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Keine Vergütung für durch Hilfskraft erstattetes Sachverständigengutachten

Der Vergütungsanspruch eines psychiatrischen Sachverständigen entfällt ganz, wenn sein Gutachten aufgrund nicht behebbarer Mängel im Verfahren unverwertbar ist.

(Leitsatz des Gerichts)

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 18.5.20225 Ks 102 Js 2876/20

I. Sachverhalt

Sachverständigen mit Gutachten u.a. zu den §§ 20, 21 StGB beauftragt

Die Staatsanwaltschaft hatte den Sachverständigen T mit der Erstattung eines Gutachtens zu der Frage des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen der §§ 20, 21, 64 StGB beim Verurteilten beauftragt. Bei Auftragserteilung wurde der Sachverständige T darauf hingewiesen, dass er sich seiner Mitarbeiter bedienen könne, wenn er bereit sei, die Verantwortung für den Inhalt des Gutachtens zu übernehmen. In dem von dem Sachverständigen erstellten Gutachten heißt es, dass die „ausführliche persönliche Untersuchung des Probanden durch B, B.Sc. Psychologie und den Referenten am 10.3.2021 und 19.3.2021 in der JVA Nürnberg über insgesamt 2 Stunden 45 Minuten“ erfolgte. Die Kostenrechnung des Sachverständigen in Höhe von 5.342,51 EUR ist durch die Staatsanwaltschaft zur Zahlung freigegeben worden.

„Gutachten hat Frau B und kein T gemacht“

Durch einen Brief des Verurteilten an seine Lebensgefährtin wurde dann bekannt, dass das Gutachten „eine Frau B und kein T“ gemacht hatte. Dieser habe – so der Verurteilte – lediglich ein paar Wochen später für „fünf Minuten“ mit ihm gesprochen und das nur „über den § 64 und nicht über meine Gedanken oder sonst etwas“. Der Brief ist beschlagnahmt worden. Der Sachverständige T wurde daraufhin aufgefordert mitzuteilen, ob während der Exploration über 2 Stunden 45 Minuten beide Sachverständige anwesend waren und wenn nicht, welche Befunde durch welchen Sachverständigen erhoben wurden. Der Sachverständige teilte mit, dass die Angaben des Verurteilten auf S. 31–50 des Gutachtens am 10.3.2021 gegenüber Frau B in detaillierter Art und Weise gemacht und am 19.3.2021 ihm gegenüber in kompakter Form wiederholt worden seien.

Gutachtenauftrag entzogen und Gutachten nicht verwendet

Das LG hat sodann dem Sachverständigen T in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger die weitere Gutachtenerstattung entzogen und einen anderen Sachverständigen mit der Begutachtung beauftragt, da der Sachverständige gegen das Verbot der Delegation der Exploration an eine Hilfsperson verstoßen habe. Das zunächst vom Sachverständigen T angefertigte vorläufige schriftliche Gutachten fand weder in der Hauptverhandlung noch bei der Verurteilung Verwendung. Der Sachverständige T ist zur Rückerstattung der beglichenen Kostenrechnung aufgefordert worden. Er hat in dem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass er, um die Justiz zu unterstützen und die Zeit bis zur Fertigstellung des Gutachtens auf eine zumutbare Frist zu begrenzen, Fachkräften die Mitarbeit an der Erstellung der Gutachten erlaubt habe. Dies sei in forensischen Instituten und Kliniken ein übliches Vorgehen. Er habe die gesamten schriftlichen Gutachtenstexte auf Richtigkeit überprüft und in jedem einzelnen Fall persönlich die Probanden exploriert. Er habe sich die Kernfragen der Exploration durch seine Mitarbeiterin notiert und diese danach in kürzerer Zeit mit dem Probanden besprochen. In seiner dazu abgegeben Stellungnahme hat der Verurteilte mitgeteilt, dass er mit dem Sachverständigen nicht in „Verbindung mit dem Gutachten“ gesprochen habe. Er habe ihn nur für fünf Minuten in der JVA besucht und mitgeteilt, dass er den § 64 StGB befürworte. Die Begutachtung habe Frau B gemacht.

