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Praxisforum 2022_12: Anwaltsvergütung

Erstattung der Aktenversendungspauschale

Die Aktenversendungspauschale Nr. 9003 VV GKG ist eine notwendige Auslage des Verteidigers, die dem Betroffenen/Beschuldigten im Falle des Freispruchs aus der Staatskasse zu erstatten ist. Es handelt sich nicht um eine „Servicepauschale“, die der Verteidiger dafür zahlen muss, dass er sich eine Akteneinsicht bei der Behörde oder eine Mitnahme der Akte erspart.

(Leitsatz des Verfassers)

VerfGH Berlin, Beschl. v. 18.5.202291/21

I. Sachverhalt

Das Bußgeldverfahren gegen die Betroffene ist vom Polizeipräsidenten eingestellt worden. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen sind vom AG letztlich der Landeskasse auferlegt worden. Im Rahmen der Kostenerstattung hat der Verteidiger auch die Erstattung der Aktenversendungspauschale in Höhe von 12 EUR zuzüglich Umsatzsteuer beantragt. Deren Erstattung hat der Polizeipräsident abgelehnt. Das AG hat den Antrag der Betroffenen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Aktenversendungspauschale könne nicht erstattet werden, weil es sich um eine Zahlung für eine Serviceleistung an den Rechtsanwalt handele, der sich damit eine kostenlose, aber zeitaufwändige Akteneinsicht bei der Bußgeldstelle erspare. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Betroffenen, mit der diese geltend gemacht hat, die Verweigerung der Erstattung der Aktenversendungspauschale sei willkürlich, hatte beim VerfGH Berlin Erfolg.

II. Entscheidung

Der VerfGH schließt sich der Auffassung der Betroffenen an. Die Ablehnung der Erstattung der Auslagenversendungspauschale verletze Art. 10 Abs. 1 VvB in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Ein Richterspruch verstoße gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar seien und sich daher der Schluss aufdränge, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruhe. Dies sei etwa der Fall, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet werde (BVerfG, Beschl. v. 13.10.2015 – 2 BvR 2436/14 und v. 24.9.2014 – 2 BvR 2782/10).

So liege der Fall hier. Die mit der Verfassungsbeschwerde allein angegriffene Versagung der Erstattung der Aktenversendungspauschale verletze das Grundrecht der Betroffenen auf eine willkürfreie Entscheidung gemäß Art. 10 Abs. 1 VvB. Der amtsgerichtliche Beschluss sei insoweit, gemessen an seiner Begründung, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar. Die Entscheidung über die Erstattung der Aktenversendungspauschale haben sich daran orientieren müssen, ob es sich dabei um Auslagen der Betroffenen in dem genannten Verfahren handelte und ob diese notwendig waren. Das ergebe sich aus der amtsgerichtlichen Kostengrundentscheidung, die die Staatskasse zur Tragung der notwendigen Auslagen der Betroffenen in dem gegen sie geführten Ordnungswidrigkeitenverfahren verpflichtet habe. Zu diesem der Entscheidung über die Erstattung der Aktenversendungspauschale zugrunde zu legenden Maßstab weise die Begründung des AG, die Aktenversendungspauschale sei eine Servicepauschale, die der Verteidiger dafür bezahle, dass er sich eine Akteneinsicht bei der Behörde oder eine Mitnahme der Akte erspare, keinen sachlichen Bezug mehr auf. Weder nehme das Argument des AG der Aktenversendungspauschale offenkundig die Eigenschaft als Auslage der Betroffenen, noch lasse es deren Notwendigkeit offensichtlich entfallen. Eine Konkretisierung des abstrakten rechtlichen Entscheidungsmaßstabes, die einen sachlichen Bezug zwischen den Begriffen Auslage und Notwendigkeit einerseits und der Begründung des Beschlusses herstellen könnte, habe das AG nicht ausgeführt.

