Beitrag

Propagandadelikte – Eine Rechtsprechungsübersicht

I.

Ausgangspunkt

Die Begehung von sog. Propagandadelikten nimmt stetig zu. Hierzu zählen vorrangig

  • § 86a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen),

  • § 130 StGB (Volksverhetzung) und

  • § 140 StGB (Billigung von Straftaten).

Hinweis

Zukünftig wird man auch die zum 22.9.2021 eingeführte verhetzende Beleidigung nach § 192a StGB hinzunehmen müssen (Übersicht hierzu bei Hoven/Witting, NStZ 2022, 589).

Der Schwerpunkt lag dabei in letzter Zeit auf Straftaten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie (u. II. 1.). Insbesondere für den Anwendungsbereich der Volksverhetzung ist für die Beurteilung der Strafbarkeit die Auslegung von Äußerungen in Abgrenzung zur Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG von zentraler Bedeutung. Hier wird die wesentliche Rechtsprechung zu relevanten Fallgruppen seit 2020 vorgestellt.

Hinweis

Einen eingehenden Überblick geben die jährlichen Übersichten von Stegbauer (zuletzt NStZ 2021, 531; 2022, 533).

II.

Fallgruppen

Einige grundlegende Streitfragen sind nunmehr verfassungsgerichtlich und höchstrichterlich geklärt oder zumindest erörtert worden.

1. Corona: „Judenstern“ – ungeimpft

Der Streit um die Impfung gegen Corona hat bei Impfgegnern zu einer Radikalisierung ihres Auftretens nach außen geführt. Das äußert sich vor allem in der Verwendung des „Judensterns“ bei Versammlungen oder in sozialen Medien, bei denen das Wort „Jude“ durch den Begriff „ungeimpft“ ersetzt wird.

Hinweis

Eingehend zur Strafbarkeit solchen Verhaltens Hoven/Obert, NStZ 2022, 331.

Das OLG Saarbrücken (NStZ-RR 2021, 209 Ls.) hat insoweit eine restriktive Haltung vertreten: Die Verwendung des „Judensterns“ unter Ersetzung des Worts „Jude“ durch die Wörter „nicht geimpft“, „AFD-Wähler“, „SUV-Fahrer“ und „islamophob“ in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil erfüllt als Beitrag zur öffentlich geistigen Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB und stellt auch keine Beleidigung der unter nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgten Juden dar. Ähnlich das LG Aachen (Beschl. v. 18.8.2022 – 60 Qs 16/22): Die Verwendung eines „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch das Wort „ungeimpft“ in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil erfüllt als Beitrag zur öffentlich geistigen Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB. Eine Deutung des „Judensterns“ als allgemeines Symbol für eine staatlich veranlasste Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen ist aus der Sicht eines verständigen Zuhörers nicht ausgeschlossen. Es ist daher im Hinblick auf die gesellschaftlich geführte Debatte um eine Corona-Impfpflicht, Schutzmaßnahmen und die Privilegien für geimpfte Personen aus Sicht eines objektiven, verständigen Zuhörers auch eine Deutung denkbar, die lediglich die Nachteile der ungeimpften Bevölkerung durch die eingeschränkte Teilnahme am öffentlichen Leben gegenüber den Geimpften anprangert, ohne sich hierbei konkret auf den Völkermord an den Juden zu beziehen. Zwar ist es auf sogenannten Corona-Demonstrationen des Häufigeren zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Demgegenüber haben an diesen Demonstrationen auch zahlreiche Personen teilgenommen, die friedlich gegen eine geplante Impfpflicht oder sonstige Corona-Maßnahmen demonstriert haben und sich mit den Gewalttaten Einzelner nicht identifiziert oder diese gebilligt haben. Vor diesem Hintergrund kann nicht jeder Aufruf, sich gegen eine Impfpflicht einzusetzen, als Appell zum Rechtsbruch oder aggressive Emotionalisierung ausgelegt werden.

