 2023, 288 ff.).
5. Besondere Schwere der Schuld
Im Verfahren um den sog. Lübke-Mord hat das OLG Frankfurt neben dem Mordmerkmal der Heimtücke auch das der niedrigen Beweggründe bejaht. Bei der Prüfung der besonderen Schwere der Schuld hat das OLG im Rahmen seiner Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit die rassistische und ausländerfeindliche Motivation des Angeklagten ungeachtet des Mordmerkmals der sonstigen niedrigen Beweggründe gesondert zu seinen Lasten berücksichtigt. Der Angeklagte rügte dies in seiner Revision als Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot. Der BGH sah dies als nicht rechtsfehlerhaft an. Die politische Zwecksetzung des Angeklagten erfülle auch ohne Hinzutreten des rassistischen und ausländerfeindlichen Hintergrunds das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe.
Eine politische Tatmotivation ist jenseits des Widerstandsrechts aus Art. 20 Abs. 4 GG grundsätzlich als nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert und auf tiefster Stufe stehend zu bewerten, da die bewusste Missachtung des Prinzips der Gewaltfreiheit der politischen Auseinandersetzung durch physische Vernichtung politischer Gegner mit der Rechtsordnung schlichtweg unvereinbar ist. Einzelheiten der Motivlage sind dabei regelmäßig nicht von Bedeutung. Dies verstoße nicht gegen das Doppelverwertungsverbot. Denn eine über den Gesichtspunkt der politischen Tötung hinausgehende Tatmotivation könne aus vorgenannten Gründen bei der Entscheidung über die besondere Schuldschwere berücksichtigt werden, soweit sie für sich genommen menschenverachtenden Charakter habe. Dies sei bei einem Handeln aus rassistischen und ausländerfeindlichen Motiven der Fall, zumal diese in § 46 Abs. 2 S. 2 Gruppe 1 StGB ausdrücklich aufgeführt sind (BGH NJW 2023, 89 ff. = StV 2023, 293 ff.).
Tötung auf Verlangen gem. § 216 StGB
1. Wieder einmal hatte sich der BGH mit dem Spannungsfeld zwischen Tötung auf Verlangen und strafloser Beihilfe zur Selbsttötung zu befassen.
Die Angeklagte, eine pensionierte Krankenschwester, hatte ihren Ehemann, der u.a. an schmerzgeleitetem Psychosyndrom, Adipositas, Myalgie, Hypertonie, insulinpflichtigem Diabetes mellitus, Bandscheibenschaden, einer mittelgradigen depressiven Episode und Arthrose litt, jahrelang zuhause gepflegt. Im Sommer 2019 hatte der Ehemann wiederholt den ernsthaften Wunsch, „gehen zu wollen“, geäußert. Am Tattag bat er, unter schwersten Schmerzen leidend, seine Frau, alle im Haus verfügbaren Morphin- und Diazepam-Tabletten zu holen. Die Angeklagte reichte ihm ein Glas mit flüssigen Schmerzmitteln, während der Ehemann die Tabletten selbstständig einnahm. Anschließend bat er seine Frau, die übrigen sechs Insulinspritzen zu holen, die sie ihm auf seine Bitte hin in Kenntnis der tödlichen Wirkung in die Bauchdecke injizierte. Der BGH hob die Verurteilung wegen Tötung auf Verlangen auf und sprach die Angeklagte frei (BGH StV 2023, 9 ff. = NStZ 2022, 663 ff.).
Täter einer Tötung auf Verlangen ist, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht, auch wenn er sich damit einem fremden Selbsttötungswillen unterordnet. Entscheidend ist, wer den lebensbeendenden Akt eigenhändig ausführt. Gibt sich der Suizident nach dem Gesamtplan in die Hand des anderen, um duldend von ihm den Tod entgegenzunehmen, dann hat dieser die Tatherrschaft. Behält der Sterbewillige dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. Dies gilt nicht nur, wenn die Ursachenreihe von ihm selbst, sondern auch, wenn sie vom anderen bewirkt worden war. Solange nach Vollzug des Tatbeitrags des anderen dem Sterbewilligen noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden, liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor.
Die Abgrenzung der strafbaren Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid kann dabei nicht sinnvoll nach Maßgabe einer naturalistischen Unterscheidung von aktivem und passivem Handeln vorgenommen werden. Geboten ist vielmehr eine normative Betrachtung (vgl. BGHSt 64, 135 ff.) Danach beherrschte nicht die Angeklagte das zum Tode führende Geschehen, sondern ihr Ehemann. Dem stehe nicht entgegen, dass die Angeklagte ihm das todesursächliche Insulin durch aktives Tun verabreichte. Eine isolierte Bewertung dieses Verhaltens trage dem auf die Herbeiführung des Todes gerichteten Gesamtplan nicht hinreichend Rechnung. Danach wollte sich der Ehemann in erster Linie durch die Einnahme sämtlicher im Haus vorrätigen Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel das Leben nehmen, während die zusätzliche Injektion des Insulins vor allem der Sicherstellung des Todeseintritts diente. Bei wertender Betrachtung bildeten die Einnahme der Tabletten und die Injektion des Insulins nach dem Gesamtplan einen einheitlichen lebensbeendenden Akt, über dessen Ausführung allein der Ehemann bestimmte. Nach dem Gesamtplan war es letztlich dem Zufall geschuldet, dass das Insulin seinen Tod verursachte, während die Medikamente ihre tödliche Wirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt entfaltet hätten. In Anbetracht dessen werde die Annahme des LG, dass er sich in die Hand der Angeklagten begeben und den Tod duldend von ihr entgegengenommen habe, den Besonderheiten des Falles nicht gerecht. Dies gelte umso mehr, als der Ehemann das zu seinem Tod führende Geschehen auch noch beherrschte, nachdem die Angeklagte ihm das Insulin injiziert und ihren aktiven Beitrag damit abgeschlossen hatte. Er blieb anschließend noch eine gewisse Zeit lang bei Bewusstsein und sah eigenverantwortlich davon ab, Gegenmaßnahmen einzuleiten, etwa die Angeklagte aufzufordern, den Rettungsdienst zu alarmieren.