Die verfahrensgegenständliche Aktenversendungspauschale könne als Auslage der Betroffenen angesehen werden. Auslagen seien Vermögenswerte, d.h. in Geld messbare Aufwendungen eines Verfahrensbeteiligten, die bei der Rechtsverfolgung bzw. der Geltendmachung prozessualer Rechte entstanden seien. Aufwendungen eines Dritten seien als Auslagen des Beteiligten anzusehen, wenn ihm der Beteiligte zum Ersatz verpflichtet sei (vgl. Gieg, in: KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 464a Rn 6). Die Verpflichtung zur Zahlung der Aktenversendungspauschale sei gegenüber dem Verteidiger der Betroffenen durch deren Verteidigung gegen den verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeitenvorwurf entstanden. Die Betroffene sei ihrem Verteidiger insoweit auch aus dem mit ihm bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag zum Ersatz verpflichtet. Die Aktenversendungspauschale könne auch als notwendige Auslage angesehen werden. Notwendig sei eine Auslage, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder zur Geltendmachung prozessualer Rechte erforderlich war (vgl. Gieg, a.a.O.). Das könne schon dann anzunehmen sein, wenn der vernünftige und besonnene Verfahrensbeteiligte sie für geboten halten durfte. Angesichts des Umstandes, dass die einzige andere Möglichkeit, Akteneinsicht zu erlangen, vorliegend eine Einsichtnahme in die elektronisch geführte Verfahrensakte an einem Bildschirm in den Räumen des Polizeipräsidenten in Berlin gewesen sei, dürfte dies – so der VerfGH – auch naheliegen. Denn diese Möglichkeit der Akteneinsicht stelle sich gegenüber der von dem Verteidiger der Betroffenen erbetenen Übersendung eines Ausdrucks der Verfahrensakte zweifellos als die deutlich zeit- und kostenaufwändigere Alternative dar.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Ich gehe davon aus, dass mehr als 20 Jahre nach Einführung der Aktenversendungspauschale in das KV des GKG die damit zusammenhängenden Fragen, über deren Beantwortung früher gestritten worden ist, heute keine Probleme machen und geklärt sind. Ansonsten mag man dazu in einem einschlägigen RVG- oder GKG-Kommentar nachlesen.

2. Im Übrigen: Man schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und fragt sich (zumindest ich), ob das eigentlich ernst gemeint ist, eben mehr als 20 Jahre nach Einführung der Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG dem Verteidiger bzw. seinem Mandanten in den Fällen der angeordneten Kostenerstattung die Erstattung der Aktenversendungspauschale zu verweigern mit der Begründung: Servicepauschale. Denn schon seit Langem ist in der Rechtsprechung die früher umstrittene Frage, ob der Verteidiger die ihm entstandenen Kosten im Innenverhältnis von seinem Mandanten ersetzt verlangen kann und ob die Kosten dem Mandanten im Fall des Freispruchs zu erstatten sind, geklärt (zu allem auch Volpert, RVGreport 2015, 442, 447 f.). Insoweit gilt: Die Pauschale nach Nr. 9003 KV GKG gehört nicht zu den allgemeinen Geschäftskosten des Verteidigers mit der Folge, dass sie durch die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG abgegolten wäre (BGH NJW 2011, 3041 = AGS 2011, 262 = RVGreport 2011, 215 = DAR 2011, 356 = VRR 2011, 279 m.w.N.; KG AGS 2009, 198 = RVGreport 2009, 154 = JurBüro 2009, 93; OLG Düsseldorf StV 2003, 177; LG Dresden RVGreport 2010, 454 LG Potsdam NStZ-RR 2013, 31; LG Zweibrücken RVGreport 2012, 218; Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 286 ff. und Rn 1124 ff., jew. m.w.N.). Das bedeutet: Der Wahlverteidiger kann die ihm insoweit entstandenen Kosten im Innenverhältnis von seinem Mandanten ersetzt verlangen (BVerfG NJW 1995, 3177; BGH a.a.O.; LG Potsdam NStZ-RR 2013, 31; LG Zweibrücken RVGreport 2012, 218; vgl. a. noch AG Hamburg-St. Georg AGS 2014, 52 = RVGreport 2014, 433 [Ersatzpflicht des Schädigers]). Ist der Mandant rechtsschutzversichert, muss die Rechtsschutzversicherung ihn von diesen Kosten freihalten (BGH NJW 2011, 3041 = AGS 2011, 262 = RVGreport 2011, 215 = DAR 2011, 356 = VRR 2011, 279 m.w.N.). Teil 7 Vorbem. 7 Abs. 1 VV RVG ist auf die Aktenversendungspauschale nicht anwendbar (OLG Düsseldorf AGS 2002, 61). Wird der Mandant freigesprochen, kann er Erstattung aus der Staatskasse verlangen (u.a. LG Ravensburg AnwBl 1995, 153; AG Leipzig NStZ-RR 2000, 319; SG Fulda RVGreport 2016, 386; vgl. aber auch AG Lemgo RVGreport 2014, 238; VG Regensburg RVGreport 2015, 198). Der Pflichtverteidiger kann die von ihm gezahlte Aktenversendungspauschale gem. § 46 RVG als Auslagen ersetzt verlangen (s.a. AG Köln StraFo 2013, 526; AGS 2014, 103; AG Geesthacht AnwBl 1996, 476; AG Leipzig NStZ-RR 2000, 319). Die insoweit teilweise vertretene a.A. ist durch die Entscheidung des BGH v. 6.4.2011 (IV ZR 232/08, NJW 2011, 3041 = AGS 2011, 262 = RVGreport 2011, 215 = DAR 2011, 356 = VRR 2011, 279 m.w.N.) überholt.