Anders sieht es das LG Würzburg (NStZ-RR 2022, 242 m. Anm. Bode = StRR 8/2022, 27 [Deutscher]) im Anschluss an BayObLG, Beschl. v. 25.6.2020 – 205 StRR 240/20 bei der Beurteilung eines Anfangsverdachts für eine Durchsuchungsmaßnahme: Das Verwenden eines mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ versehenen Davidsterns, welcher dem gelben sog. Judenstern nachempfunden ist, als Profilbild für einen öffentlich einsehbaren Account bei Telegram kann den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB erfüllen. Durch die Verwendung des „gelben Judensterns“ mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ zieht der Beschuldigte einen Vergleich zwischen der aktuellen öffentlichen Wahrnehmung und Behandlung ungeimpfter Personen und jüdischer Bürger unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Der „Judenstern“ diente nicht „nur“ der Ausgrenzung jüdischer Mitbürger, sondern war vielmehr eine öffentlich sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocausts. Durch die Verwendung des Judensterns mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ bringt der Verwender unmissverständlich zum Ausdruck, dass er sich in vergleichbarer Weise öffentlich gebrandmarkt, ausgegrenzt, rechtlos gestellt, verfolgt und existentiell bedroht fühlt. Ein derartiger Vergleich entbehrt jedoch offenkundig jeglicher Tatsachengrundlage (ähnl. mit eingehender Begründung LG Köln, Beschl. v. 4.4.2022 – 113 Qs 6/22).

2. NS-typische Kennzeichen

a) Hakenkreuz

Das Einstellen einer Karikatur, in der ein Hakenkreuz abgebildet ist, in einen Instagram-Account erfüllt grundsätzlich den Straftatbestand des § 86a Abs. 1 StGB. Eine aufgrund des Schutzzwecks des § 86a Abs. 1 StGB erforderliche Restriktion des Tatbestands ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich auf Anhieb aus der Abbildung in eindeutiger und offenkundiger Weise die Gegnerschaft des Angeklagten zur NS-Ideologie ergibt (BayObLG NStZ-RR 2023, 10). Ein Tatbestandsausschluss bei Verwendung eines Hakenkreuzes in einem öffentlichen Facebook-Account greift nur dann, wenn die Gegnerschaft auch für den flüchtigen Betrachter auf Anhieb erkennbar ist. Eine mehrdeutige Darstellung genügt diesen Anforderungen nicht. Fernliegende Deutungsmöglichkeiten, für die sich aus dem Gesamtbild der Darstellung und unter Berücksichtigung ihres sprachlichen Kontextes kein objektiver Anhalt ergibt, sind dabei auszuschließen. Die Voraussetzungen der Sozialadäquanzklausel des § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB sind bei Verwendung eines verfassungswidrigen Kennzeichens nicht schon dann erfüllt, wenn die subjektive Zielrichtung des Handelnden auf einen der genannten Zwecke gerichtet ist; es kommt vielmehr auf die Erkennbarkeit des Ziels und auf eine objektive Zweckförderung an. Geht der Angeklagte irrig davon aus, der Gebrauch eines NS-Kennzeichens in einer von ihm öffentlich verwendeten Darstellung sei wegen ausreichender Distanzierung nicht tatbestandsmäßig oder erfülle die Voraussetzungen der Sozialadäquanzklausel, kommt ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 StGB nur dann in Betracht, wenn sich der Irrtum auf tatsächliche Umstände bezieht. Bei einem Irrtum über die rechtliche Bewertung der bekannten Tatsachen kommt allenfalls ein Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB in Betracht (BayObLG, Beschl. v. 15.11.2022 – 206 StRR 289/22). Ebenso OLG Braunschweig, Urt. v. 5.10.2022 – 1 Ss 34/22: § 86a StGB dient u.a. dem Zweck, die Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens zu verbannen und ein kommunikatives „Tabu“ zu errichten. Das Einstellen der Abbildung eines unveränderten Hakenkreuzes in ein Facebook-Profil ist mit diesem Schutzzweck nicht vereinbar, weil es keine nur flüchtige Verwendung eines Kennzeichens ist.