Eine Tötung auf Verlangen durch Unterlassen (Verzicht auf Alarmieren von Rettungskräften) scheitere an einer strafbarkeitsbegründenden Einstandspflicht (Ehe bzw. Ingerenz), denn der ohne Wissens- und Verantwortungsdefizit frei gefasste und erklärte Sterbewille des Mannes, der sich darin manifestierte, dass er der Angeklagte verbot, ärztliche Hilfe zu holen, führte zur situationsbezogenen Suspendierung ihrer Einstandspflicht für sein Leben. Insoweit gelte Entsprechendes wie für Garantenpflichten, die sich aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis ergeben. Denn das grundgesetzlich geschützte Selbstbestimmungsrecht gewähre auch die Freiheit, Heilbehandlungen selbst dann abzulehnen, wenn sie lebenswichtig seien, und so über das eigene Leben zu verfügen. Ein in diese Richtung geäußerter Wille ist auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit zu respektieren (vgl. § 1901a BGB). In der lesenswerten Entscheidung setzt sich der BGH auch mit vorangegangener Rechtsprechung zu Fällen der Sterbehilfe („Gisela-Fall“, BGHSt 19, 135 ff.) sowie den vom BVerfG entwickelten Grundsätzen zu § 217 Abs. 1 StGB auseinander.
2. Mit der Abgrenzung zwischen Mord und Tötung auf Verlangen hatte sich das LG Limburg zu befassen. Dem Urteil lag folgender (stark verkürzt wiedergegebener) Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte hatte in mehreren Fällen psychisch labile bzw. manifest erkrankte Frauen in Internet-Foren kontaktiert, diese über die Zeit „gefügig gemacht“ und mit ihnen jeweils ein Treffen vereinbart, bei dem sich die Frauen nach dem vereinbarten Geschlechtsverkehr mit seiner Hilfe das Leben nehmen sollten. Das LG verurteilte den Angeklagten wegen Sich-Bereiterklärens zum Mord, versuchten sowie vollendeten Mordes in mittelbarer Täterschaft. Es handelte sich bei dem beabsichtigten Erhängen nicht um eine straflose Beteiligung des Angeklagten an einer Selbsttötung. Nach dem verabredeten Plan sollte der Angeklagte die Herrschaft über das unmittelbar zum Tod führende Geschehen haben, die Tötungshandlung sollte von ihm ausgeführt werden.
Der Angeklagte wollte die Tat in mittelbarer Täterschaft begehen. Eine Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst könne gegeben sein, wenn dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet habe. Befinde sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, könne sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen. Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage. Der Selbsttötungsentschluss könne auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruhe. Dasselbe gelte, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringe, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen sei. Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitze und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben seien.
Der Geschädigten W hätte zum Tatzeitpunkt die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit gefehlt. Ihr Suizidwillen sei weder fehlerfrei gebildet gewesen noch von innerer Festigkeit getragen. Die Geschädigte litt aufgrund einer zum Tatzeitpunkt aktuellen Lebenskrise an einer depressiven Episode. Dies führte für sich zwar noch nicht zu vollständiger Hilflosigkeit, der Angeklagte habe aber diese Unsicherheit und Labilität in den Gesprächen und Chats mit der Geschädigten erkannt und nutzte dies zielgerichtet aus, um die Geschädigte in einen willenlosen Zustand zu drängen, in dem sie seinen Forderungen nachkommen würde (LG Limburg, Urt. v. 22.3.2022 – 2 Ks 3 Js 9407/12, bei juris).
Auch handelt es sich bei dem beabsichtigten Erhängen nicht um das Vergehen einer Tötung auf Verlangen. Voraussetzung wäre ein Tötungsverlangen, das nicht bereits in einer bloßen Zustimmung des zu Tötenden gesehen werden kann. Vielmehr ist eine bestimmende Einflussnahme des Opfers auf den Entschluss des Täters erforderlich und das Verlangen muss für den Täter handlungsleitend wirken. Die Privilegierung des § 216 StGB sei nicht gerechtfertigt, wenn der Täter maßgeblich Eigeninteressen verfolge. Der Entschluss des Angeklagten, die Geschädigte zu töten, gründete nicht auf deren bestimmender Einflussnahme, sondern auf dem Ziel, seine eigenen sexuellen Interessen zu befriedigen.