Verwendet ein Rechtsanwalt vom Prozessgegner an ihn zur Erfüllung der Forderung überwiesene Beträge für sich selbst, handelt es sich nicht um anvertrautes Fremdgeld und damit nicht um strafbare Untreue gem. § 266 StGB, wenn der Anwalt von seinem Mandanten keine Geldempfangsvollmacht erhalten hat oder die Einziehung der Forderung nicht genehmigt wird.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Anwalt „veruntreut“ für die Insolvenzmasse erhaltene Zahlungen
Das LG hat den Angeklagten wegen vielfacher Untreue verurteilt. Der zur Tatzeit als Rechtsanwalt tätige Angeklagte war von R. als Insolvenzverwalterin über das Vermögen einer GmbH mit der außergerichtlichen und gerichtlichen Geltendmachung und Realisierung von Ansprüchen gegen deren faktische Geschäftsführer beauftragt worden. Auf Vermittlung des Angeklagten schloss die Insolvenzverwalterin zur Finanzierung des Prozesses Prozessfinanzierungsverträge mit der L. Diese hatte nach den Prozessfinanzierungsverträgen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Insolvenzmasse; daneben stand der L. eine prozentual bemessene Gewinnbeteiligung am Erlös der finanzierten Rechtsverfolgung zu. Die Ansprüche der L. waren vorrangig vor anderen Massegläubigern zu erfüllen und nach § 5 Ziffer 4 des Prozessfinanzierungsvertrags mit Zahlungseingang beim Insolvenzverwalter oder dem von ihm „beauftragten Rechtsanwalt“ fällig. Zur Sicherung der Ansprüche der L. gegen die Insolvenzmasse trat die Insolvenzverwalterin die Forderung gegen den Prozessgegner sowie etwaige Kostenerstattungsansprüche an die L. ab. Die Insolvenzverwalterin R. schloss für die Insolvenzschuldnerin einen Vergleich, wonach die Schuldner jeweils eine Zahlung von 787.578,75 EUR an die Insolvenzmasse zu erbringen hatten. Danach waren die Vergleichszahlungsbeträge auf ein „von der Insolvenzverwalterin zu benennendes Bankkonto“ zu überweisen. Die Insolvenzverwalterin, die dem Angeklagten keine Geldempfangsvollmacht erteilt hatte, teilte dem Büro des Angeklagten das Insolvenzanderkonto mit. Zur Tatzeit war der Angeklagte trotz guter Umsätze seiner Kanzlei nahezu durchgehend auf allen Konten tief im Soll und sodann zahlungsunfähig; reelle Aussichten auf kurzfristige Zahlungseingänge größeren Umfangs hatte er seither nicht. Der Angeklagte stellte Insolvenzantrag und gab seine Zulassung als Rechtsanwalt zurück. Entgegen dem Prozessfinanzierungsvertrag und dem Vergleich übermittelte der Angeklagte den Schuldnern eine als „Fremdgeldkonto“ bezeichnete Bankverbindung, bei der es sich tatsächlich um ein Unterkonto zu einem seiner Geschäftskonten handelte. Die Insolvenzverwalterin war überrascht, als sie von der Zahlung an den Angeklagten erfuhr, und monierte dies, „gab dem Angeklagten aber zu verstehen, dass die Gelder (vorläufig) auf seinem Konto verbleiben könnten“. Von dem Geschäftskonto veranlasste der Angeklagte an eine Vielzahl von Überweisungen auf eigene im Soll befindliche Konten oder an eigene Gläubiger. Die Revision des Angeklagten war hinsichtlich dieser Fälle erfolgreich. Um einschlägige Feststellungen zu ermöglichen, hat der BGH insofern die Sache zurückverwiesen.
