Beitrag

Straßenblockaden durch „Klimaaktivisten“ mittels Festklebens

1. Kleben sog „Klimaschützer“ bei einer Demonstration ihre Hände auf der Fahrbahn fest, liegt kein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) vor.

2. Die Bedeutung des Klimaschutzes und des Demonstrationsrechts in Art. 8 GG überwiegen die geringfügige Beeinträchtigung von Verkehrsteilnehmern bei solchen Aktionen.

3. Solches Verhalten ist daher nicht verwerflich gem. § 240 Abs. 2 StGB.

(Leitsätze des Gerichts)

AG Berlin-Tiergarten, Beschl. v. 5.10.2022303 Cs 237 Js 2450/22 – 202/22

I. Sachverhalt

Straßenblockade durch Festkleben

Die StA wirft der Angeschuldigten vor, gemeinsam mit 66 anderen gesondert verfolgten Personen die Kreuzung Frankfurter Tor/F. Allee im Rahmen einer politischen Demonstration „Öl sparen statt bohren“ der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ blockiert zu haben und dadurch über einen Zeitraum von ca. dreieinhalb Stunden erhebliche Verkehrsbeeinträchtigungen erzeugt zu haben sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte begangen zu haben. Insoweit wirft die StA der Angeschuldigten vor, sich zur Erschwerung der polizeilichen Räumungsmaßnahmen mit der rechten Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn festgeklebt zu haben, sodass zunächst ca. zehn Minuten lang der Klebstoff gelöst werden musste, bis es möglich gewesen sei, die Angeschuldigte von der Straße wegzuführen. Das AG hat den Erlass eines Strafbefehls mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt (§ 408 Abs. 2 S. 1 StPO).

II. Entscheidung

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Insoweit liege bereits der objektive Tatbestand nicht vor. Denn jedenfalls habe die Angeschuldigte durch das Festkleben der rechten Hand am Asphalt keine Gewalt i.S.v. § 113 Abs. 1 StGB ausgeübt. § 113 Abs. 1 StGB erfordere ein Widerstandleisten durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt. Dabei könne zwar auch das Erschweren polizeilicher Maßnahmen bereits Widerstandleisten im Sinne der Norm sein. Auch vermöge die psychisch vermittelte Gewalt, soweit auch ein physisch wirkendes Hindernis errichtet wird, im Einzelfall den Gewaltbegriff in § 113 StGB zu erfüllen. Wie aus sämtlichen obergerichtlichen Entscheidungen zur Gewaltfrage im Rahmen von § 240 StGB und von § 113 StGB hervorgeht, wonach die Grenze bloß passiver Gewalt und zivilen Ungehorsams zur Bejahung einer Gewalthandlung jedenfalls überschritten sein müsse, bedürfe es insoweit der Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Gewalthandlung müsse eine dienstliche Vollstreckungshandlung nicht unerheblich zu erschweren imstande sein. Dies sei hier bei einem lediglich zehn Minuten dauernden Einsatz von unschwer aufzutragenden Lösungsmitteln bereits nicht der Fall (wird ausgeführt). Das bloße Bestreichen der Finger und der übrigen Hand mit einem mit Lösungsmittel getränkten Pinsel oder Lappen seitens der Polizeibeamten vermittelt durch die Angeschuldigte unter den Gewaltbegriff des § 113 Abs. 1 StGB zu subsumieren, überschreite das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG.

Nötigung: Verwerflichkeit

Soweit der Angeschuldigten vorgeworfen wird, sie habe gegenüber den durch die Sitzblockade behinderten Fahrzeugführerenden eine verwerfliche Nötigungshandlung i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB begangen, sei dies den Akten nicht zu entnehmen. Vorauszuschicken sei, dass jede politische Demonstration lästig ist, aber für den demokratischen Rechtsstaat unerlässlich: Großdemonstrationen legten den Innenstadtverkehr oftmals für halbe Tage lahm, die Anwohner müssten für Stunden verschiedene Belästigungen dulden. Um politischen Demonstrationen strafrechtlich zu begegnen, müsse daher festgestellt werden, dass der gesetzliche Rahmen durch Demonstrationsteilnehmer verlassen wurde. Hier sei nicht nur keinerlei Gewalttätigkeit beobachtet, sondern im Gegenteil die Friedfertigkeit bzw. Kooperationswilligkeit sämtlicher beteiligter Demonstrationsteilnehmer ausdrücklich hervorgehoben worden. Im Übrigen sei auch im Rahmen von politischen Demonstrationen, welche zur Steigerung der (medialen) Aufmerksamkeit auf das Mittel von Blockaden zurückgreifen, der grundrechtliche Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG eröffnet, weshalb eine umfängliche Güterabwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB zu vollziehen ist (BVerfG NJW 2011, 3020 = VRR 2011, 187 = StRR 2011, 184 [Krawczyk]: „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“). Deshalb seien im Lichte von Art. 8 GG zum Schutz vor übermäßigen Sanktionen seitens des BVerfG besondere Anforderungen an die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel gem. § 240 Abs. 2 StGB aufgestellt worden. Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation seien insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen.