Ich meine, das sollte heute auch zum Allgemeinwissen eines Amtsrichters gehören und man sollte an der Stelle nicht wieder ein Fass aufmachen, das durch die obergerichtliche Rechtsprechung seit Längerem geschlossen ist. Denn das führt nur zu an sich unnötigen Rechtsmitteln, die erheblichen Zeitaufwand verursachen – und Zeit hat die Justiz ja angeblich nicht – und auch Kosten, die erheblich über dem Betrag liegen, um den gestritten wird, nämlich 12 EUR.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

„Verhandeln“ im Hafttermin

Für das Entstehen der Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG ist erforderlich, dass der Verteidiger im Termin für den Beschuldigten in der Weise tätig geworden sein muss, dass er Erklärungen oder Stellungnahmen abgegeben oder Anträge gestellt hat, die dazu bestimmt waren, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Düsseldorf, Beschl. v. 25.8.202217 Qs-110 Js 6494/20-22/22

I. Sachverhalt

Der (Pflicht-)Verteidiger hat am 4.7.2020 an einem Termin teilgenommen, in dem gegen den Beschuldigten ein Haftbefehl erlassen und anschließend verkündet worden ist. Der Beschuldigte hat Angaben zur Person, aber nicht zur Sache gemacht. Der Rechtsanwalt ist in dem Termin zum Pflichtverteidiger des Beschuldigten bestellt worden. Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat der Verteidiger dann nach Einstellung des Verfahrens auch eine Vernehmungsterminsgebühr nach Nr. 4103 Ziff. 3 VV RVG geltend gemacht. Diese ist dann auf die Erinnerung des Verteidigers durch das AG festgesetzt worden (vgl. AG Neuss, Beschl. v. 18.5.2022 – 6 Ds-110 Js 6494/20-314/20, AGS 2022, 313). Gegen die Festsetzung der Vernehmungsterminsgebühr hat der Bezirksrevisor Beschwerde eingelegt, die beim LG Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Das LG hat das Entstehen der Vernehmungsterminsgebühr verneint, da in dem Anhörungstermin am 4.7.2020 nicht über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft verhandelt worden sei. Sinn der Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG sei es demnach, den Zeitaufwand desjenigen Anwalts zu vergüten, der anlässlich eines Haftprüfungstermins oder Haftbefehlserörterungstermins sachbezogene Stellungnahmen abgibt und damit zur Verfahrensförderung und -beschleunigung beiträgt (vgl. LG Düsseldorf, Beschl. v. 23.8.2013 – 4 KLs 24/12; Beschl. v. 25.3.200 – 1 Qs 9/04).

