Beitrag

Besorgnis der Befangenheit und Verfahrensrüge

Zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge, mit der die Mitwirkung eines wegen Vorbefassung abgelehnten Richters gerügt wird

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 7.6.20225 StR 460/21

I. Sachverhalt

Schöffe war „vorbefasst“

Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung Revision eingelegt. Er hat u.a. die Mitwirkung eines wegen Vorbefassung abgelehnten Richters, eines Schöffen, gerügt. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Unverzüglichkeit

Nach Auffassung des BGH war die Rüge nicht ausreichend begründet und daher unzulässig. Die Revision teile schon die Tatsachen nicht mit, die für die Prüfung von Bedeutung seien, ob der Befangenheitsantrag unverzüglich i.S.d. § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO gestellt worden sei (vgl. BGH NJW 1922, 1826; NStZ 2016, 62). Nach dem Revisionsvortrag habe der Angeklagte nach Unterbrechung der Sitzung am 7.5.2020 um 10.47 Uhr ein einstündiges Beratungsgespräch mit seiner Verteidigerin geführt, bevor diese in einen etwa eineinhalbstündigen „Verständigungsversuch“ mit den Strafkammermitgliedern eingetreten sei. Nach dessen Ende habe der Angeklagte im Rahmen eines erneuten Beratungsgesprächs am Nachmittag seine Verteidigerin beauftragt, das Ablehnungsgesuch anzubringen. Die Verteidigerin sei um 18 Uhr an ihrem Kanzleisitz eingetroffen und habe das Ablehnungsgesuch noch an diesem Tag formuliert und am darauffolgenden Tag dem Gericht zugefaxt. Bleibe danach schon offen, warum das Ablehnungsgesuch nicht bereits nach dem ersten Beratungsgespräch eingelegt worden sei, so schweige die Revision zudem dazu, wann das Gesuch am 8.5.2020 übersandt worden ist. Dies ergebe sich auch nicht aus dem Zusammenhang, denn bei dem zum Gegenstand der Revisionsbegründung gemachten Ablehnungsgesuch handele es sich um das per Post übersandte, welches den Eingangsstempel vom 11.5.2020 trage.

Vorbefassung

Die Revision trage – so der BGH – zudem entgegen § 344 Abs. 2 S. 2 StPO keine Tatsachen vor, bei deren Vorliegen die Besorgnis der Befangenheit gegen den abgelehnten Schöffen begründet wäre. Der Befangenheitsantrag werde darauf gestützt, dass die Vorbefassung auch eines Schöffen zwar keine Befangenheit begründe, vielmehr konkrete Umstände des Einzelfalls hinzutreten müssten, wobei das Vorliegen solcher Umstände aber behauptet werde. Außer dem Verweis auf eine Vorbefassung, die sich daraus ergebe, dass der Angeklagte des früheren Verfahrens wegen der Taten verurteilt worden sei, die auch dem Angeklagten zur Last gelegt werden, und dem darauf beruhenden „weitergehenden Kenntnisstand“ des Schöffen würden aber keine Tatsachen geltend gemacht, die solche Umstände belegen. Vor allem fehle es am Vortrag des früheren Urteils. Dessen hätte es aber bedurft (BGH NStZ 2018, 550; vgl. zur Unzulässigkeit schon des Antrags gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO BGH NStZ-RR 2009, 85; 2018, 252; 2019, 120). Denn hierzu gelte:

Besondere Umstände?

Eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters, soweit sie nicht gesetzliche Ausschlussgründe erfülle, sei regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des Richters i.S.v. § 24 Abs. 2 StPO zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2012, 519, 520; NStZ 2018, 550; vgl. auch EGMR StraFo 2006, 406). Dies gelte auch für die Verurteilung eines Mittäters, selbst wenn die Schilderung des Tatgeschehens auch Handlungen des Ablehnungsberechtigten einschließt. Dabei gelten bei Schöffen grundsätzlich keine anderen Maßgaben für die Unvoreingenommenheit als bei Berufsrichtern (BGHSt 42, 191,193 f.). Etwas anderes gelte nach innerstaatlicher Rechtsprechung nur dann, wenn besondere Umstände hinzutreten, die die Besorgnis rechtfertigen, der Richter sei nicht bereit, sich von seiner bei der Vorentscheidung gefassten Meinung zu lösen, etwa wenn er unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den Angeklagten geäußert habe (BGHSt 24, 336, 338; BGH NStZ 2012, 519, 520 f.; 2018, 550; vgl. auch EGMR, a.a.O.).

