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Verjährungsunterbrechung

1. Der Erlass eines neuen (inhaltlich abweichenden) Bußgeldbescheids ohne vorherige Aufhebung eines zuvor ergangenen Bußgeldbescheids in derselben Sache unter dem Datum des früheren Bußgeldbescheids ist nichtig und daher nicht geeignet, die Verfolgungsverjährungsfrist zu unterbrechen.

2. Die Verfolgungsverjährungsfrist wird durch die bloße Veranlassung einer Aufenthaltsermittlung im Hinblick auf den Betroffenen nicht unterbrochen, wenn zuvor keine vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO erfolgt ist.

(Leitsätze des Gerichts)

AG Landstuhl, Beschl. v. 26.7.20222 OWi 4211 Js 8465/22

I. Sachverhalt

Zwei Bußgeldbescheide

Gegen den Betroffenen war wegen einer am 3.12.2021 begangenen Ordnungswidrigkeit ein Bußgeldverfahren anhängig. Das AG hat das Verfahren gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, weil Verfolgungsverjährung eingetreten ist. In der Akte haben sich zwei Bußgeldbescheide gegen denselben Betroffenen befunden, die sich auf dieselbe Tat bezogen und die beide auf den 20.1.2022 datiert waren, jedoch teilweise einen unterschiedlichen Inhalt hatten (Anschrift des Betroffenen, Höhe der Auslagen und der Gesamtforderung).

II. Entscheidung

Scheinmaßnahme Anhörung?

Fraglich war für das AG bereits, ob mit der am 18.1.2022 erfolgten Anhörung des Betroffenen überhaupt eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG bewirkt worden sei. Denn die Verwaltungsbehörde habe bereits am 20.1.2022, also zwei Tage nach Versendung der Anhörung an den Betroffenen – und damit deutlich vor Ablauf der diesem gesetzten Stellungnahmefrist von einer Woche –, einen Bußgeldbescheid gegen ihn erlassen, sodass einiges dafür spreche, dass es sich bei der Anhörung, deren Ergebnis von der Verwaltungsbehörde nicht abgewartet wurde, um eine Scheinmaßnahme gehandelt habe, durch die die Verjährung nicht unterbrochen werden konnte (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, § 33 Rn 10a m.w.N.). Die Frage des Vorliegens einer Scheinmaßnahme hat das AG dann aber im Ergebnis dahinstehen lassen, da ungeachtet dessen in der Folge ohnehin Verjährung eingetreten sei. Eine Verjährungsunterbrechung sei nämlich nicht durch den Erlass oder die Zustellung eines Bußgeldbescheids bewirkt worden.

Erlass/Zustellung eines Bußgeldbescheides

Mangels Zustellung des ersten Bußgeldbescheids sei weder durch dessen Erlass noch durch dessen Zustellung eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG eingetreten. Ebenso habe sich die Verfolgungsverjährungsfrist durch den Erlass des Bußgeldbescheids nicht gem. § 26 Abs. 3 S. 1 2. Alt. StVG von drei auf sechs Monate verlängert, da die Fristverlängerung erst mit (wirksamer) Zustellung des Bußgeldbescheids eintrete (BGH NZV 2000, 131 f.; OLG Bamberg NJW 2006, 1078 (1079); OLG Brandenburg, Beschl. v. 4.12.2008 – 2 Ss (OWi) 121 Z/08), die hier jedoch nicht erfolgt sei. Der Verfahrensübersicht sei zwar zu entnehmen, dass die Verjährung sodann am 2.2.2022 durch eine „vorläufige Verfahrenseinstellung wegen Abwesenheit des Betroffenen gemäß § 33 OWiG und Aufenthaltsermittlung oder weitere Aufenthaltsermittlung nach vorläufiger Einstellung (Entscheidung Aufenthaltsermittlung vom 2.2.2022)“ unterbrochen worden sein soll, dies sei jedoch nicht der Fall. Der Klammerzusatz „Entscheidung Aufenthaltsermittlung vom 2.2.2022“ lasse besorgen, dass die Verwaltungsbehörde rechtsirrig davon ausgegangen sei, dass bereits in der bloßen Veranlassung einer Aufenthaltsermittlung eine vorläufige Einstellung des Verfahrens i.S.d. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO mit verjährungsunterbrechender Wirkung zu erblicken sei. Indes könne eine Anordnung der Aufenthaltsermittlung durch die Verwaltungsbehörde nur dann zur Verjährungsunterbrechung führen, wenn sie nach vorläufiger Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen erfolge. Aus dem Erfordernis, dass die vorläufige Einstellung des Verfahrens der Aufenthaltsermittlung vorangegangen sein müsse, also im Zeitpunkt der Anordnung der Aufenthaltsermittlung noch andauern müsse, folge, dass es sich hierbei um eigenständige Entscheidungen handele; namentlich impliziert die bloße Veranlassung einer Aufenthaltsermittlung nicht auch die vorläufige Einstellung des Verfahrens. Im Gegenteil verhalte es sich sogar so, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Einstellung nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO nicht vorliegen, wenn die Behörde davon ausgehe, den Aufenthalt zeitnah ermitteln zu können, da es dann an einer länger andauernden Abwesenheit des Betroffenen fehle, wie sie § 205 StPO jedoch voraussetzt (vgl. KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, § 205 Rn 8; BeckOK-StPO/Ritscher, 43. Edition 2022, § 205 Rn 4). Die bloße Veranlassung von Aufenthaltsermittlungen ohne vorangegangene Einstellungsentscheidung reiche jedenfalls zur Verjährungsunterbrechung nicht aus (BayObLG VRS 62, 288; OLG Celle zfs 2015, 710).