Abwägung

Die danach vorzunehmende Abwägung ergebe, dass die – nicht angemeldete – Protestdemonstration nicht verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB ist. Die von der Blockade betroffenen Zeugen der sog. zweiten Reihe seien nicht während des gesamten polizeilichen Einsatzes von der ersten polizeilichen Anforderung bis zur vollständigen polizeilichen Freigabe der Straße beeinträchtigt worden, sondern längstens für ca. zwei Stunden. Dass über diese Beschränkung der Bewegungsfreiheit für die Fahrer und Fahrerinnen der betroffenen Fahrzeuge hinaus besondere Grundrechtseinschränkungen erfolgten, sei nicht ersichtlich. „Blockadeaktionen“ würden durch die politische Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ medial angekündigt, zwar nicht konkret dahin, wann oder wo genau entsprechende Demonstrationen stattfinden, allerdings dahin, dass im Stadtgebiet oder auf Autobahnen bzw. an Autobahnabfahrten ab einem bestimmten Zeitpunkt entsprechende Aktionen geplant sind, so dass für Autofahrer grundsätzlich während der angekündigten Zeiten mit entsprechenden Beeinträchtigungen gerechnet werden konnte und musste und ggf. Möglichkeiten des Park-and-Ride oder der öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen waren. Aus Sicht der betroffenen Fahrzeugführer sei also jede Alternative in dem Moment, wo sie in dem Stau vor den Demonstranten standen, abhandengekommen. Es handele sich bei der Örtlichkeit allerdings um einen allgemein bekannten, stark frequentierten Verkehrsbereich, in dem auch ohne politische Aktionen regelmäßig mit Staus zu rechnen ist. Eine Behinderung notwendigen Verkehrs, namentlich des Verkehrs von Rettungsfahrzeugen sei durch die hier maßgebliche Blockade allerdings nicht gegeben. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Versammlungsort sowie den Betroffenen der Demonstration mit dem Ziel der Demonstration bestehe in gleich zweierlei Hinsicht. Ziel der Demonstration war es, die Aufmerksamkeit auf das dringliche Handeln im Rahmen des Klimawandels zu richten und konkret dahin, dass jede Form verschwenderischen Umgangs mit fossilen Brennstoffen zu verringern sei, anstatt weiterhin neue Ölquellen zu explorieren und etwa in der Nordsee oder durch Fracking weitere fossile Brennstoffe zu fördern („Öl sparen statt bohren“, so die Transparentaufdrucke, zu den Zielen der Demonstrationen und der dahinter stehenden Initiative im Übrigen: https://letztegeneration.de). Diese Thematik betreffe alle Menschen, da es um das Weltklima geht, also auch die durch die Blockade betroffenen Fahrzeugführer, für welche – so gesehen – die Demonstranten mit demonstrieren. Sie betreffe indes gerade auch die durch die Blockade betroffenen Fahrzeugführer insoweit, als diese als Nutzer von Pkw maßgeblich an dem Verbrauch von Öl beteiligt und damit Teil der Klimaproblematik sind und nicht – wie von den Demonstranten gefordert – zur Beschleunigung des Erreichens der Klimaziele auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen. Ein konkreter Zusammenhang der Demonstration mit den von der Demonstration Betroffenen liege mithin positiv wie negativ vor.

Klimawandel als übergreifendes Thema

Dass das von den Demonstranten angesprochene Thema des Klimawandels und der ökologisch notwendigen Wende im politischen Handeln ein dringendes globales Thema ist, sei wissenschaftlich nicht zu bestreiten. Dabei sei im Rahmen der hier gebotenen Abwägung nicht von Belang, inwieweit auch das AG die Ziele oder das Vorgehen der Demonstranten, namentlich der Angeschuldigten, für nützlich oder wertvoll erachtet; um aber das Gewicht aller demonstrationsspezifischen Umstände mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, sei auf die objektiv dringliche Lage bei gleichzeitig nur mäßigem politischem Fortschreiten unter Berücksichtigung namentlich der kommenden Generationen, wie dies auch durch das BVerfG erst kürzlich angemahnt werden musste (BVerfGE 157, 30 = NJW 2021, 1723), hinsichtlich des Demonstrationsanliegens das Augenmerk zu legen. Angesichts dessen sei das Verhalten der Beschuldigten nicht verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB. Die legitime Ausübung von Art. 8 GG seitens der Beschuldigten überwiege vorliegend bei Weitem die nur verhältnismäßig geringfügig eingeschränkten Grundrechtsbelange der durch die Demonstration behinderten Fahrzeugführer.