Der Bezirksrevisor hat daraufhin beantragt, die Vergütung des Sachverständigen T gem. § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG auf 0,00 EUR festzusetzen.

II. Entscheidung

Festsetzung der Vergütung auf null

Dem Antrag ist das LG gem. § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG nachgekommen. Die Vergütung des Sachverständigen sei auf 0,00 EUR festzusetzen, da der Anspruch auf Vergütung gem. § 8a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JVEG entfallen sei. Demnach erhalte der Berechtigte eine Vergütung nur insoweit, als seine Leistung bestimmungsgemäß verwertbar sei, wenn er gegen die Verpflichtung aus § 407a Abs. 1 bis 4 ZPO verstoßen hat, es sei denn, er habe den Verstoß nicht zu vertreten. Nur soweit das Gericht die Leistung berücksichtigt habe, gelte sie als verwertbar (§ 8a Abs. 2 S. 2 JVEG).

Verstoß gegen § 407a Abs. 3 S. 1 ZPO

Nach Ansicht des LG hat der Sachverständige gegen § 407a Abs. 3 S. 1 ZPO verstoßen, indem er insbesondere die Exploration auf eine Hilfsperson übertragen hat. Zwar könne ein beauftragter Sachverständiger, der grundsätzlich zur persönlichen Erstellung und Erstattung des Gutachtens verpflichtet sei, Hilfskräfte in Anspruch nehmen, solange er sich von den Untersuchungsergebnissen selbst überzeuge und das Gutachten selbst verantworte. Die Staatsanwaltschaft habe auch die Zuziehung einer Hilfskraft – wie üblich – genehmigt. Aufgrund der Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung bestehe jedoch ein Delegationsverbot, soweit durch Heranziehung anderer Personen die Verantwortung des Sachverständigen für das Gutachten in Frage gestellt werde (BGH StraFo 2011, 359 = StV 2011, 709 = NStZ 2012, 103; LR-StPO, 27. Aufl. 2017, § 73 Rn 6). Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen müsse eine Exploration des Probanden durch den Sachverständigen einschließen. Dabei handele es sich um die zentrale Untersuchungsmethode. Deren Ergebnisse könne der gerichtliche Sachverständige nur dann eigenverantwortlich bewerten, wenn er sie selbst durchgeführt oder zumindest insgesamt daran teilgenommen habe. Dies gelte erst recht, wenn bei der Exploration auch Mimik und Gestik des Probanden aufgefasst werden. Die Durchführung der Exploration als Kernstück des Gutachtens dürfe daher nicht an eine Hilfsperson delegiert werden (vgl. BGH a.a.O.; BSG NZS 2004, 559; OLG Köln JurBüro 2021, 33; MüKo-StGB, 4. Aufl. 2020, § 20 StGB Rn 171; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl. 2012, S. 407).