b) Hitlergruß

Der sog. schlampige Hitlergruß (angewinkelter rechter Arm mit ausgestreckter rechter Hand schräg nach hinten) ist, anders als beispielsweise der sog. Kühnen-Gruß (ausgestreckter Arm mit drei abgespreizten Fingern), nicht dem Hitlergruß als „Grußformel“ zum Verwechseln ähnlich i.S.v. § 86a Abs. 2 S. 2 StGB und kann deshalb eine Strafbarkeit nicht begründen. Ein von einem Schüler im schulischen Sportunterricht gezeigter Hitlergruß erfolgt nicht öffentlich i.S.d. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn die Sporthalle von außen nicht einsehbar ist. Sportunterricht stellt auch keine „Versammlung“ i.S.d. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB dar (OLG Brandenburg NStZ 2020, 735).

c) „Deutschland erwache“

An einem tatbestandlichen Verwenden i.S.d. § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB fehlt es nur dann, wenn der Schutzzweck der Norm erkennbar nicht berührt wird. Sind die äußeren Umstände nicht eindeutig, ist der objektive Tatbestand erfüllt und es bedarf einer besonders sorgfältigen Prüfung der subjektiven Tatseite. Die Wortkombination „Deutschland erwache“ als Kommentar unter einem vermeintliche Ausländerkriminalität thematisierenden Facebook-Beitrag unterfällt als Parole einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation auch in ihrem isolierten Gebrauch dem Kennzeichenbegriff, und zwar ungeachtet des Umstandes, dass es aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit auch unverfängliche Verwendungsmöglichkeiten gibt (OLG Jena StV 2020, 176).

3. Leugnen und Verharmlosen des Holocausts

„Leugnen“ i.S.v. § 130 Abs. 3 StGB ist das Bestreiten des nationalsozialistischen Völkermordes an den europäischen Juden. Ob es sich bei einer Äußerung um ein solches Bestreiten handelt, hat das Tatgericht durch Auslegung der Äußerung auf ihren tatsächlichen Gehalt hin zu ermitteln. Als Kriterien dieser Auslegung sind der Wortlaut der Äußerung, ihr sprachlicher Kontext, die nach außen hervortretenden Begleitumstände sowie die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden zu bewerten. Bei mehrdeutigen Äußerungen gebietet es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nur dann, die dem Angeklagten günstigere Deutung zugrunde zu legen, wenn diese nicht ausgeschlossen ist (OLG Hamm, Beschl. v. 1.6.2021 – 3 RVs 19/21). Bei der Leugnung des Holocausts nach § 130 Abs. 3 StGB handelt es sich um ein persönliches Äußerungsdelikt. Die Wiedergabe fremder Äußerungen ist nur dann tatbestandsmäßig, wenn sich der Täter die Äußerung ausdrücklich oder konkludent derart zu eigen macht, dass er selbst leugnet (BGH NStZ-RR 2019, 108).

Fälle des umfassenden Herunterrechnens der Opferzahlen des Holocausts unterfallen allein der Tatbestandsvariante des „Verharmlosens“ i.S.v. § 130 Abs. 3 StGB. Die mit einer eigenen Bewertung versehene und jedermann im Internet zugängliche Verlinkung eines Beitrags, der ein augenscheinlich manipuliertes Foto eines Eingangstores zu einem Konzentrationslager zeigt, bei dem der tatsächlich vorhandene Schriftzug im Torbogen durch die Worte „Muh Holocaust“ ersetzt ist, und in dem dargelegt wird, in Bezug genommene Quellen seien geeignet, das historisch nachgewiesene Ausmaß des Völkermordes an der jüdischen Bevölkerung während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu widerlegen, ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören (OLG Celle, Urt. v. 16.8.2019 – 2 Ss 55/19 = StRR 12/2019, 18 [Deutscher]). Das Zeigen eines Plakats mit der Aufschrift „Hetze in Deutschland“ und darunter der nebeneinander gestellten Abbildungen eines sog. Judensterns mit den Jahreszahlen „1933–1945“ sowie des Logos der Partei „Alternative für Deutschland“ mit der Jahreszahl „2013–?“ und die Veröffentlichung eines identischen Bildes im Internet auf der Kommunikationsplattform „Twitter“ rechtfertigt die Annahme, der Täter habe mit dem Inhalt seines Plakats und seines Twitterbeitrags die während der Herrschaft des Nationalsozialismus systematisch durchgeführte Verfolgung von Juden und deren konsequente Tötung verharmlost, indem er die Stimmung gegen die AfD und ihre Mitglieder mit dem nationalsozialistischen Völkermord von bis zu sechs Millionen Juden verglichen hat. Diese Tat ist als Volksverhetzung strafbar (BayObLG, Beschl. v. 25.6.2020 – 205 StRR 240/20; die Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen, Beschl. v. 21.9.2021 – 1 BvR 1787/20).

