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Verfassungsbeschwerde im sog. „Ku‘damm-Raser-Fall“

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Strafurteile im sog. „Ku‘damm-Raser-Fall“, insbesondere zur Bejahung des Tötungsvorsatzes beim Verurteilten.

(Leitsatz des Verfassers)

BVerfG, Beschl. v. 7.12.20222 BvR 1404/20

I. Sachverhalt

Verurteilung wegen Mordes

Der Beschwerdeführer verursachte Anfang des Jahres 2016 bei einem Autorennen auf dem Berliner Kurfürstendamm einen Autounfall, bei dem ein Mensch zu Tode kam. Das LG Berlin verurteilte ihn deswegen u.a. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, der BGH hat seine Revision verworfen (VRR 8/2020, 19). Dagegen hat der Verurteilte Verfassungsbeschwerde eingelegt, mit der er u.a. eine Missachtung des Bestimmtheitsgebotes durch die Annahme von Tötungsvorsatz und einen Verstoß gegen das Schuldprinzip geltend gemacht hat. Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Das BVerfG hat sie nicht zur Entscheidung angenommen.

II. Entscheidung

Bestimmtheitsgebot

Nach Auffassung des BVerfG zeige der Verurteilte einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht auf. Gemessen an den vom BVerfG aufgestellten Maßstäben hätten die Fachgerichte mit der Annahme, der Verurteilte habe mit Tötungsvorsatz gehandelt, die Vorgaben des Bestimmtheitsgebots nicht missachtet. Die Rüge, es sei eine dem Bestimmtheitsgebot widersprechende Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit vorgenommen worden, dringe nicht durch. Unschädlich sei, dass das Strafgesetzbuch diese Begriffe ohne die Rechtsanwendung anleitende Definitionen verwende. Art. 103 Abs. 2 GG schließe die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln im Strafrecht nicht aus, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung derartiger Begriffe gewinnen lässt.

Gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung

Jedenfalls bei Tötungsdelikten bestehe für die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit eine solche gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung. Es sei vom Verurteilten weder dargetan noch aus sich heraus ersichtlich, dass diese den Vorsatzbegriff konkretisierende Rechtsprechung des BGH mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar sei. Zwar sei diese Rechtsprechung Kritik unterworfen, die im Ergebnis jedoch nur aufzeige, dass – auch vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots zulässige – Randunschärfen bei der Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bestehen. Damit umzugehen obliege der fachgerichtlichen Rechtsprechung und der Strafrechtswissenschaft und berühre die Gewährleistungen des Bestimmtheitsgebots nicht. Es sei auch bei der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG nicht Aufgabe des BVerfG, seine Auffassung von der zutreffenden oder überzeugenderen Auslegung des einfachen Rechts an die Stelle derjenigen der Fachgerichte zu setzen. Die angegriffenen Entscheidungen hätten sich in diese – dem aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleiteten Präzisierungsgebot entsprechende – ständige Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit eingefügt und würden damit den behaupteten Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nicht erkennen lassen. Beide Entscheidungen nähmen diese ständige Rechtsprechung zum Ausgangspunkt ihrer weiteren Prüfung. Dementsprechend hätten sowohl das LG als auch der BGH nicht nur auf die objektive Gefährlichkeit der Handlung abgestellt, sondern auf die wesentlichen festgestellten Umstände des Einzelfalls, die Rückschlüsse auf das Wissens- und das Willenselement der inneren Tatseite zulassen.

Verstoß gegen das Schuldprinzip

Ein Verstoß gegen das Schuldprinzip habe der Verurteilte ebenfalls nicht dargetan. Der Verurteilte zeige eine sich an den Maßstäben der Rechtsprechung orientierende Verletzung des Schuldgrundsatzes durch die Annahme eines Tötungsvorsatzes nicht auf. Das LG habe bei der Beweiswürdigung nicht nur auf die konkrete Gefährlichkeit der Fahrt abgestellt, sondern die Persönlichkeit des Verurteilten, seine Motivation für das maximale Beschleunigen nach der Kurvenausfahrt, seine grundsätzliche Einstellung zum Autofahren und seine Einschätzung des eigenen fahrerischen Könnens im Blick gehabt hat. Das LG sei damit dem verfassungsrechtlichen Gebot gerecht geworden, den Schuldspruch auf Feststellungen zur individuellen Vorwerfbarkeit der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat zu stützen.

III. Bedeutung für die Praxis

Schlussstrich

Die vom BVerfG umfassend begründete Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde im Ku’damm-Raser-Fall zieht zumindest innerstaatlich einen Schlussstrich unter die Diskussion, ob und wann es sich in den Fällen um Mord handelt oder ob „nur“ bewusste Fahrlässigkeit vorliegt und eine Strafbarkeit wegen Mordes nach § 211 StGB ausscheidet. Die Rechtsprechung der Fachgerichte wird sich also weiterhin auf die Revisionsentscheidung des BGH stützen können, was sie allerdings nicht davon enthebt, sorgfältige tatsächliche Feststellungen zu treffen und eine unvoreingenommene Wertung dieser Feststellungen vorzunehmen. Daran hat sich im Übrigen nichts durch das zwischenzeitliche Inkrafttreten des § 315d StGB geändert.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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