Durch Sachverständigen lediglich „kompakte Abfrage“

Nach Auskunft des Sachverständigen T sei hier eine detaillierte Exploration durch Frau B erfolgt, durch ihn lediglich eine kompakte Abfrage. Eine kompakte Abfrage reiche aber – so das LG – nicht aus, um sich – bei der Exploration als zentrale Untersuchungsmethode – ein eigenes Bild von der Richtigkeit der Befunderhebung zu machen. Dem Sachverständigen sei es daher verwehrt gewesen, die Verantwortung für das Gutachten zu übernehmen, da er die Exploration nicht persönlich durchgeführt habe oder wenigstens anwesend gewesen sei. Soweit er behaupte, er habe die Kernstücke der Exploration durch seine Mitarbeiterin mit dem Verurteilten in kürzerer Zeit besprochen, stehe dies in Widerspruch zu den Angaben des Verurteilten, der von Beginn an angegeben habe, dass der Sachverständige mit ihm nur fünf Minuten über § 64 StGB gesprochen habe. Die Kammer hatte an den Ausführungen des Verurteilten keine Zweifel, da er doch durch den Brief an seine Lebensgefährtin den Stein ins Rollen gebracht hat, obwohl das schriftliche Gutachtenergebnis für ihn günstig ausgefallen ist. Der Sachverständige habe dem auch nicht konkret widersprochen, sondern lediglich pauschal vorgetragen, dass die „Kernstücke“ in knapper Form mit dem Verurteilten besprochen worden seien, ohne hierbei vorzutragen, welche Inhalte dies gewesen seien. Der letzten Behauptung des Verurteilten, dass der Sachverständige lediglich fünf Minuten da gewesen sei und nur § 64 StGB befürwortet habe, habe der Sachverständige schließlich nichts entgegengebracht. Letztlich könne es aber auch dahinstehen, welche „Kernstücke“ in kompakter Form mit dem Verurteilten – vermeintlich – besprochen wurden. Der psychiatrische Sachverständige habe die gesamte Exploration selbst durchzuführen oder ihr wenigstens beizuwohnen, was er seinem eigenen Vorbringen nach zweifellos nicht ansatzweise getan habe. Er könne daher denknotwendig auch nicht, wie er anführe, den „gesamten schriftlichen Gutachtentext auf Richtigkeit überprüft“ haben. Soweit der Sachverständige sich nunmehr ergänzend darauf berufe, er habe die Justiz unterstützen und die Zeit zur Fertigstellung des Gutachtens auf eine zumutbare Frist begrenzen wollen, könne er damit nicht gehört werden. Die Exploration eines Beschuldigten/Angeklagten könne für diesen, insbesondere bei Gutachten zu §§ 20, 21, 63, 64 StGB, gravierende Konsequenzen im Falle einer Verurteilung haben. Für die Justiz und den Probanden sei es daher unerlässlich, dass derartige Überlegungen bei der Gutachtenerstellung keinen Einzug finden. Es sei zwar richtig, dass auch von anderen Gutachtern gelegentlich Fachkräfte hinzugezogen werden. Dies gelte jedoch nicht für den Bereich der Exploration.

Vertretenmüssen

Der Sachverständige T hat nach Auffassung der Kammer den Verstoß auch zu vertreten. Zwar sei er von der Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen worden, dass er sich der Mitarbeit anderer bedienen könne. Dies umfasse jedoch nicht den Bereich der Exploration als zentrale Untersuchungsmethode (ausdrücklich für den Bereich der Schuldfähigkeitsbegutachtung BGH a.a.O.). Dem Sachverständigen müsse dies aus seiner berufsrechtlichen Stellung heraus auch bewusst gewesen sein, da die Exploration für das Gutachtenergebnis von wesentlicher Bedeutung sei. Jedenfalls hätte er aber vorher bei der Staatsanwaltschaft Rückfrage halten müssen, wie weit die Delegationsmöglichkeit reicht.

III. Bedeutung für die Praxis

Dreist

Nach § 407a Abs. 3 ZPO, auf den § 8a Abs. 2 S. 1 JVEG verweist, ist ein Sachverständiger nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt. Und diese Vorschrift sollte ein Sachverständiger kennen und auch beachten. Das gilt vor allem, wenn es um die Fragen des §§ 20, 21 StGB und/oder der Unterbringung nach den §§ 63, 64 StGB geht. Von daher ist es m.E. schon dreist, wenn der Sachverständige zu einem solchen Gutachten nur eine Hilfskraft schickt und dann später selbst nur fünf Minuten mit dem Beschuldigten spricht. Und wenn das dann noch mit den Interessen der Justiz begründet wird, wird es völlig unverständlich. Denn es geht um für den Probanden ganz entscheidende Fragen und er hat sicherlich einen Anspruch darauf, dass er für die grundsätzlich von ihm zu zahlenden Sachverständigenkosten auch eine verwertbare Leistung erhält. Von daher ist es zu begrüßen, dass das LG durchgegriffen und die Vergütung für die Nichtleistung des Sachverständigen auf null festgesetzt hat. Die Staatskasse wird sich nun die bereits ausgezahlte Vergütung zurückholen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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