4. Antisemtische Äußerungen

Der Begriff des „frechen Juden“ gehört zum charakteristischen Vokabular der Sprache des Nationalsozialismus; ohne Zweifel handelt es sich bei der Verwendung dieser Begrifflichkeit um eine auf die Gefühle des Adressaten abzielende, über die bloße Äußerung von Ablehnung und Verachtung hinausgehende Form des Anreizens zu einer feindseligen Haltung gegenüber Menschen jüdischen Glaubens, so dass diese Äußerung ein „Aufstacheln zum Hass“ i.S.v. § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt (OLG Hamm, Beschl. v. 28.1.2020 – 3 RVs 1/20; die Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG NJW 2021, 297 nicht zur Entscheidung angenommen). Bei von Verantwortlichen einer politischen Partei unter anderem auf zwei nebeneinander nahe einer Jüdischen Synagoge angebrachten Wahlplakaten aufgedruckten Parolen „Zionismus stoppen! Israel ist unser Unglück – Schluss damit!“ und „Wir hängen nicht nur Plakate!“ begründet der naheliegende und von den Verfassern ersichtlich bezweckte Aussageinhalt, nämlich gegen die in Deutschland bzw. der Gemeinde lebenden Juden zum Hass aufzustacheln und zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen diese Bevölkerungsgruppe aufzurufen, den Anfangsverdacht einer Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1a und b StGB; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020, 310). Wer bewusst in seinem Status bei WhatsApp ein Video teilt, das sich nach eigenem Wortlaut an die „Nichtjuden der Welt“, die zum Aufstehen und zum Kampf um das eigene Volk aufgefordert werden, richtet und damit unverkennbar Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland nimmt, verbreitet dieses nicht nur, sondern stachelt damit auch selbst zum Hass in Bezug auf Angehörige des jüdischen Glaubens auf (AG Frankfurt, Urt. v. 6.1.2022 – 907 Ds 6111 Js 250180/19).

5. Ehe für alle

Ein früherer Professor für Evolutionsbiologie benutzte in einem veröffentlichten Interview die Bezeichnung homosexueller Paare als „asexuelle Erotikvereinigungen“ und erklärte die im Zusammenhang mit dem Adoptionsrecht ausgesprochene Warnung vor einem möglichen „Horror-Kinderschänder-Szenario“. Der Angeklagte wurde freigesprochen. Weder bei Homosexuellen noch bei in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften lebenden Kindern handelt es sich um eine abgrenzbare und deutlich überschaubare Gruppe, sodass Meinungsäußerungen über die Gruppen an sich nicht auf die persönliche Ehre jedes einzelnen Angehörigen der Gruppen durchschlagen. Auch drastische und polemisch-überspitzte Äußerungen, mit denen gleichgeschlechtlichen Paaren (ausschließlich) das Recht abgesprochen wird, verschiedengeschlechtlichen Paaren im Hinblick auf Eheschließung und Adoptionsrecht gleichgestellt zu werden, sind von der Meinungsfreiheit gedeckt (OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 2022, 181).

6. Weitere Parolen

Die Äußerung, dass es sich bei „Europäern“ um „Untermenschen“ handele, stellt mangels Abgrenzbarkeit des Begriffs „Europäer“ keine Volksverhetzung dar (OLG Celle, Beschl. v. 4.1.2022 – 4 StS 2/21). Eine Verurteilung wegen Volksverhetzung durch Verbreiten eines „Gedichts“ verletzt das Grundrecht der Meinungsfreiheit, wenn ihm eine zur Strafbarkeit führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind. Auch wenn Äußerungen nahelegen, dass bestimmten Gruppen von Ausländerinnen und Ausländern generalisierend feindseliges, gewaltbereites, betrügerisches und kleinkriminelles Verhalten zugeschrieben wird, müssen alternative Deutungen – eine Kritik staatlichen Verhaltens oder eine Bezugnahme auf konkrete Vorfälle – vor einer Verurteilung in Betracht gezogen werden (VerfGH Saarland, Beschl. v. 16.12.2020 – Lv 1/20).