III. Bedeutung für die Praxis

Das hehre Ziel erlaubt die Mittel?

1. „Klimaaktivisten“ machen aktuell durch solche Aktionen und auch durch das Bewerfen von Gemälden in Museen mit Lebensmitteln auf ihr Anliegen aufmerksam. Hierzu sind zahlreiche Strafverfahren anhängig. Die Ablehnung des § 113 StGB ist noch nachvollziehbar, die des § 240 StGB nicht. Durch die „Zweite Reihe-Rechtsprechung“ (BGHSt 41, 182 = NJW 1995, 2463) ist geklärt, dass es sich um Gewalt i.S.d. § 240 StGB handelt. Die für die Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB erforderliche Abwägung gestaltet das AG zwar umfangreich, inhaltlich aber nicht überzeugend. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass die Ausübung von Gewalt von Art. 8 GG grundsätzlich nicht gedeckt ist (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 240 Rn 46 m.N.). Bei der insofern erforderlichen verfassungsrechtlichen Abwägung hat das Gericht unberücksichtigt gelassen, dass die Fortbewegungsmöglichkeit der Fahrzeugführer hier eben gerade nicht nur geringfügig eingeschränkt worden ist (wie etwa bei einem durchziehenden Demonstrationszug), sondern für über zwei Stunden und damit massiv. Dies war auch gerade durch das Mittel des Festklebens beabsichtigt und nicht bloße Nebenfolge der Demonstration, da es erheblicher Zeit bedarf, die Hände von der Fahrbahn zu lösen. Dies und der letzte Abschnitt des Beschlusses zeigen auch, dass der Beschluss erkennbar durch die eigene Grundhaltung geleitet worden ist. Es entsteht hier der Eindruck: Das hehre Ziel erlaubt die Mittel. Dass es auch anders geht, zeigt das Urteil einer anderen Abteilung des AG Tiergarten vom 30.8.2022 (422 Cs 231 Js 1831/222 – 11/22 jug; zitiert nach https://community.beck.de/2022/11/27/strassenblockaden-durch-klimaaktivist-inn-en-strafbare-noetigung-gegen-die-notwehr-geuebt-werden-kann), das wegen Nötigung in einem solchen Fall schuldig gesprochen hat.

Hausfriedensbruch für den Klimaschutz gerechtfertigt?

2. In ähnlicher Weise hat das AG Flensburg (Urt. v. 7.11.2022 – 440 Cs 107 Js 7252/22) einen Angeklagten vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen. Er begab sich mit ca. 20 Personen auf das Grundstück einer GmbH, auf dem Rodungsarbeiten zur Vorbereitung der Errichtung eines baurechtlich genehmigten Hotels erfolgen sollten. Die Leitsätze der Entscheidung lauten:

„1. Die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB sind im Licht der sich sowohl aus der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG ergebenden als auch auf die Grundrechte des Grundgesetzes stützende und damit wechselseitig normativ verstärkten Bedeutung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum Klimaschutz auszulegen.

2. Die mit den Folgen des Klimawandels verbundenen Risiken bilden aktuell eine gegenwärtige Gefahr i.S.d. § 34 StGB.

3. Unter verfassungsrechtlich gebotener Berücksichtigung der hohen Wertigkeit des Klimaschutzes sind im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit der Handlung i.S.d. § 34 StGB sowohl hohe Anforderungen an die objektiv gleiche Eignung von Handlungsalternativen zu stellen als auch dem Täter ein begrenzter Einschätzungsspielraum bei seiner ex ante erfolgenden Beurteilung einer gleichen Eignung einzuräumen.“

Das AG Flensburg stilisiert damit die Verhinderung des Rodens von Bäumen bei einem einzigen Bauprojekt zum erforderlichen Mittel des Klimaschutzes hoch, bei dem die Gefahr nicht anders abwendbar ist als durch straftatbestandsmäßiges Verhalten. Konsequenz wäre, dass das Verhalten des Angeklagten rechtmäßig und Notwehr des Hausrechtsinhabers dagegen unzulässig ist.

Die Obergerichte sind gefragt

4. Zielführender als die Versuche beider AG, einen Schuldspruch zu vermeiden, ist hier die Anwendung der §§ 153, 153a StPO in geeigneten Fällen. Es bleibt zu hoffen, dass die Obergerichte diesen Irrwegen entgegentreten.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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