II. Entscheidung
Grundlagen
Der Schuldspruch wegen Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) begegne in diesen Fällen durchgreifenden Bedenken. Ein dem betreuten Vermögen zugefügter Nachteil i.S.d. § 266 Abs. 1 StGB sei jede durch die Tathandlung verursachte Vermögenseinbuße, die exakt zu bestimmen und zu beziffern ist. Die Vermögensminderung sei dabei nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung festzustellen; maßgeblich sei der unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorzunehmende Vergleich der Vermögenswerte unmittelbar vor und nach der pflichtwidrigen Verhaltensweise zu Lasten des betroffenen Vermögens (st. Rspr.; BGH NStZ-RR 2022, 184). Ein Rechtsanwalt, der sich zur Weiterleitung bestimmte, ihm in diesem Sinne anvertraute Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lässt, bewirke jedenfalls dann einen Vermögensschaden zu Lasten seines Mandanten, wenn er mit diesen Buchgeldern eigene Verbindlichkeiten begleicht, es sei denn, er ist uneingeschränkt dazu bereit und jederzeit fähig, diese Fehlbeträge aus eigenen flüssigen Mitteln auszugleichen und entsprechende Beträge an seinen Mandanten auszukehren (st. Rspr.; BGH NStZ-RR 2022, 246).
Mangels Geldempfangsvollmacht kein Fremdgeld
Derartige Vermögensnachteile der von der Mandantin des Angeklagten verwalteten Insolvenzmasse seien nicht belegt. Denn die Gutschrift sei kein dem Angeklagten anvertrautes Fremdgeld im vorgenannten Sinn. Das Guthaben auf dem Geschäftskonto sei nicht Bestandteil der Insolvenzmasse. Der Angeklagte, der nach der tatgerichtlichen Würdigung erst nach dem Eingang der Gutschrift den Entschluss fasste, das restliche Guthaben für sich zu verwenden, sei ausdrücklich nicht nach § 185 Abs. 1 BGB zur Einziehung der Forderung ermächtigt. Mangels Geldempfangsvollmacht des Angeklagten habe die Überweisung der Schuldner keine Erfüllungswirkung gehabt (§ 362 Abs. 2 BGB); die Vergleichsforderung blieb unberührt. In diesem Sinne habe der Schuldner an den Angeklagten als Nichtberechtigten auf eigenes Risiko gezahlt. Die Kontoverfügungen des Angeklagten hätten demnach in diesen zehn Fällen den Bestand der Insolvenzmasse nicht beeinflussen können.
Aber: Genehmigung der Geldeinziehung denkbar
Dennoch sei der Angeklagte in diesen zehn Fällen nicht freizusprechen (§ 354 Abs. 1 Var. 1 StPO). Denn es komme in Betracht, dass die mit der Einziehung der Forderung betraute Insolvenzverwalterin (§ 185 Abs. 1 BGB) bzw. die L. als Sicherungszessionarin das Einziehen der Vergleichsforderung genehmigte (§§ 185 Abs. 2 S. 1 Var. 1, 362 Abs. 2 BGB). Dann wäre ein Herausgabeanspruch der Insolvenzmasse aus dem gegebenenfalls mit der Genehmigung erweiterten anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag gegen den Angeklagten nach § 667 Alt. 2 BGB – anstelle der damit erfüllten Vergleichsforderung – entstanden; das Kontoguthaben habe hingegen bis zu einer solchen Genehmigung der gutgeschriebenen Überweisung durch die Gläubigerin bei wirtschaftlicher Betrachtung weiterhin dem Schuldner zugestanden, der einen diesbezüglichen Bereicherungsanspruch (§§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB) hatte. Im Falle einer Genehmigung hätte die Insolvenzmasse nicht nur einen Vermögensschaden in Höhe derjenigen Gelder erlitten, die ihr verbleiben sollten, sondern auch in Höhe derjenigen, die an die L. weiterzuleiten waren. Die Insolvenzverwalterin sei nicht nur nach § 5 Ziffer 6 des Prozessfinanzierungsvertrags zur Einziehung der Forderung gegen den Prozessgegner auf das Insolvenzanderkonto berechtigt und verpflichtet; sie habe nach der Fälligkeitsregelung in § 5 Ziffer 4 des Prozessfinanzierungsvertrags, die einen Zahlungseingang bei dem von ihr beauftragten Rechtsanwalt für die Fälligkeit der Ansprüche der L. genügen ließ, ungeachtet eines tatsächlichen Vermögenszuflusses bei der Insolvenzmasse auch die Verpflichtung gehabt, die Zahlungsansprüche der L. (vorrangig vor den Massegläubigern) aus der Insolvenzmasse zu erfüllen. Durch diese Fälligkeitsregelung und den in § 5 Ziffer 1 bis 3 des Prozessfinanzierungsvertrags vereinbarten Vorrang der Ansprüche der L. vor allen anderen Massegläubigern war der Insolvenzmasse das wirtschaftliche Risiko eines Verlusts des Erlöses in der Sphäre des Angeklagten zugewiesen.