7. Herabwürdiges Verhalten

Das Hochladen eines Bildes, das einen fremdenfeindlichen und dunkelhäutige Menschen herabwürdigenden Charakter aufweist, in einer WhatsApp-Gruppe, deren 60 Mitglieder rechte und ausländerfeindliche Tendenzen aufweisen, erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB, denn angesichts der massenhaften, über den Instant-Messaging-Dienst vorgenommenen Weiterverbreitung dort ausgetauschter Bild-Dateien ist mit einer Weiterverbreitung des Bildes an eine unbekannte Vielzahl von Personen und damit mit einer Störung des öffentlichen Friedens zu rechnen. Vor diesem Hintergrund stellt auch das Hochladen von nationalsozialistische Symbole verherrlichenden Bildern in einer derartigen WhatsApp-Gruppe ein Verbreiten i.S.v. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB dar (OLG Celle, Beschl. v. 11.10.2022 – 2 Ss 127/22).

In einem Fall des OLG Frankfurt (Urt. v. 30.11.2022 – 3 Ss 131/22) ging um es um eine Bild-Text-Collage, die ein Kommunalpolitiker auf Facebook geteilt haben soll. In dem Post sind auf dem einen Bild mehrere Männer schwarzer Hautfarbe, die mit Unterhemden oder T-Shirts bekleidet sind, zu sehen, die freudig Papiere in die Kamera zu halten scheinen, versehen mit der Textzeile „Wir sind EU-Bürger“. Darunter sind mehrere Löwen abgebildet mit der Textzeile „und wir sind Vegetarier“. Ein weiterer Fall (Urt. v. 30.11.2022 – 3 Ss 123/22) betraf einen islamistischen Prediger, der in einem Beitrag auf einem YouTube-Channel gegenüber Personen, die er überwiegend als „Zionisten“ bezeichnet, diverse verleumderische und ggf. rassistische Behauptungen aufgestellt haben soll. Diese würden die nichtjüdische Bevölkerung über große Lebensmittelkonzerne durch die Beimischung von Emulgatoren vergiften wollten. Das OLG hat in beiden Fällen die Freisprüche bestätigt. Im ersten Fall sei entscheidend, ob der Post objektiv eindeutig nur so verstanden werden könne, dass es lächerlich sei, anzunehmen, dass schwarze Menschen gleichwertige Bürger eines EU-Landes sein könnten, Schwarze also wegen ihres So-Seins verächtlich gemacht werden. Es sei eine Auslegung vertretbar, wonach sich der Post gegen eine weitere Einwanderung von Menschen aus Afrika nach Europa und damit gegen migrationspolitische Positionen der Bundesregierung richtet. In zweiten Fall werde nicht deutlich, ob sich die Beschimpfungen gegen eine i.S.v. § 130 StGB ausreichend abgrenzbare, etwa religiöse Gruppe richteten. Das könnte bei Angriffen gegen „die“ Juden der Fall sein. Bei Angriffen gegen einzelne; vom Angeklagten den „Zionisten“ zugerechnete Personen könnte es daran fehlen.

Hinweis

Zur Strafverfolgung von Hatespeech in sozialen Netzwerken („Liken als Haten“) näher Eckel/Rottmeier, NStZ 2021, 1.