Das bedeute, dass der Verteidiger im Termin für den Beschuldigten in der Weise tätig geworden sein müsse, dass er Erklärungen oder Stellungnahmen abgegeben oder Anträge gestellt habe, die dazu bestimmt waren, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden (vgl. KG, Beschl. v. 31.10.2008 – (1) 2 StE 6/07 – 6 (6/07)). Insofern begründe insbesondere der Antrag des Rechtsanwalts, als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden, keine Verhandlung im gebührenrechtlichen Sinn (vgl. LG Düsseldorf, Beschl. v. 23.8.2013 – 4 KLs 24/12). Ein „Verhandeln“ liege des Weiteren auch nicht schon dann vor, wenn der Verteidiger dem Angeklagten bei dessen Vorführung vor dem Haftrichter lediglich anrät, keine Angaben zur Sache zu machen, und dieser hierauf schweigt. Denn auch in einem solchen Fall erschöpfe sich der Termin nach außen hin in der bloßen Abfolge der ohnehin gesetzlich vorgesehenen Förmlichkeiten eines Vorführungstermins gem. § 128 StPO (vgl. OLG Jena, Beschl. v. 15.10.2013 – 1 Ws 344/13).

Zwar habe hier zu Beginn des Vorführungstermins gem. § 128 StPO noch kein Haftbefehl vorgelegen, sondern ein solcher sei erst im Verlaufe des Termins erlassen worden, nachdem der Beschuldigte nach Belehrung keine Angaben zur Sache gemacht hatte. Allein dies führe jedoch in Ermangelung von Erklärungen oder Stellungnahmen zur Anordnung der Untersuchungshaft nicht zu einem Verhandeln i.S.d. Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG. Etwas anderes folge – so das LG – auch nicht aus der dienstlichen Stellungnahme des beim Vorführungstermin gegenwärtigen Richters, dass in seinen Terminen üblicherweise eine kurze Erörterung zum Vorliegen des Haftgrundes erfolge und er davon ausgehe, dass dies auch in dem Vorführungstermin am 4.7.2020 der Fall gewesen sei. Denn selbst wenn eine solche Erörterung in dem Termin entgegen dem Protokoll stattgefunden hätte, wäre der Beschuldigte insofern lediglich über den Ermittlungsstand und die einen Haftbefehl begründenden Umstände informiert worden. Ein gebührenauslösender, auf die Vermeidung der Untersuchungshaft gerichteter Erörterungsbeitrag des Rechtsanwalts sei damit jedoch nicht dargetan. Da der Beschuldigte auf Anraten des Beschwerdegegners vielmehr keine Angaben zur Sache gemacht habe, würde auch eine derartige Erörterung durch das Gericht die Gebühr gem. Nr. 4102 VV RVG in Ermangelung einer Tätigkeit des Verteidigers nicht auslösen. Selbiges gelte für die Angaben des Rechtsanwalts, dass in dem Termin die Frage der Haftfähigkeit des Beschuldigten in Bezug auf dessen Suchterkrankung und der Voraussetzungen der Fluchtgefahr diskutiert worden seien. Dieser Vortrag, der bereits im Widerspruch zu dem Protokoll des Anhörungstermins stehe, lasse selbst bei Wahrunterstellung nicht erkennen, inwiefern der Rechtsanwalt dabei Erklärungen oder Stellungnahmen abgegeben haben soll, die dazu bestimmt waren, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden. Auch das Vorbringen des Rechtsanwalts, dass dem Vorführungstermin ein mittels Dolmetscherin geführtes ausführliches Vorgespräch mit dem Beschuldigten vorangegangen sei und er daher anlässlich des Vorführungstermins insgesamt mehr als zwei Stunden im Gericht verbracht habe, sei nicht geeignet, einen Anspruch auf eine Terminsgebühr gem. Nr. 4102 VV RVG zu begründen. Denn dieses Gespräch fand bereits vor Aufruf zu dem Vorführungstermin am 4.7.2020 und somit nicht in einem Termin, in dem über die Anordnung der Untersuchungshaft verhandelt wurde, statt. Der Gebührentatbestand der Nr. 4102 VV RVG knüpfe an eine Aktivität an, die gezielt auf die gerichtliche Entscheidungsfindung einwirken soll.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Es gibt Entscheidungen, bei denen man nach dem Lesen verärgert ist. So ist es hier und man fragt sich, was das eigentlich soll. Da bestellt das AG an einem Samstag einen Rechtsanwalt zu einem „Termin“, wofür der Verteidiger insgesamt mehr als drei Stunden (Frei-)Zeit aufwendet, und wenn es dann an das Bezahlen der Leistung geht – nach dem anwendbaren alten Recht geht es um den fürstlichen Lohn von 166 EUR gesetzliche Gebühren –, sträubt sich die Staatskasse: erst der Rechtspfleger beim AG, der dann vom AG zurückgepfiffen wird, das die Gebühr festsetzt. Das lässt dann aber natürlich den Bezirksrevisor als Hüter der Staatskasse nicht ruhen und er legt Beschwerde ein, für die er dann beim LG ein offenes Ohr findet. Hat eigentlich mal jemand ausgerechnet, was dieser Irrsinn für Kosten verursacht? Mit Sicherheit mehr als die 166 EUR, die man dem Verteidiger nicht geben will.