Sicherungszession ist ohne Bedeutung
Dieses der Insolvenzmasse zugewiesene Ausfallrisiko sei nicht anders zu bewerten, weil die streitige Forderung gegen die A. von der Insolvenzverwalterin in dem Prozessfinanzierungsvertrag mit der L. sicherungshalber an diese abgetreten worden war. Die Sicherungszession der Forderung gegen den Prozessgegner lasse die Zuweisung des primären wirtschaftlichen Risikos eines Zahlungsausfalls beim Angeklagten von vornherein unberührt; ungeachtet dessen wäre (spätestens) mit einer Genehmigung der Überweisung der A. auf das Geschäftskonto des Angeklagten die sicherungsweise abgetretene Forderung der Insolvenzmasse gegen die Prozessgegner gemäß §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB erloschen und durch einen Herausgabeanspruch der Insolvenzmasse gegen den Angeklagten gemäß § 667 Alt. 2 BGB ersetzt worden, der nicht – zumindest nicht ausdrücklich – von der Sicherungszession umfasst war. Eine Genehmigung der Überweisung der A. auf das Geschäftskonto des zahlungsunfähigen und damit nicht zum Ausgleich aus anderen Mitteln fähigen Angeklagten als Leistung mit Erfüllungswirkung (§§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) hat das LG indes nicht festgestellt. Insbesondere hat es sich nicht damit auseinandergesetzt, ob in der Äußerung der Insolvenzverwalterin, die Gelder könnten (vorläufig) auf dem Konto des Angeklagten verbleiben, naheliegenderweise eine solche Genehmigung der Leistung des Schuldners und eine entsprechende Erweiterung des Geschäftsbesorgungsvertrags mit dem Angeklagten dahin, dass dieser das Guthaben nunmehr zu verwahren und nach Abrechnung durch die L. an diese und die Insolvenzmasse auszukehren habe, zu sehen sein könnte.
III. Bedeutung für die Praxis
Teufel im Detail
Bei Wirtschaftsstrafsachen im Allgemeinen und bei Untreue im Besonderen steckt der Teufel oft im Detail. Der hier nur gekürzt wiedergegebene Beschluss des BGH macht deutlich, dass eine Veruntreuung von Fremdgeldern durch einen Rechtsanwalt nicht vorliegt, wenn keine Geldempfangsvollmacht besteht oder die Geldeinziehung vom Berechtigten genehmigt wird. Dabei geht die Bedeutung für die tägliche Arbeit des Rechtsanwalts über die recht komplizierte Konstellation hinaus und schränkt die Strafbarkeit systemgerecht ein. Dass das Verhalten des Angeklagten als Anwalt hier falsch war, steht auf einem anderen Blatt und kann bei Feststellung einer Genehmigung noch immer zu einer Verurteilung führen. In einschlägigen Fällen ist jedenfalls bei allen Beteiligten detaillierte Arbeit erforderlich.