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Ausübung des Vorsitzendenermessens bei der Terminierung

1. Beschwerden gegen die Anberaumung von Hauptverhandlungsterminen oder gegen die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung sind ausnahmsweise zulässig, wenn der angefochtenen (Termins-)Entscheidung gewichtige und offensichtliche Ermessensfehler zugrunde liegen.

2. Eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass der Vorsitzende des Gerichts bei der Terminierung neben der Belastung des Gerichts auch berechtigte Wünsche der Prozessbeteiligten, insbesondere des Verteidigers, berücksichtigt. Insbesondere muss er sich ernsthaft bemühen, dem Recht des Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens vertreten zu lassen, so weit wie möglich Geltung zu verschaffen und einem nachvollziehbaren Begehren dieses Verteidigers bezüglich der Terminierung im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten der Strafkammer und anderer Verfahrensbeteiligter sowie des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.9.20224 Ws 403/22

I. Sachverhalt

Verfahren gegen drei Angeklagte

Gegen den Angeklagten sowie gegen zwei weitere Angeklagte wird ein Verfahren wegen des Verdachts des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. geführt. Das LG hat nach Eingang Anklageschrift am 29.7.2022 mit der Pflichtverteidigerin des Angeklagten, Rechtsanwältin E., sowie mit den Verteidigern der beiden Mitangeklagten mögliche Hauptverhandlungstermine abgestimmt.

Legitimierung des neuen Verteidigers wird nicht weitergeleitet

Vor dem Eingang der Anklageschrift beim LG hatte sich am 25.7.2022 Rechtsanwalt B. gegenüber der Staatsanwaltschaft für den Angeklagten legitimiert und Akteneinsicht beantragt. Eine Weiterleitung des Schriftsatzes an das LG im Nachgang zur Anklage durch die Staatsanwaltschaft ist nicht erfolgt. Auch wurden weder Rechtsanwalt B. noch der Angeklagte auf die bereits erhobene Anklage hingewiesen. Infolgedessen blieb Rechtsanwalt B. bei der Abstimmung der möglichen Hauptverhandlungstermine mit den Verfahrensbeteiligten unberücksichtigt.

Vorsitzender bestimmt Termine – neuer Verteidiger verhindert

Mit Verfügung vom 22.8.2022 hat der Vorsitzende für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens Hauptverhandlungstermine auf den 8., 14. und 17.11. sowie weitere Fortsetzungstermine bestimmt. Tags darauf hat sich Rechtsanwalt B. telefonisch an die Geschäftsstelle des LG gewandt und in der Folge per Fax seine verfügbaren Termine übermittelt. Am 24.8.2022 hat der Vorsitzende Rechtsanwalt B. mitteilen lassen, dass die Kammer für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens bereits vor dem Erhalt seines Schreibens vom Vortag Termine bestimmt habe. Sein Legitimationsschreiben habe sich nicht bei der Akte befunden. Ebenfalls am 24.8.2022 hat das LG die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen.

Gegen die Terminsverfügung des Vorsitzenden hat der Angeklagte Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG Erfolg.

II. Entscheidung

Beschwerde ist zulässig …

Das OLG hat die Beschwerde als zulässig angesehen. Zwar seien Beschwerden gegen die Anberaumung von Hauptverhandlungsterminen oder gegen die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung als eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung des erkennenden Gerichts nach § 305 S. 1 StPO grundsätzlich ausgeschlossen. Hiervon gelte jedoch eine Ausnahme, wenn der angefochtenen Entscheidung gewichtige und offensichtliche Ermessensfehler zugrunde liegen. Das hat das OLG bejaht, weil die angefochtene Entscheidung des LG zur Folge hätte, dass der Angeklagte an den ersten drei für den weiteren Verfahrensverkauf wesentlichen Hauptverhandlungstagen zwar von seiner Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin E., vertreten werde, nicht aber von Rechtsanwalt B., der sein Vertrauen genieße.

… und begründet

Die Beschwerde sei auch begründet. Der Vorsitzende habe das ihm im Rahmen der Terminierung zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Die Terminsverfügung sei deshalb rechtsfehlerhaft. Zwar liege die Terminshoheit beim Vorsitzenden (§ 213 StPO). Seine Entscheidung sei nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die rechtlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens eingehalten und ob das ihm zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt worden sei.

Voraussetzungen für eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung

Dabei setze eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung voraus, dass der Vorsitzende neben der Belastung des Gerichts auch berechtigte Wünsche der Prozessbeteiligten, insbesondere des Verteidigers, berücksichtige. Insbesondere müsse er sich ernsthaft bemühen, dem Recht des Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens vertreten zu lassen (Art. 6 Abs. 3c EMRK; § 137 Abs. 1 S. 1 StPO), so weit wie möglich Geltung zu verschaffen und einem nachvollziehbaren Begehren dieses Verteidigers bezüglich der Terminierung im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten der Strafkammer und anderer Verfahrensbeteiligter sowie des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen (BGH StRR 7/2018, 11 = StraFo 2018, 424). Von dieser Verpflichtung sei der Vorsitzende nicht deshalb frei, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung durch seine Pflichtverteidigerin vertreten sein werde. Die terminliche Verfügbarkeit von Rechtsanwalt B. sei deshalb nicht irrelevant, zumal dessen Mandatierung als Wahlverteidiger auch Anlass gebe, eine Aufhebung der Bestellung gemäß § 143a Abs. 1 S. 1 StPO zu prüfen.