2. Davon abgesehen ist die Entscheidung m.E. aber auch falsch, um nicht zu sagen: gebührenrechtlicher Nonsens. Das LG macht zwar viel Worte, warum die Gebühr nicht festzusetzen ist, es übersieht aber, dass es sich bei den von ihm angeführten Fällen um andere Sachverhalte gehandelt hat, die entschieden worden sind. Ob immer richtig, mag hier dahinstehen. Das LG übersieht auch, dass sich die Rechtsprechung einig ist, dass für das Entstehen der Gebühr Nr. 4102 Ziff. 3, 4013 VV RVG mehr geschehen muss als die reine Verkündung des Haftbefehls, da Sinn und Zweck des Erfordernisses des „Verhandelns“ ist, die Gebühr nicht für bloße Haftbefehlsverkündungen entstehen zu lassen. Ausreichend dafür ist es, wenn vom Verteidiger für den Beschuldigten zu Fragen im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft Stellung genommen worden ist. Anträge müssen nicht gestellt werden. Es reichen Erklärungen oder Stellungnahmen, die dazu bestimmt waren, die Untersuchungshaft abzuwenden (vgl. u.a. auch die vom LG zitierten Entscheidung KG, Beschl. v. 31.10.2008 – (1) 2 StE 6/07 – 6 (6/07)). Und die haben hier mit den vom Pflichtverteidiger erwähnten diskutierten „Fragen der Haftfähigkeit des Beschuldigten in Bezug auf dessen Suchterkrankung und der Voraussetzungen der Fluchtgefahr“ vorgelegen. Diese ergeben sich zwar nicht aus dem Protokoll. Die eingeholte Stellungnahme des im Hafttermin agierenden Richters deutet aber in die Richtung. Und die Angaben des Verteidigers hat das LG nicht widerlegt, jedenfalls sagt es nicht ausdrücklich, dass der Verteidiger lügt. Im Übrigen: Der Termin hat längere Zeit gedauert und in ihm ist dann der Haftbefehl erlassen und dann verkündet worden. Was – liebes Landgericht – muss denn noch mehr in einem „Hafttermin“ geschehen, um ein „Verhandeln“ anzunehmen? Mir fällt da unter Berücksichtigung dessen, was nach den Ausführungen auch des LG sonst noch im Termin geschehen ist, so ganz viel nicht mehr ein.

3. Für (Pflicht-)Verteidiger muss diese Entscheidung Anlass sein, in „Haftterminen“ genau darauf zu achten, dass alles, aber auch wirklich alles, was in Bezug auf die Anordnung/Fortdauer der Untersuchungshaft gesagt/beantragt wird, protokolliert wird. Zudem wird man, um das Entstehen der Gebühr sicher zu machen und dem LG Düsseldorf Genüge zu tun, einen Antrag im Hinblick auf Anordnung/Fortdauer der Untersuchungshaft stellen (müssen), der dann auf jeden Fall auch protokolliert wird. Die im Zweifel tätigen Ermittlungsrichter wird der dadurch entstehende zeitliche Mehraufwand freuen. Ihren Dank können sie beim LG Düsseldorf und bei dem dort tätigen Bezirksrevisor, der der Staatskasse immerhin 166 EUR netto erspart hat, abstatten.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Vergütung des vertretungsweise für einen Haftprüfungstermin bestellten Rechtsanwalts

Für den nur für die Wahrnehmung eines Haftprüfungstermins bestellten Pflichtverteidiger entsteht nicht nur die Terminsgebühr. Es entstehen auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Berlin-Tiergarten, Beschl. v. 14.10.2022278 Ds 110/22