Hilfsüberlegung

Das AG weist darauf hin, dass, selbst wenn man davon ausginge, dass in der entsprechenden Eintragung in der Übersicht über den Verfahrenslauf eine Einstellung des Verfahrens nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO zu erblicken wäre, gleichwohl zwischenzeitlich Verfolgungsverjährung eingetreten wäre. Entgegen der Auffassung der Verwaltungsbehörde habe nämlich weder der Erlass noch die Zustellung des zweiten Bußgeldbescheids die Verjährung unterbrochen, da dieser nichtig ist und somit keine Rechtswirkungen entfalten könne. Grundsätzlich könne nämlich, solange ein Bußgeldbescheid existiere, aufgrund des Grundsatzes ne bis in idem wegen derselben Tat kein zweiter Bußgeldbescheid erlassen werden (KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl. 2018, § 65 Rn 24). Sofern die Behörde, wofür die Angaben in der Verfahrensübersicht sprechen könnten, davon ausgegangen sein sollte, dass es sich bei dem inhaltlich abgeänderten Bußgeldbescheid nicht um einen Neuerlass, sondern lediglich um eine Art Modifizierung, Berichtigung oder Ergänzung des Ursprungsbescheids gehandelt habe, würde auch dies nichts am Eintritt der Verfolgungsverjährung ändern. Ein einmal erlassener Bußgeldbescheid könne, auch wenn er dem Betroffenen nicht (wirksam) zugestellt wurde, nachträglich nicht mehr abgeändert werden; Änderungen seien dann nur noch über eine Rücknahme und einen Neuerlass möglich. Werde allerdings, wie vorliegend, in derselben Sache ein neuer Bescheid erlassen, ohne dass sich in diesem ein Hinweis auf die Rücknahme des alten Bescheids befinde, sei der neue Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem nichtig und damit unwirksam (OLG Zweibrücken NZV 1993, 451 f.).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung ist zutreffend. Zu den vom AG angesprochenen Rechtsfragen wird verwiesen auf Burhoff,in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 759 ff., und auf Burhoff/Gübner, OWi, 3959 ff.).

2. Das Vorgehen der Verwaltungsbehörde ist nicht nachvollziehbar, scheint aber bei der Behörde kein Einzelfall zu sein. Anders lässt sich nämlich nicht der abschließende Hinweis des AG erklären: „Das Gericht hat die Verwaltungsbehörde bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass der Erlass eines inhaltlich vom Ursprungsbescheid abweichenden neuen Bußgeldbescheids unter dem Datum des Ursprungsbescheids untunlich ist und zu erheblichen rechtlichen Friktionen führen kann, was sich im vorliegenden Verfahren nunmehr bewahrheitet hat. Das Gericht wird zukünftig Verfahren, in denen sich in der Akte mehrere Bußgeldbescheide unter identischem Datum, jedoch mit unterschiedlichem Inhalt finden, gem. § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen, sofern die Staatsanwaltschaft zustimmt und nicht ‒ wie vorliegend ‒ ohnehin bereits Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Anderenfalls wird das Gericht zu prüfen haben, ob die fehlerhafte Vorgehensweise der Verwaltungsbehörde zur Folge hat, dass eine Ahndung der Ordnungswidrigkeit nicht geboten und das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen ist.“ Vielleicht hilft es ja. Und wenn nicht: Die Betroffenen wird es freuen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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