Kein Bemühen des Vorsitzenden um ander- weitige Terminierung

Ein derartiges Bemühen des Vorsitzenden sei – so das OLG – weder bei der Bestimmung der Hauptverhandlungstermine noch hinsichtlich des nachfolgenden Schreibens von Rechtsanwalt B. noch im Rahmen der Entscheidung über die Nichtabhilfe ersichtlich. Auch erscheine eine anderweitige Terminierung nicht von vornherein ausgeschlossen, nachdem die übrigen Verteidiger an den von Rechtsanwalt B. vorgeschlagenen Hauptverhandlungsterminen jedenfalls nicht allesamt und nicht durchgängig verhindert seien. Dabei habe man nicht übersehen, dass die Verhinderungen von Rechtsanwalt B. bei der Anberaumung der Hauptverhandlungstermine vom Vorsitzenden nicht berücksichtigt werden konnte, da ihm der Legitimierungsschriftsatz vom 25.7.2022 zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorlag und eine ordnungsgemäße Ermessensausübung schon deshalb nicht möglich gewesen sei. Dies sei indes weder dem Angeklagten noch Rechtsanwalt B, der von der zwischenzeitlich erfolgten Erhebung der Anklage keine Kenntnis hatte und seine Verteidigungsanzeige deshalb zwingend an die Staatsanwaltschaft richten musste, anzulasten. Vielmehr hätte es der Staatsanwaltschaft oblegen, die Verteidigungsanzeige im Nachgang zur Anklageschrift unmittelbar an das LG weiterzuleiten. Dies sei aus ersichtlich nicht vom Angeklagten oder dessen Verteidigung zu vertretenden Gründen nicht erfolgt. Auch habe ersichtlich keine Verpflichtung für Rechtsanwältin E. bestanden, die Strafkammer von der Mandatierung eines zweiten Verteidigers zu informieren und so das Versäumnis der Staatsanwaltschaft auszugleichen.

Früheren Hauptverhandlungsbeginn nicht erwogen

Es sei jedoch auch nicht erkennbar, dass die berechtigten Belange des Angeklagten im Hinblick auf eine Vertretung (auch) durch Rechtsanwalt B. in der Hauptverhandlung im weiteren Verlauf des Verfahrens oder im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung Berücksichtigung gefunden hätten. Stattdessen werde dort lediglich ausgeführt, dass eine nachträgliche Berücksichtigung der von Rechtsanwalt B. mitgeteilten freien Termine nicht möglich gewesen wäre und die Sache eilbedürftig sei, obwohl die Hauptverhandlung erst in knapp zwei Monaten beginnen sollte. Ein deutlich früherer Beginn sei nicht erwogen worden, bei den Verteidigern wurden Termine erst ab dem 31.10.2022 abgefragt. Zudem hätten etwa am 7.11.2022 sämtliche Verteidiger zur Verfügung gestanden, Rechtsanwältin E. und Rechtsanwalt U. jeweils ganztags, Rechtsanwalt K. zumindest vormittags. Dennoch sei nicht ersichtlich, dass eine anderweitige Terminierung auch nur erwogen worden sei, eine Ermessensausübung habe weiterhin nicht stattgefunden. Dies zwinge zur Aufhebung der Terminsverfügung im Umfang der Anfechtung.

III. Bedeutung für die Praxis

Rüffel für den Vorsitzenden

1. Der Vorsitzende der Strafkammer wird die Ausführungen des OLG nicht gern lesen, da sie doch einen recht gewichtigen Rüffel der Terminierungspraxis und des Umgangs mit dem Recht des Angeklagten auf den Verteidiger des Vertrauens (vgl. dazu für das Bußgeldverfahren LG Wuppertal StRR 1/2023, 30) enthalten. Das Verhalten des Vorsitzenden ist auch nicht nachvollziehbar, da ein Grund, warum man so an den vorgeschlagenen Termin klebt, nicht erkennbar ist. Zu Recht hat daher das OLG die Terminsverfügung aufgehoben (zu den Terminierungsfragen auch Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 4401 ff. bzw. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 3070 ff.).

Vorsitzender muss sich nach Kräften bemühen

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Vorsitzende trotz der nunmehr erfolgten Terminsaufhebungen nicht gezwungen ist, mit der Hauptverhandlung erst Ende November oder gar zu einem noch späteren Zeitpunkt zu beginnen. Auch sei es aufgrund der Entscheidung des Senats nicht von vornherein ausgeschlossen, erneut Hauptverhandlungstermine auf den 8., 14. und 17.11.2022 anzuberaumen. Denn der Vorsitzende sei lediglich gehalten, sich nach Kräften zu bemühen, eine Verteidigung aller Angeklagter durch die jeweils von ihnen gewünschten Verteidiger zu gewährleisten. Sollte es trotz solcher – bislang gegenüber Rechtsanwalt B. nicht erfolgter – Bemühungen nicht gelingen, Terminkollisionen zu beheben und Alternativtermine abzustimmen, an denen alle vier an dem Verfahren beteiligten Verteidiger zur Verfügung stehen, ohne dass dies zu Verfahrensverzögerungen führen würde, werde im Rahmen der Ermessensausübung insbesondere das Beschleunigungsgebot zu berücksichtigen sein. Dieses steht nicht zur Disposition des Angeklagten (OLG Stuttgart NStZ 2016, 436). Insoweit werde der Vorsitzende auch bemüht sein – sollte, so das OLG, der Senat nach Abschluss der noch ausstehenden Haftprüfung gemäß §§ 121 Abs. 1, 122 StPO Haftfortdauer anordnen – eine nochmalige Vorlage nach neun Monaten Untersuchungshaft zu vermeiden. Auch das: mehr als deutlich.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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