I. Sachverhalt

Dem Beschuldigten wurde aufgrund eines Haftbefehls des AG antragsgemäß Rechtsanwalt R1 gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet. Aufgrund eines Haftprüfungsantrags des Verteidigers R1 beraumte das AG einen Haftprüfungstermin auf den 28.7.2022, 10.00 Uhr, an, welcher mit dem Verteidigerbüro abgesprochen worden war. Zu dem Haftprüfungstermin am 28.7.2022 erschien Rechtsanwalt R2, der erklärte, Rechtsanwalt R1 sei verhindert, und der seine Beiordnung für den Termin beantragte. Daraufhin bestellte das AG Rechtsanwalt R2 gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO für den Haftprüfungstermin am 28.7.2022 zum Pflichtverteidiger und ordnete zugleich an, dass die Beiordnung mit dem Termin ende. Eine Anordnung, wonach Gebühren und Auslagen nicht doppelt entstehen, erfolgte nicht, auch gab Rechtsanwalt R2 keine entsprechende Verzichtserklärung ab. Im Rahmen des Haftprüfungstermins, dem gemäß Vortrag des Verteidigers Rechtsanwalt R2 eine Akteneinsicht durch ihn vorangegangen war, beantragte Rechtsanwalt R2 die Aufhebung, hilfsweise die Außervollzugsetzung des Haftbefehls, begründete diesen Antrag mit mehreren Argumenten und überreichte eine Zustellungs- und Ladungsvollmacht für Rechtsanwalt R1. Das AG hat Haftfortdauer beschlossen.

Rechtsanwalt R2 beantragte sodann, die bei ihm entstandenen Gebühren und Auslagen festzusetzen. Im Einzelnen machte er eine Grundgebühr gemäß Nr. 4101 VV RVG, eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4105 VV RVG, eine Terminsgebühr gemäß Nr. 4103 VV RVG sowie eine Postentgeltpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG zuzüglich Umsatzsteuer geltend. Die Rechtspflegerin beim AG hat die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr sowie die Auslagenpauschale zuzüglich der jeweils hierauf entfallenden Umsatzsteuer abgesetzt. Gegen diese Absetzung legte Rechtsanwalt R2 Erinnerung ein, die beim AG Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Das AG hat auch die Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4105 und die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG festgesetzt. Zwar teile das Gericht die Auffassung, dass ein bloßer sogenannter „Terminsvertreter“ im Rahmen eines Hauptverhandlungstermins für den Fall, dass der eigentliche originäre Verteidiger verhindert sei, in der Regel lediglich die Terminsgebühr geltend machen könne, nicht aber eine Grundgebühr sowie eine Verfahrensgebühr sowie eine Postpauschale nebst Umsatzsteuer. In der Praxis werde dies in aller Regel abgesichert durch eine entsprechende Verzichtserklärung des Terminsvertreters und eine entsprechende Einschränkung in dem ergehenden Beiordnungsbeschluss. Hier gehe es jedoch um die Wahrnehmung eines Haftprüfungstermins. Anders als bei einer meist auf einen Terminstag einer mehrtätigen Hauptverhandlung oder auch nur eine kurze Zeitspanne eines mehrstündigen Hauptverhandlungstermins beschränkten Vertretung des originären Verteidigers, bei welcher der Terminsvertreter in aller Regel lediglich mit einem sehr begrenzten Prozessstoff konfrontiert werde, ohne dass es einer gründlichen und umfassenden Einarbeitung in die Sache bedürfe, zumal essentielle Dinge in solchen lediglich mit einem Terminsvertreter besetzten Hauptverhandlungsterminen in der Praxis – in ausdrücklicher oder stillschweigender Übereinkunft mit den übrigen Verfahrensbeteiligten – in der Regel nicht erörtert werden, müsse der für einen Haftprüfungstermin beigeordnete Verteidiger den gesamten Akteninhalt beherrschen, um Stellung nehmen zu können sowohl zum Bestehen eines dringenden Tatverdachts gegen den Mandanten als auch zum Vorliegen eines Haftgrundes (vgl. zutreffend LG Magdeburg AGS 2018, 341 = RVGreport 2018, 257 = StRR 5/2018, 24 = StraFo 2018, 314). Eine solche gründliche Einarbeitung in den Fall sei durch die Terminsgebühr nach Nr. 4103 VV RVG ersichtlich nicht abgegolten. Vielmehr sei für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall die Grundgebühr – hier mit Zuschlag gemäß Nr. 4101 VV RVG – und für die über die bloße Terminsteilnahme hinausgehende Tätigkeit im (Ermittlungs-)Verfahren – u.a. vorliegend die umfassende Akteneinsichtnahme – die Verfahrensgebühr – hier mit Zuschlag gemäß Nr. 4105 VV RVG – vorgesehen.