8. Billigung von Straftaten

Ein Angeklagter, der im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf das Veranstaltungsgelände des OSZE-Ministerratstreffens an den Hamburger Messehallen in einem Zeitungsinterview Verständnis für die Täter äußert und die Teilnehmer an den OSZE- und G20-Treffen als „die wahren Verbrecher“ benennt, erklärt damit, dass die Brandanschläge im Gegensatz dazu keine wirklichen Straftaten sind, sondern nachvollziehbar, rechtmäßig und damit richtig sind. Dies erfüllt den Straftatbestand des § 140 Nr. 2 StGB und lässt das Grundrecht der Meinungsfreiheit zurücktreten (LG Hamburg NStZ 2020, 737, Ls.). Vom Tatbestand erfasst ist auch die Billigung der NSU-Morde durch ein ins Internet gestelltes Video mit der Comic-Figur „Paulchen Panther“ und Reichskriegsflagge (LG Kleve, Beschl. v. 29.4.2021 – 120 Qs 503 Js 779/20 – 14/21).

Der Buchstabe „Z“ ist auf russischen Panzern und Fahrzeugen angebracht, die im Zuge des Ukraine-Krieges eingesetzt werden. Ein auf einem DIN-A4-Zettel aufgemaltes „Z“ im Auto soll das Billigen einer Straftat hier nach § 13 VStGB (Führen eines Angriffskriegs) darstellen (so AG Hamburg, Urt. v. 25.10.2022 – 240 Cs 121/22 [zw.]; enger AG Bautzen StV 2022, 645 Ls.). Das sieht auch das OVG Sachsen-Anhalt so (NVwZ-RR 2022, 715) und hat die versammlungsrechtliche Untersagung der Verwendung der „Z“-Symbolik zugelassen.

9. Weitere Einzelfragen

Eine als strafbewehrte Weisung nach § 68b Abs. 1 StGB ausgestaltete Anordnung, wonach ein wegen Volksverhetzung Verurteilter und erneut Angeklagter innerhalb des ersten Jahres nach seiner Entlassung jede Veröffentlichung von Text- und Sprachbeiträgen spätestens eine Woche vor Erscheinen dem Landeskriminalamt zugänglich machen muss, verstößt gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege“. Die in § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB angesprochene „Tätigkeit“ kann nur eine solche sein, die auf zumindest eine gewisse Dauer angelegt ist, die in irgendeiner Form institutionalisiert, sei es auch nur als regelmäßiges Hobby, ausgeübt wird und die für sich betrachtet gerade keine Straftat darstellt, sondern nur der sie ausübenden Person die Gelegenheit bietet, unter Missbrauch von aus der „Tätigkeit“ sich ergebenden Möglichkeiten etwas anderes zu tun, was dann seinerseits eine Straftat ist. Ein Missbrauch in diesem Sinne kommt hier nicht in Betracht, denn Veröffentlichungen des wegen Volksverhetzung Vorbestraften in der Vergangenheit sind gerade nicht in irgendeiner Weise verschieden von den Straftaten, die von dem Verurteilten zu erwarten/befürchten sein mögen. Wenn der Verurteilte hierbei eine Straftat, insbesondere eine erneute Straftat nach § 130 StGB, begeht, dann begeht er sie nicht, indem er seine Veröffentlichungstätigkeit zu einer anderen, strafbaren Handlung „missbraucht“, sondern die Straftat liegt in der einzelnen Veröffentlichung als solcher (OLG Brandenburg StV 2022, 325).

Die persönliche politische Meinung eines Richters, die für die eigentliche Rechtsfindung ohne Bedeutung ist (hier: ausländerfeindliche Äußerungen), hat in den Entscheidungsgründen eines Urteils nichts zu suchen; es liegt ein Fall der Zweckentfremdung einer grundsätzlich in den Schutzbereich der richterlichen Unabhängigkeit fallenden richterlichen Tätigkeit vor. Dadurch, dass der Richter sein Urteil zur Verbreitung seines politischen Standpunkts nutzt, verlässt er letztlich den der Dienstaufsicht entzogenen Kernbereich der richterlichen Tätigkeit (BGH [Richterdienstgericht] NVwZ-RR 2021, 459).

Hinweis

Durch Gesetz vom 4.12.2022 (BGBl I, S. 2146) ist mit Wirkung zum 9.12.2022 in § 130 StGB ist ein neuer Abs. 5 eingefügt worden, der das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Strafe stellt, wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.

Richter am Amtsgericht Dr. Axel Deutscher, Bochum

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