Aktuelle Rechtsprechung des EGMR

Auch die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Befangenheit bei Vorbefassung (NJW 2021, 2947) führe nicht zu demgegenüber herabgesetzten Vortragserfordernissen. Denn auch der EGMR betone, dass es für Zweifel an der Unparteilichkeit – die er unter dem Aspekt des Art. 6 Abs. 1 EMRK prüft – nach wie vor nicht ausreiche, dass der Richter frühere Entscheidungen wegen derselben Strafsache erlassen oder in einem gesonderten Strafverfahren gegen Mitbeschuldigte verhandelt habe. Die objektiv gerechtfertigte Besorgnis der Befangenheit (vgl. zur Prüfung nach einem subjektiven und objektiven Ansatz EGMR, Urt. v. 2.2.2017 – Nr. 10211/12, 27505/14 und NJW 2021, 2947) könne aber darin begründet liegen, dass der Richter in einem früheren Urteil umfangreiche Tatsachenfeststellungen getroffen habe, die die Schuld des jetzigen Angeklagten vorwegnehmen, und er mithin eine vorgefasste Meinung über seine Schuld habe. Dies könne zum Beispiel in Formulierungen zum Ausdruck kommen, die über die zur rechtlichen Einstufung der Tat des Mittäters erforderlichen Feststellungen hinausgingen. Selbst wenn bei der danach erforderlichen Abwägung einzustellen sein sollte, dass Schöffen sich nicht so gut von früheren Eindrücken freimachen könnten wie Berufsrichter (vgl. hierzu EGMR a.a.O.), könne in Ermangelung des Vortrags des früheren Urteils eine Prüfung nach diesen Maßgaben nicht erfolgen. Auf der Grundlage des derart mangelhaften Vortrags ergebe sich schon kein Anhalt dafür, dass sich der Schöffe in dem früheren Verfahren überhaupt mit einer Einbindung des hiesigen Angeklagten befasst habe. Die dort verurteilten Taten würden als Handel mit Betäubungsmitteln beschrieben, die Feststellungen würden nur dahin wiedergegeben, dass Lieferant der gehandelten Betäubungsmittel ein „Verkäufer aus den Niederlanden mit dem Spitznamen ‚H.‘ – bei dem es sich möglicherweise um einen Bu. handele – “ sei, was eine Bewertung von Tatbeiträgen des Angeklagten nicht nahelege. Eine Prüfung, ob das frühere Urteil die Schuld des Angeklagten vorwegnehmende Feststellungen enthielt, sei damit nicht möglich.

III. Bedeutung für die Praxis

Umfangreicher Vortrag erforderlich

Die Entscheidung zeigt mal wieder sehr schön, dass zur Begründung der Verfahrensrüge alles auf den Tisch kommen, also vorgetragen werden muss, was im Zusammenhang mit dem gerügten Verfahrensverstoß von Bedeutung sein kann. Hinsichtlich der „Unverzüglichkeit“ wird man m.E. darum streiten können, ob dazu auch die Erklärung gehört, warum die Ablehnung des Schöffen nicht bereits nach dem ersten Beratungsgespräch erfolgt ist. Jedenfalls hätte der Angeklagte aber zum Zeitablauf näher vortragen müssen, da das Ablehnungsgesuch nach Unterbrechung der Hauptverhandlung am 7.5.2020 erst am 11.5.2020 bei Gericht eingegangen war. Das dürfte kaum noch „unverzüglich“ gewesen sein (zur Unverzüglichkeit Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 169 ff. m.w.N.). Jedenfalls ist aber die Verfahrensrüge zu Recht an fehlendem Vortrag zur Vorbefassung gescheitert. Denn auch nach der Rechtsprechung des EGMR, die zum Teil von der des BGH abweicht (vgl. Burhoff/Burhoff, HV, Rn 115 ff.), reicht es für die Besorgnis der Befangenheit aus dem Grund allein nicht aus, dass der Richter – auch der Schöffe – schon einmal mit der Sache befasst war. Es müssen „besondere Umstände“ hinzukommen, zu denen in der Revision eben vorgetragen werden muss.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…