Das Gericht verkenne dabei nicht, dass die Beiordnung vorliegend auf entsprechenden Antrag des Rechtsanwalts R2 ausdrücklich lediglich für den Haftprüfungstermin und zeitlich auf diesen beschränkt erfolgte. Jedoch sei auch ein Pflichtverteidiger, der nur für einen Tag bzw. einen Termin bestellt sei, für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut, sodass auch angesichts der zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als bloße Einzeltätigkeit – hier nach Nr. 4103 VV RVG – nicht in Betracht kommt (vgl. LG Magdeburg AGS 2021, 427).

Das AG verweist darauf, dass diese Ansicht Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen könne (vgl. dazu wiederum LG Magdeburg AGS 2018, 341 = RVGreport 2018, 257 = StRR 5/2018, 24 = StraFo 2018, 314), denen jedoch durch Terminsabsprachen mit dem originär bestellten Verteidiger und im Falle von dessen dann doch kurzfristig eintretender Verhinderung ggf. nach Möglichkeit mit einer Terminsverlegung begegnet werden könne, soweit nicht eine Beiordnung des Vertreters für den Termin nur mit der Maßgabe, dass Gebühren nicht mehrfach entstehen, möglich sein sollte, etwa weil der Vertreter des originär bestellten Verteidigers nicht zu einer entsprechenden Verzichtserklärung bereit ist und soweit nicht der Beschuldigte auf die Teilnahme eines Verteidigers an dem Haftprüfungstermin verzichtet, was er durchaus tun könne. Denn die Anwesenheit des Verteidigers sei nur erforderlich, wenn der Beschuldigte nicht vorgeführt worden sei (vgl. dazu § 118a Abs. 2 S. 3 StPO und Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 118b Rn 3). Soweit jedoch ein Haftprüfungstermin mit dem originär bestellten Verteidiger nicht möglich sein sollte und für den Haftprüfungstermin ein anderer Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet werde, sei die Auslösung aller Gebührentatbestände wie für den originären Verteidiger hinzunehmen (vgl. LG Magdeburg a.a.O.).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Eine schön begründete Entscheidung zu der (umstrittenen) Frage, welche Gebühren für den Terminsvertreter entstehen. Dabei soll hier die Frage dahinstehen, ob die Ansicht des AG betreffend den Terminsvertreter für die Hauptverhandlung zutreffend ist (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 6. Aufl. 2021, Teil A). Es ist jedenfalls für den hier entschiedenen Fall des Terminsvertreters im Haftprüfungstermin wohl herrschende Meinung in der Rechtsprechung, dass dieser nicht nur die Terminsgebühr, sondern auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr verdient. Denn er ist „voller Verteidiger“, der sich in das Verfahren einarbeiten muss, wenn er den Mandanten im Termin ordnungsgemäß vertreten will (so LG Aachen, Beschl. v. 20.102.2020 – 60 Qs 47/20; LG Magdeburg AGS 2018, 341 = RVGreport 2018, 257 = StRR 5/2018, 24 = StraFo 2018, 314; AGS 2021, 427; AG Halle (Saale) AGS 2022, 311; a.A. OLG Celle RVGreport 2019, 17 = StraFo 2018, 534 = JurBüro 2018, 580 [zum alten Recht]; LG Leipzig RVGreport 2019, 338). Dem ist nichts hinzuzufügen.

2. Das letzte Wort wird in dieser Sache allerdings noch nicht gesprochen sein. Denn die Bezirksrevisorin beim KG hatte (natürlich) beantragt, die Erinnerung zurückzuweisen. Sie wird im Zweifel ihre „Niederlage“ nicht hinnehmen und, da die Sache beschwerdefähig ist, Beschwerde einlegen, so dass sich dann demnächst zumindest das LG Berlin, wenn nicht gar auf eine zugelassene weitere Beschwerde das KG äußern wird. Man darf gespannt sein.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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