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Anwalt des Vertrauens im Bußgeldverfahren

Auch in einem Bußgeldverfahren hat der Betroffene regelmäßig das Recht, sich durch einen Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu lassen.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Wuppertal, Beschl. v. 11.11.202226 Qs 230/22

I. Sachverhalt

Terminsverlegung abgelehnt

Das AG hat in einem Bußgeldverfahren die vom Verteidiger beantragte Terminsverlegung u.a. mit der Begründung abgelehnt, der Hauptverhandlungstermin sei bereits mehrfach verlegt worden. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte beim LG Erfolg.

II. Entscheidung

Zulässigkeit der Beschwerde

Das LG sieht die Beschwerde als zulässig an. Zwar sei eine ablehnende Verfügung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts im Hinblick auf § 305 Abs. 1 StPO i.d.R. unanfechtbar (Meyer-Goßner, StPO, 65. Aufl. 2022, § 213 Rn 8 m.w.N.). Sie sei jedoch nach h.M. ausnahmsweise dann statthaft, wenn eine in rechtsfehlerhafter Ermessensausübung getroffene Entscheidung für Verfahrensbeteiligte eine besondere selbstständige Beschwer bewirke, weil sie z.B. das Recht des Betroffenen beeinträchtige, sich des Beistands eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen, und die angefochtene Verfügung daher rechtswidrig sei. Dies mache der Betroffene vorliegend geltend, indem er vortrage, sein Recht auf die freie Wahl eines Verteidigers werde durch die Ablehnung der Terminsverlegung eingeschränkt.

Begründetheit der Beschwerde

Die Beschwerde hatte dann auch in der Sache Erfolg. Auch in einem Bußgeldverfahren habe der Betroffene regelmäßig das Recht, sich durch einen Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu lassen. Diese Gewährleistung sei Ausdruck seines von Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Anspruchs auf ein faires Verfahren (BayObLG, Beschl. v. 4.12.2020 – 201 ObOWi 1517/20; KG NZV 2003, 433 = VRS 105, 223; OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.9.2020 – (1 B) 53 Ss-OWi 314/20, VRR 12/2020, 20). Die Terminierung sei zwar Sache der Vorsitzenden. Die Vorsitzende sei aber gehalten, über Terminsverlegungsanträge nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (u.a. BayObLG und OLG Brandenburg, jeweils a.a.O.). In die Abwägung einzustellen seien insbesondere die Bedeutung der Sache, die Lage des Verfahrens bei Eintritt des Verhinderungsfalles, der Anlass, die Voraussehbarkeit und die voraussichtliche Dauer der Verhinderung, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und damit zusammenhängend die Fähigkeit des Betroffenen, sich selbst zu verteidigen, und das Gebot der Verfahrensbeschleunigung.

Ermessensfehler

Gemessen an diesen Anforderungen leide die AG-Entscheidung an einem Ermessensfehler. Denn das AG habe sich bei Ablehnung der Terminsverlegung maßgeblich darauf gestützt, dass der Termin bereits mehrfach verlegt worden sei und der Betroffene einen anderen Verteidiger wählen könne. Vorliegend sei der Betroffene durch den Bußgeldbescheid nicht nur mit einem Bußgeld, sondern auch mit einem Punkt im Fahreignungsregister belegt worden, was keine ganz unerhebliche Sanktion darstelle. Zudem drohe dem Betroffenen hierdurch der (erneute) Verlust der Fahrerlaubnis, da er bereits mehrfach einschlägig vorbelastet sei. In dieser Lage könne dem Betroffenen nicht verwehrt werden, sich von dem Verteidiger seines Vertrauens, der ihn bereits seit längerer Zeit vertrete, vertreten zu lassen. Auch sei keine auf Prozessverschleppung ausgerichtete Verteidigungsstrategie erkennbar, da der Verteidiger ausdrücklich eine telefonische Terminsabsprache angeboten habe, das AG diese Möglichkeit jedoch nicht in Betracht gezogen habe. Eine Verjährung drohe – auch vor dem Hintergrund einer nicht näher dargelegten „angespannten Terminslage“ des AG – ebenfalls noch nicht, da eine absolute Verjährung erst im Februar 2024 eintreten könne. Da die Vorsitzende somit von dem ihr zustehenden pflichtgemäßen Ermessen keinen fehlerfreien Gebrauch gemacht habe, seien der angefochtene Beschluss und der Hauptverhandlungstermin vom 1.12.2022 aufzuheben. Da vorliegend aufgrund der Terminskollision des Wahlverteidigers nur eine Aufhebung bzw. Verlegung des Termins vom 1.12.2022 in Betracht komme, könne die Kammer als Beschwerdegericht diese Entscheidung auch selbst treffen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.).

III. Bedeutung für die Praxis

Allgemeinplätze

Nichts wesentlich Neues, aber: Der Beschluss ruft in Erinnerung, dass der Betroffene auch im Bußgeldverfahren grundsätzlich Recht auf Verteidigung durch einen Anwalt des Vertrauens hat und er sich – von Ausnahmen abgesehen – nicht mit der Ablehnung von Terminsverlegungsanträgen zufrieden geben muss (vgl. über die o.a. zitierte Rechtsprechung hinaus auch noch KG NZV 2003, 433 = VRS 105, 223; OLG Braunschweig VRR 2009, 232 = StRR 2009, 432; [inzidenter] OLG Hamm VRR 2005, 275; VA 2015, 159; OLG Karlsruhe NZV 2006, 217 = VRS 110, 294; OLG München NJW 2006, 711 [Ls.] = NStZ-RR 2006, 20; zu allem auch Burhoff, in: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2021, Rn 4421). Das gilt vor allem, wenn die Ablehnung – wie hier – mit Allgemeinplätzen begründet worden ist.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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