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Wiedereintritt in die Hauptverhandlung nach Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs

Die Verkündung des ein Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschlusses stellt für sich gesehen keinen Wiedereintritt in die Hauptverhandlung i.S.d. § 258 StPO dar. Anderes gilt allenfalls dann, wenn der Beschluss über die bloße Zurückweisung hinaus einen Bezug zur Sachentscheidung aufweist, weil sich in ihm die Bewertung einer potenziell urteilsrelevanten Frage widerspiegelt. Nicht maßgeblich ist hingegen, ob der Befangenheitsantrag als unzulässig oder unbegründet behandelt wird.

(Leitsätze des Gerichts)

BGH, Urt. v. 24.2.20223 StR 202/21

I. Sachverhalt

Beschlussverkündung nach dem letzten Wort

Nach Gewährung des letzten Wortes verkündete der Vorsitzende den Beschluss über die Zurückweisung eines zuvor gestellten Befangenheitsgesuchs des Angeklagten. Das letzte Wort wurde ihm danach nicht mehr gewährt. Die hierauf gestützte Verfahrensrüge hat der BGH als unbegründet erachtet.

II. Entscheidung

Grundlagen zum Wiedereintritt in die Hauptverhandlung

Mit der Zurückweisung des Befangenheitsantrags als unbegründet sei das LG nicht wieder in die Hauptverhandlung eingetreten. Nach einem Wiedereintritt in die Verhandlung müsse das Gericht die Möglichkeit zu umfassenden Schlussvorträgen und das letzte Wort erneut gewähren, auch wenn er nur einen unwesentlichen Aspekt oder einen Teil der Anklagevorwürfe betrifft, weil jeder Wiedereintritt den vorangegangenen Ausführungen ihre rechtliche Bedeutung als Schlussvorträge und letztes Wort nimmt (BGH NStZ-RR 2001, 372). Ein Wiedereintritt in die Verhandlung könne durch eine ausdrückliche Erklärung des Gerichts oder stillschweigend erfolgen. Für Letzteres genüge jede Betätigung, in welcher der Wille des Gerichts, mit der Untersuchung und der Aburteilung fortzufahren, erkennbar zutage tritt, auch wenn das Gericht darin keine Wiedereröffnung der Verhandlung erblickt oder diese nicht beabsichtigt. Hiernach werde insbesondere durch Prozesshandlungen wieder in die Verhandlung eingetreten, die wie etwa die Stellung, Erörterung und Entscheidung von Beweisanträgen ihrer Natur nach in den Bereich der Beweisaufnahme fallen (BGH NStZ 2015, 105 = StRR 2014, 494 [Grube]). Aber auch ein sonstiges Verhandeln über einzelne Vorgänge könne einen Wiedereintritt begründen, beispielsweise Erörterungen über die Voraussetzungen eines Haftbefehls, also seines Erlasses, seiner Aufrechterhaltung oder Aufhebung. Demgegenüber liege keine Wiedereröffnung der Verhandlung in Vorgängen, die – wie beispielsweise die Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO (BGH NStZ 2015, 668 = StRR 2015, 302 [Burhoff]) oder die Bekanntgabe eines Verbindungsbeschlusses zur gemeinsamen Urteilsverkündung – auf die gerichtliche Sachentscheidung keinen Einfluss haben können (BGH NStZ 2018, 290, 291).

Wiedereintritt bei Verkündung der Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs

Ausgehend von diesen Grundsätzen habe die Strafkammer hier nicht gegen § 258 Abs. 2 StPO verstoßen. Dass das LG mit der Verkündung des Beschlusses über die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs nicht wieder in die Hauptverhandlung eingetreten ist, legten bereits systematische Erwägungen zur Ausgestaltung des Ablehnungsverfahrens (§§ 24 ff. StPO) nahe. Denn dieser Vorgang gehöre seiner Natur und gesetzlichen Konzeption nach nicht zum Bereich der Beweisaufnahme und Hauptverhandlung. Dies zeige sich schon daran, dass die Entscheidung in anderer Besetzung, nämlich ohne die hiervon ausgeschlossene abgelehnte Vorsitzende (§ 27 Abs. 1 StPO) und die Schöffen, außerhalb der Hauptverhandlung getroffen worden ist. Ferner hätte der Beschluss nicht in der Hauptverhandlung verkündet werden müssen; vielmehr wäre eine formlose schriftliche Mitteilung außerhalb der Hauptverhandlung ausreichend gewesen (§§ 28 Abs. 2 S. 2, 35 Abs. 2 S. 2 StPO). Zwar schließe diese gesetzliche Konzeption des Ablehnungsverfahrens die Bewertung als Wiedereintritt in die Hauptverhandlung nicht von vornherein aus. Es bedürfe jedoch schon im Ausgangspunkt einer näheren Begründung, warum in der Bekanntgabe der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch eine solche Wiedereröffnung mit der Folge der Pflicht zur erneuten Gewährung des letzten Wortes liegen soll. Ein Wiedereintritt in die Hauptverhandlung könne sich auf der Grundlage der dargelegten Rechtsprechung nur dann ergeben, wenn die Verkündung ein sonstiges Verhandeln über einen Vorgang darstellt, durch welches das Gericht dokumentiert, mit der Untersuchung und Aburteilung fortfahren zu wollen, und dies insbesondere auf die gerichtliche Sachentscheidung Einfluss haben kann. Aus der ersten Voraussetzung folge, dass es unerheblich ist, ob der Befangenheitsantrag als unzulässig oder unbegründet zurückgewiesen wird. Denn in beiden Fällen ist er erfolglos und dokumentiert das Gericht seine Absicht, das Verfahren fortzusetzen. Auch aus den Entscheidungen des BGH (StV 1988,194; NStZ 1985, 464, 465) ergebe sich nichts anderes. Insbesondere lasse sich nicht im Umkehrschluss entnehmen, eine Zurückweisung des Gesuchs als unbegründet stelle eine Wiederöffnung der Verhandlung dar. Die Entscheidungen beschränkten sich allein und ausschließlich auf bereits unzulässige Befangenheitsanträge Maßgeblich sei vielmehr, ob der Beschluss über die bloße Zurückweisung hinaus einen Bezug zur Sachentscheidung aufweist, weil sich in ihm die gerichtliche Bewertung einer potenziell urteilsrelevanten Frage widerspiegelt (BGH NStZ 2018, 290, 291). Gerade dieser Bezug sei der tragende Gesichtspunkt in durch den BGH bereits entschiedenen ähnlichen Konstellationen und ermögliche daher eine einheitliche Handhabung. Das gelte insbesondere für den oben genannten vergleichbaren Fall, dass sich das Tatgericht entscheidet, eine grundsätzlich außerhalb der Hauptverhandlung mögliche Haftentscheidung in der Verhandlung zu erörtern und zu verkünden. Ausschlaggebend für die Annahme eines Wiedereintritts in die Verhandlung sei dann nämlich, dass die Entscheidung zumindest inzident auch die gerichtliche Beurteilung des Verdachtsgrades beinhaltet, also eine sachliche Bewertung des bisherigen Beweisergebnisses (BGH NStZ-RR 2001, 372). Diese Begrenzung auf die Sachentscheidungsrelevanz folge aus dem Sinn und Zweck des § 258 StPO, der Gewährleistung des durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Vorschrift solle sicherstellen, dass der Angeklagte unmittelbar vor der endgültigen Beratung des Gerichts zu dem gesamten Ergebnis der Hauptverhandlung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung und somit auf die Urteilsfindung Einfluss nehmen kann (BVerfGE 54, 140, 141 f.). Diese Funktion sei allerdings, wenn dem Angeklagten bereits einmal das letzte Wort gewährt worden war, nur bei danach eintretenden, in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht sachentscheidungsrelevanten Ereignissen berührt.

Der konkrete Fall

An einer solchen Sachentscheidungsrelevanz fehle es hier. Der Befangenheitsantrag ziele per se nicht primär auf eine Beeinflussung der Sachentscheidung selbst, sondern auf die Veränderung der Besetzung des Gerichts. Überdies spiegelten sich vorliegend in dem das Gesuch zurückweisenden Beschluss keine Bewertung einer potenziell für den sachlichen Gehalt des Urteils relevanten Frage wider. Die Gründe des Beschlusses verhielten sich nicht zu dem bisherigen Beweisergebnis, befassten sich inhaltlich nicht mit den Beweisanträgen der Verteidigung und führen auch sonst nichts zur Sache aus (wird ausgeführt).

III. Bedeutung für die Praxis

Schwierig im Einzelfall

Das für BGHSt vorgesehene Urteil fasst die Grundsätze zum Wiedereintritt in die Verhandlung nach Gewährung des letzten Wortes zusammen und überträgt sie gut begründet auf die zeitlich nachfolgende Bescheidung eines Befangenheitsgesuchs. Das relevante Kriterium zur Frage der erneuten Gewährung des letzten Wortes ist hiernach, ob mit dem nachfolgenden Prozessgeschehen direkt oder indirekt zur Sache verhandelt worden ist oder ob es sich um eine reine Verfahrenshandlung ohne Bezug zur Sache selbst handelt. Die Abgrenzung dürfte im Einzelfall schwierig sein. Und es schadet nicht und bedeutet keinen nennenswerten Aufwand, zur Vorsicht noch einmal das letzte Wort beschränkt auf die nachträglichen Vorgänge zu gewähren (zu einem Extremfall des letzten Wortes BGH, Beschl. v.2.3.2022 – 4 StR 295/21, juris: fast 14 Stunden an vier Verhandlungstagen).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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